Julius' Blog (de)2016-01-03T03:21:36+01:00http://blog.plenz.comJulius Plenzblog@plenz.comGit-Buch jetzt unter CC-Lizenz2016-01-03T13:16:00+01:00http://blog.plenz.com/2016-01/git-buch-jetzt-unter-cc-lizenz<p>Der Verlage <em>Open Source Press</em> hat zum Ende des Jahres 2015 den Betrieb
eingestellt, und die Veröffentlichungsrechte der Texte an die Autoren
zurückübertragen. Valentin und ich haben uns entschieden, sowohl den
Text des Buches als auch die Materialien, die wir für Schulungen verwendet
haben, unter einer CreativeCommons-Lizenz zu veröffentlichen. All das könnt ihr
ab sofort unter <a href="http://gitbu.ch/">http://gitbu.ch</a> finden. Viel Spaß damit!</p>
Ulysses2015-08-15T15:35:00+02:00http://blog.plenz.com/2015-08/ulysses<p>Ich war kürzlich zum ersten Mal in Dublin, und das war Grund genug,
mich endlich einmal mit dem modernistischen Epos <em>Ulysses</em> von James
Joyce auseinanderzusetzen. Anstatt hier aber zu schreiben: ja, es
ist ziemlich anstrengend zu lesen – ja, ohne kapitelweise
Sekundär-Zusammenfassungen hätte ich kaum etwas verstanden – ja, es
ist sprachgewaltig und auch ziemlich witzig – ja, es ist ein
stilistisches und formales Kunstwerk – ja, das war mein zweiter und
letzter Versuch, ein Joyce-Fan zu werden und nein, ich werde die
anschließend von ihm verfassten Monströsitäten nicht angehen ––</p>
<p>Anstatt also zu wiederholen, was man überall liest, hier im Folgenden der
Versuch, zwei zentrale Werke des Modernismus einander gegenüber zu
stellen und in Beziehung zu setzen: <em>Ulysses</em> versus <em>Der Mann ohne
Eigenschaften</em>. Beide Werke sind recht umfangreich, was aber ja nicht
unbedingt abschreckend ist: nur sind sie auch beide kompliziert und
sperrig. Joyces Werk nicht so sehr aufgrund der Handlung, sondern der
Form: Selten wird der Leser an die Hand genommen, immer muss man aus
dem Dialog den Kontext erraten oder bekommt nur rohe Gedanken
serviert. Bei Musil wird hingegen ständig reiteriert und Kontext
gegeben, mit einer sprachlicher Brillianz die seinesgleichen sucht:
nur sind die Gedanken sehr diffiziler philosophisch-dialektischer
Natur.</p>
<p>Beide Werke haben eine interessante Gemeinsamkeit: sie sind, ganz in
modernistischer Manier, exakt <em>konstruiert</em> in der Zeitspanne, die sie
abdecken (– die Form bestimmt den Rahmen): <em>Ulysses</em> ist die
Geschichte eines einzigen Tages in Dublin, während der <em>Mann ohne
Eigenschaften</em> genau ein Jahr in Wien verlebt (streng genommen:
verleben würde, wenn das Buch je zu Ende geschrieben worden wäre). Im
letzteren Fall ist ganz klar, wann die Handlung stattfindet, denn das
Buch beginnt mit folgendem ersten Absatz:</p>
<blockquote><p>Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es
wanderte ostwärts, einem über Rußland lagernden Maximum zu, und
verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. Die
Isothermen und Isotheren taten ihre Schuldigkeit. Die Lufttemperatur
stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren
Jahrestemperatur, zur Temperatur des kältesten wie des wärmsten
Monats und zur aperiodischen monatlichen Temperaturschwankung. Der
Auf- und Untergang der Sonne, des Mondes, der Lichtwechsel des
Mondes, der Venus, des Saturnringes und viele andere bedeutsame
Erscheinungen entsprachen ihrer Voraussage in den astronomischen
Jahrbüchern. Der Wasserdampf in der Luft hatte seine höchste
Spannkraft, und die Feuchtigkeit der Luft war gering. Mit einem
Wort, das das Tatsächliche recht gut bezeichnet, wenn es auch etwas
altmodisch ist: Es war ein schöner Augusttag des Jahres 1913.</p></blockquote>
<p>Bei Joyce muss man arg suchen, wenn man wissen will, an welchem Tag
die Handlung spielt: Man schreibt das mittlerweile als
<a href="https://en.wikipedia.org/wiki/Bloomsday">Bloomsday</a> bekannte und
gefeierte Datum des 16. Juni 1904 – das wird aber, abgesehen von kurz vor
Schluss, nirgends klar kommuniziert. Man kann sich diese Information
zum Beispiel aus den folgenden Fragmenten aus Kapitel drei und vier
zusammenstückeln, tief in wirren Gedankengängen vergraben:</p>
<blockquote><p>He took the hilt of his ashplant, lunging with it softly, dallying
still. Yes, evening will find itself in me, without me. All days
make their end. By the way next when is it Tuesday will be the
longest day. Of all the glad new year, mother, the rum tum
tiddledy tum. Lawn Tennyson, gentleman poet. … (Dedalus musing in 3.489)</p>
<p>He listened to her licking lap. Ham and eggs, no. No good eggs
with this drouth. Want pure fresh water. Thursday: not a good day
either for a mutton kidney at Buckley's. Fried with butter, a
shake of pepper. Better a pork kidney at Dlugacz's. While the
kettle is boiling. She lapped slower, then licking the saucer
clean. Why are their tongues so rough? To lap better, all porous
holes. Nothing she can eat? He glanced round him. No. (Bloom in
4.43)</p></blockquote>
<p>Wir haben es also mit einem Donnerstag fünf Tage vor dem längsten Tag
der nördlichen Hemisphäre, dem 21. Juni, zu tun. Welches Jahr? Na ja,
da gäbe es mehrere Möglichkeiten: Der 16. Juni fiel zwischen den
Jahren 1880 und 1920 auf einen Donnerstag in: 1881, 1887, 1892, 1898,
1904, 1910, sowie 1921. Andere Hinweise?</p>
<blockquote><p>He faced about and, standing between the awnings, held out his
right hand at arm's length towards the sun. Wanted to try that
often. Yes: completely. The tip of his little finger blotted out
the sun's disk. Must be the focus where the rays cross. If I had
black glasses. Interesting. There was a lot of talk about those
sunspots when we were in Lombard street west. Looking up from the
back garden. Terrific explosions they are. There will be a total
eclipse this year: autumn some time. (Bloom thinking in 8.564)</p></blockquote>
<p>Aber <a href="https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_solar_eclipses_visible_from_the_United_Kingdom_AD_1000%E2%80%932091">Wikipedia sagt</a>
interessanterweise: „There was no Total Solar Eclipse visible from the
United Kingdom between 1724 and 1925.“ – Schließlich aber, im
vorletzten Kapitel (auch wenn das Datum ab der Mitte an verschiedenen
Stellen, aber nicht eindeutig zuordenbar auftaucht) wird es explizit:
„Compile the budget for 16 June 1904.“ (17.1456)</p>
<hr />
<p>Beide Werke erwähnen wiederholt Nietzsche als Philosophen oder
Teile seiner Werke: In <em>Ulysses</em> wird mehrmals aus <em>Zarathustra</em>
zitiert; Ulrich schenkt Clarisse zu ihrer Hochzeit eine Gesamtausgabe
von Nietzsche. Ein ganz zentrales Moment Nietzsche’scher Philosophie
ist die auf die griechischen Götter Apollo und Dionysos zurückgehende
Dialektik <em>apollinisch-dionysisch</em>. Was bedeutet dionysisch? Das <a href="http://www.philosophie-woerterbuch.de/online-woerterbuch/?title=Dionysisch&tx_gbwbphilosophie_main[entry]=237&tx_gbwbphilosophie_main[action]=show&tx_gbwbphilosophie_main[controller]=Lexicon&cHash=6dc606c83ffb134e1447459bf6eb3dfd">Handwörterbuch der
Philosophie erklärt das Wort wie folgt</a>:</p>
<blockquote><p>Von Dionysos, dem griech. Gott des Weines: neben dem Apollinischen
die Personifizierung eines der beiden die Geschicke der Welt
lenkenden Prinzipien bei Nietzsche. Während das Apollinische für
das Streben nach Begrenzung, nach Maß und Gestalt steht,
verkörpert das Dionysische den Drang ins Ungebundene, das
Rauschhafte und Ausufernde, das, was die Grenzen aufhebt, die Form
zerstört und das Gestalthafte in den Weltgrund zurückwirft.</p></blockquote>
<p>Während die apollinische Betrachtungsweise also die der Wissenschaft,
die der exakten Beschreibung und Klassifizierung, schließlich der
Rationalität ist, ist die die dionysische eine des Trunkenen,
Orgiastischen: Der Urzustand des Menschen spricht aus dem Un- und
Unterbewussten.</p>
<p>Dies führt mich zur folgendenden, zentralen These: Die
Herangehensweise Musils ist inhärent apollinisch, während die
von Joyce ein meisterhaftes Beispiel für das Dionysische ist. Als
Beispiel möchte ich hier eine Szene anführen, die in beiden Büchern
beiläufig vorkommt: Männlicher Protagonist trifft ihm unbekannte Frau
in der Öffentlichkeit und hat ein spontanes sexuelles Verlangen nach
ihr. Nebeneinander gelesen sind diese Ausschnitte hervorragende
Beispiele für die Idiosynkrasie der jeweiligen Erzähltechniken.</p>
<p>In <em>Ulysses</em> (4.145) ist Bloom gerade auf dem Weg, für sein Frühstück
Leber vom Fleischer zu besorgen:</p>
<blockquote><p>A kidney oozed bloodgouts on the willowpatterned dish: the last. He
stood by the nextdoor girl at the counter. Would she buy it too,
calling the items from a slip in her hand? Chapped: washingsoda. And
a pound and a half of Denny's sausages. His eyes rested on her
vigorous hips. Woods his name is. Wonder what he does. Wife is
oldish. New blood. No followers allowed. Strong pair of arms.
Whacking a carpet on the clothesline. She does whack it, by George.
The way her crooked skirt swings at each whack.</p>
<p>[…]</p>
<p>The porkbutcher snapped two sheets from the pile, wrapped up her
prime sausages and made a red grimace.</p>
<p>—Now, my miss, he said.</p>
<p>She tendered a coin, smiling boldly, holding her thick wrist out.</p>
<p>—Thank you, my miss. And one shilling threepence change. For you,
please?</p>
<p>Mr Bloom pointed quickly. To catch up and walk behind her if she
went slowly, behind her moving hams. Pleasant to see first thing in
the morning. Hurry up, damn it. Make hay while the sun shines. She
stood outside the shop in sunlight and sauntered lazily to the
right. He sighed down his nose: they never understand. Sodachapped
hands. Crusted toenails too. Brown scapulars in tatters, defending
her both ways. The sting of disregard glowed to weak pleasure within
his breast. For another: a constable off duty cuddling her in Eccles
lane. They like them sizeable. Prime sausage. O please, Mr
Policeman, I'm lost in the wood.</p>
<p>—Threepence, please.</p>
<p>His hand accepted the moist tender gland and slid it into a
sidepocket. Then it fetched up three coins from his trousers' pocket
and laid them on the rubber prickles. They lay, were read quickly
and quickly slid, disc by disc, into the till.</p>
<p>—Thank you, sir. Another time.</p>
<p>A speck of eager fire from foxeyes thanked him. He withdrew his gaze
after an instant. No: better not: another time.</p>
<p>—Good morning, he said, moving away.</p>
<p>—Good morning, sir.</p>
<p>No sign. Gone. What matter?</p>
<p>He walked back along Dorset street, reading gravely. […]</p></blockquote>
<p>Joyce verbalisiert einfach nur das im Kopf Stattfindende, mit
all der damit einhergehenden Sprunghaftigkeit, Ungeduldigkeit und vor
allem Unreflektiertheit: Wäre es nicht interessant zu untersuchen, wie
aus einem <em>sting of disregard</em> innerhalb von Momenten eine Art
Verlangen wird? All das interessiert aber offenbar nicht, und außerdem
muss er ja bezahlen. Und schon sind die Gedanken wieder woanders, und
er liest im Nachhausegehen…</p>
<p>Musil hingegen benutzt eine ganz ähnlich zufällige Begegnung, um –
durchaus als Ablenkung, vorher wird ein ganz anderer Gedankengang
gesponnen – um zu reflektieren, wie die Nächstenliebe eigentlich ein
heuchlerisches Konzept ist, und überhaupt: warum mag man überhaupt
Menschen, ohne dass man sie wirklich gut kennt?! Das liest sich dann
aber, wie man so schön sagt, „wie gedruckt“ (3. Teil, Kap. 23):</p>
<blockquote><p>[… es] fehlte seinem Denken bereits die Absicht, eine Entscheidung
zu suchen, und er ließ sich bereitwillig ablenken. In seiner Nähe
waren gerade zwei Männer zusammengestoßen und riefen sich
unangenehme Bemerkungen zu, als wollten sie handgemein werden, woran
er mit erfrischter Aufmerksamkeit teilnahm, und als er sich kaum
davon abgewandt hatte, stieß sein Blick mit dem einer Frau zusammen,
der wie eine fette, auf dem Stengel nickende Blume war. In jener
angenehmen Laune, die sich zu gleichen Mengen aus Gefühl und nach
außen gerichteter Aufmerksamkeit mischt, nahm er Kenntnis davon, daß
die ideale Forderung, seinen Nächsten zu lieben, unter wirklichen
Menschen in zwei Teilen befolgt wird, deren erster darin besteht,
daß man seine Mitmenschen nicht leiden kann, während das der zweite
dadurch wettmacht, daß man zu ihrer einen Hälfte in sexuelle
Beziehungen gerät. Ohne zu überlegen, kehrte auch er nach wenigen
Schritten um, der Frau zu folgen; es geschah noch ganz mechanisch
als Folge der Berührung durch ihren Blick. Er sah ihre Gestalt unter
dem Kleid wie einen großen weißen Fisch vor sich, der nahe der
Wasseroberfläche ist. Er wünschte sich, ihn männlich zu harpunieren
und zappeln sehen zu können, und es lag darin ebensoviel Abneigung
wie Verlangen. An kaum merklichen Zeichen wurde ihm auch Gewißheit,
daß diese Frau von seinem Hinterdreinstreichen wisse und es billige.
Er suchte zu ermitteln, auf welchen Platz sie in der
gesellschaftlichen Schichtung gehören möge, und riet auf höheren
Mittelstand, wo es schwer ist, die Stellung genau zu bestimmen.
»Kaufmannsfamilie? Beamtenfamilie?« fragte er sich. Aber
verschiedene Bilder tauchten willkürlich auf, darunter sogar das
einer Apotheke: er fühlte den scharf-süßen Geruch an dem Mann, der
nach Hause kommt; die kompakte Atmosphäre des Heims, der nichts mehr
von den Zuckungen anzumerken ist, unter denen sie kurz vorher die
Diebslampe eines Einbrechers durchleuchtet hat. Ohne Zweifel war das
abscheulich und doch ehrlos lockend.</p>
<p>Und während Ulrich weiter hinter der Frau herging und in Wahrheit
fürchtete, daß sie vor einer Auslage stehen bleiben und ihn zwingen
werde, entweder blöde weiterzustolpern oder sie anzusprechen, war
irgendetwas immer noch unabgelenkt und hellwach in ihm. »Was mag
eigentlich Agathe von mir wollen?« […]</p></blockquote>
<p>Ähnlich wie Proust ist Musil ein Autor, der wie mit einem
Spot-Scheinwerfer ganz bestimmte Winkel einer sehr weiten Zeitspanne
ausleuchtet: Nur nebenbei wird das Jahr des Urlaubs chronologisiert,
meist dient dies nur als Überleitung zu einer Situation, die es Musil
(in Gestalt von Ulrich, meist denkend alleine oder im Quasimonolog)
erlaubt, mehrere Dutzend Seiten bei einem Gedankengang zu verharren.
<em>Ulysses</em> ist hier die Antithese, hier gehen große
sozialphilosophische Thesen einfach unter, weil es nachts ist und
alle Gesprächsteilnehmer sturzbetrunken sind:</p>
<blockquote><p>BLOOM: I stand for the reform of municipal morals and the plain ten
commandments. New worlds for old. Union of all, jew, moslem and
gentile. Three acres and a cow for all childern of nature. Saloon
motor hearses. Compulsory manual labour for all. All parks open to
the public day and night. Electric dishscrubbers. Tuberculosis,
lunacy, war and mendicancy must now cease. General amnesty, weekly
carnival with masked licence, bonuses for all, esperanto the
universal language with universal brotherhood. No more patriotism of
barspongers and dropsical impostors. Free money, free rent, free
love and a free lay church in a free lay state.</p></blockquote>
<p>(Anschließend fängt Bloom an zu singen und jemand schmeißt einen Schuh
nach ihm. Wobei das vielleicht auch nur in Gedanken passiert, man weiß
das nicht so genau. Zugehört hat ihm in jedem Fall niemand so
wirklich.) –</p>
<p>Schließlich ist neben dem Gegensatz Apollinisch–Dionysisch ein
weiteres zentrales Motiv der Philosophie Nietzsches die unbedingte und
nicht immer rationalisierbare Bejahung des Lebens, ein ständiges und
insistierendes Ja-Sagen zum Leben – eine im Kern anti-nihilistische
Haltung. Joyce lässt <em>Ulysses</em> ganz bewusst mit dem Wort “Yes” enden
(auch wenn die Intention dahinter zugegebenermaßen nicht unbedingt
lebensbejahned ist: statt dessen komplettiert das Wort laut eines
Briefen von Joyce an Frank Budgen den das Kapitel durchziehenden
verbalen Symbolismus für das Weibliche). – Im Gegensatz dazu
erschafft der <em>Mann ohne Eigenschaften</em> eine große philosophische
Apparatur, um die Lebensbejahung zu rationalisieren – tut dann aber
nicht den entscheidenden Schritt der Verwirklichung: Das Buch bleibt
unvollendet.</p>
Bookdump2015-07-06T23:42:00+02:00http://blog.plenz.com/2015-07/bookdump<p>Es ist eine Weile her seit dem letzten Artikel, und auch wenn ich
hauptsächlich Mathematik getrieben habe, hat sich viel angesammelt.</p>
<p>Überraschend informativ und einfach zu lesen ist <strong>Foucaults</strong>
<strong>Überwachen und Strafen</strong>, und natürlich aktueller denn je.</p>
<p>Die Essaysammlung <strong>Arguably</strong> von <strong>Christopher Hitchens</strong> ist ein
nettes Sammelsurium, mit einigen sehr beeindruckenden Beiträgen. Ich
wusste zum Beispiel nicht, dass Hitchens sich zu der Zeit, als die
Praxis des Waterboarding gerade in die öffentliche Wahrnehmung gezerrt
wurde, selbst dieser Foltermethode unterzogen hatte – um einfach zu
erfahren, wie sich das angefühlt – und <a href="http://www.vanityfair.com/news/2008/08/hitchens200808">darüber berichten zu
können</a>.</p>
<p>Als ein sehr mathematisch motivierter Autor gilt <strong>J. L. Borges</strong>.
Dessen Kurzgeschichtensammlung <strong>Labyrinths</strong> hat mir gut gefallen, auch
wenn sich die mathematischen Aspekte seiner Literatur zumindest in
dieser Auswahl meist darauf reduzieren, die
inhärenten Paradoxa von Rekursion und Unendlichkeit zu verarbeiten.
Er ist aber ein Autor, der das Träumen glorifiziert und immer wieder die
Grenzen der Erkenntnis ausleuchtet, wie zum Beispiel in <em>Avatars of the
Tortoise</em>:</p>
<blockquote><p>‘The greatest magician (Novalis has memorably written) would be the one
who would cast over himself a spell so complete that he would take his own
phantasmagorias as autonomous appearances. Would not this be our case?’ I
cojecture that this is so. We (the undivided divinity operating within us)
have dreamt the world. We have dreamt it as firm, mysterious, visible,
ubiquitous in space and durable in time; but in its architecture we have
allowed tenuous and eternal crevices of unreason which tell us it is false.</p></blockquote>
<p>Beeindruckt war ich von <strong>Henry Thoreau</strong>, dem amerikanischen
Naturalisten, der mit <strong>Walden</strong> ein Werk geschafft hat, was schon vor
der Industrialisierung den „Ausstiegsgedanken“ geprägt hat, und die
philosophischen und praktischen Aspekte eines Lebens fernab der
Gesellschaft, alleine im Wald und als Selbstversorger erläutert:</p>
<blockquote><p>But I would say to my fellows, once for all, As long as possible
live free and uncommitted. It makes but little difference whether
you are committed to a farm or the county jail.</p></blockquote>
<p>Seinen ernährungstechnischen Ansichten stehe ich teils sympathisch
gegenüber (wenn auch nicht in der Begründung) –</p>
<blockquote><p>I believe that every man who has ever been earnest to preserve his
higher or poetic faculties in the best condition has been particularly
inclined to abstain from animal food, and from much food of any kind.</p></blockquote>
<p>– seine Ansichten zu Wein und Kaffee aber teile ich nicht:</p>
<blockquote><p>I believe water is the only drink for a wise man; wine is not so noble
a liquor; and think of dashing the hopes of a morning with a cup of
warm coffee, or of an evening with a dish of tea!</p></blockquote>
<p><strong>Faulkner: As I Lay Dying</strong> – Boah, also so concious-stream-narrative
kann ich mal gar nicht ab.</p>
<p><strong>Ayn Rand: The Fountainhead</strong> – Das Buch ist wie ein Verkehrsunfall: So
schrecklich es auch ist, man kann nicht wegschauen. Ich habe selten ein Buch
gelesen, in dem die Prosa so arg schlecht ist und die Charaktere so
dermaßen holzschnittig gezeichnet sind. Damals muss ein unglaubliches soziales
Klima geherrscht haben, dass so ein Buch Erfolg haben konnte. Trotzdem fesselnd.
Und: Keine Illustration der Bauwerke wird der dahinter stehenden Idee gerecht.
(An dieser Stelle möchte ich auf das Blog eines guten Freundes von mir
linken: <a href="http://cncrtabstraction.tumblr.com/">cncrt abstraction</a>
beschäftigt sich mit Brutalismus-Architektur, was glaube ich der Essenz
der Bauwerke Howard Roarks nicht allzu fern liegt.)</p>
<p>Über alle Maßen gelobt unter den klassischen Sci-Fi-Autoren ist
natürlich <strong>Philipp K. Dick</strong>. Zum Einstieg <strong>VALIS</strong> zu lesen war
vermutlich nicht die beste Entscheidung, ist es doch eher dem Spätwerk
zuzuordnen und sehr autobiografisch. Viel besser haben mir dann die
<strong>Three Stigmata of Palmer Eldrich</strong> gefallen, ziemlich
halluzinatorisch-dystopisch, mir alles in Allem aber nicht konkret und anschaulich
genug. Ein weiterer Klassiker, <strong>Kurt Vonneguts</strong>
<strong>Slaughterhouse-five</strong>, gefiel mir halbwegs gut, aber schön, dass es so
kurz war. Dass der Erzähler ständig in Zeit und Raum springt hat mich an
Hilsenraths „Märchen vom letzten Gedanken“ erinnert.</p>
<p>Sehr beeindruckt war ich von <strong>Jean-Paul Sartres</strong> <strong>Nausea</strong>
(dt.: <strong>Der Ekel</strong>):</p>
<blockquote><p>… The past is a property-owners’s luxury.</p>
<p>Where should I keep mine? You can’t put your past in your
pocket; you have to have a house in which to store it. I possess
nothing but my body; a man on his own, with nothing but his body,
can’t stop memories; they pass through him. I shouldn’t complain: all
I have ever wanted was to be free.</p></blockquote>
<p>Davon angespornt habe ich auch <strong>The Age of Reason</strong> gelesen, war aber
nach der Hälfte richtiggehend angenervt und habe den Rest nur noch
überflogen. Zu den französischen Existentialisten gehört natürlich
auch <strong>Camus</strong>, aber sein <strong>Mythos des Sisyphos</strong> ist zwar gut und nett,
aber literarisch verpackt kann ich mit solcher Philosophie mehr anfangen.</p>
<p><strong>Tom Wolfe</strong> schreibt so ein bisschen wie Jonathan Franzen. <strong>The
Bonfire of the Vanities</strong> war eine beeindruckend vielschichtige
Geschichte, liebevoll konstruiert, aber eben auch so ein
Momentanpanorama-Epos.</p>
<p>Manchmal gehen einem die Bücher aus, und dann muss man nehmen, was man
kriegt. So war ich auf der Insel Palawan darauf angewiesen, mich bei
einem Australier und einem Kanadier, die sich beide dort zur Ruhe
gesetzt hatten und gebrauchte Bücher für einen Euro pro Stück von ihrer
Veranda verkauften, einzudecken: Noch ein bisschen spannend ist <strong>Stephen Leather:
Hungry Ghost</strong>, aber nur noch pathetisch und schlecht ist <strong>Morris West:
Summer of the Red Wolf</strong>. Einen noch mir noch unbekannten Krimi von <strong>Ian
Rankin</strong>, <strong>A Question of Blood</strong>, fand ich dort auch, sowie <strong>John le
Carrés</strong> <strong>Absolute Friends</strong>, von dem ich aber jetzt schon nicht mehr
sagen könnte, worum es eigentlich ging.</p>
<p>Ab und zu muss man auch Bücher lesen, die in die Hosentasche passen. <strong>Henry James</strong>
hat mit <strong>The Turn of the Screw</strong> eine nette Horrorgeschichte
geschaffen, die glücklicherweise schnell zum Punkt kommt.
Auf Verdacht habe ich <strong>Andre Gide: The Immoralist</strong> gekauft, und hätte
mehr Immoralität erwartet.</p>
<p>Wenn Krimis oder Thriller weltweit auf einmal überall auftauchen, dann
ist das ein Indiz, dass sie zumindest spannend sind. <strong>Gillian Flynn:
Gone Girl</strong> ist es auch, aber ein so dermaßen schlechtes Ende, das tat
schon weh. Die Buchverfilmung, die ich direkt im Anschluss gesehen habe,
hat mir nicht gut gefallen.</p>
<p>Schon häufiger ist es mir passiert, dass ich ein Buch las, über das Kritiker
schrieben: »full of ideas … grand in scope« – und ich fand eine Geschichte vor,
die höchstens beeindruckend war ob der aussagelosen Weitläufigkeit des Textes,
in anderen Worten: Es sind häufig Geschichten, die besser Exposition oder
Kurzgeschichte geblieben wären. Über <strong>Zia Haider Rahmans</strong> Debutroman <strong>In the
Light of What We Know</strong> bin ich gestolpert aufgrund des Zitates von Alex
Preston auf dem Cover: »The novel I’d hoped Jonathan Franzen’s ›Freedom‹
would be.« – Ja, in typischer »Grand Scope«-Manier ist ein Leitmotiv des
Buches der Gödelsche Unvollständigkeitssatz (abstrakt! Mathematik und
Logik!), aber wo andere Bücher daraus Realweltanalogien gebastelt
hätten, die unweigerlich lächerlich erscheinen für einen jeden, der ein
wenig Mathematik studiert hat, tritt in verschiedenen Situationen der
Vater des Protagonisten, seines Zeichens Physikprofessor, auf, zitiert
mehrfach Richard Feynman und erläutert außerdem erschöpfend, dass keine
Analogie jemals den Tatsachen gerecht wird. – Neben vielen anderen
Themen, die der Roman behandelt, ist das zentrale Thema aber auf
geradezu frappierend exakte Weise bereits vom Titel erschöpfend
behandelt: Die Realität lässt sich nicht ansatzweise so kontrollieren,
wie die Mathematik es zulässt: nachträglich erlangtes Wissen kann die
damals als korrekt eingestufte Bewertung einer Situation abstrus
verkehren – während ein mathematischer Beweis nunmal stimmt oder nicht.
Auch sehr interessant ist das Buch, weil es Einblicke in Welten gibt,
die den meisten Menschen verschlossen bleiben.
<a href="http://www.newyorker.com/magazine/2014/05/19/the-world-as-we-know-it">Diese Kritik</a>
fasst es gut zusammen:</p>
<blockquote><p>It is a novel that displays a formidable familiarity with élite
knowledge, and takes for granted a capacity for both abstract and
worldly thinking.</p></blockquote>
<p><strong>Daniel Suarez: Influx</strong> – Schon spannend aber auch ein bisschen flach
und vorhersehbar.</p>
<p><strong>F. Scott Fitzgerald: The Great Gatsby</strong> – so ein Klassiker. Kann man,
muss man aber nicht. Wie ich höre, veranstaltet man heutzutage (wieder?)
„Gatsby-Partys“…</p>
<p>Wenn ein Autor es schafft, einen allgemein bekannten <em>Ismus</em> zu prägen,
dann ist es meist ratsam, zumindest ein bisschen was im Original gelesen
zu haben. (Beispiel: Darwinismus. Aber Achtung: Fast alle Kommunisten
haben ihren eigenen Ismus, und nur weil der Trotzkyismus ein paar
Anhänger hat, heißt das noch nicht, dass man Trotzky lesen muss.) –
Worauf ich hinaus will: Wenn jemand es schafft, den Begriff Sadismus zu
prägen, der so sehr eigenes Wort ist, das kaum noch jemand den Autor
dahinter kennt, dann ist das doch interessant zu erforschen, wer de Sade
war. Und so habe ich mich also
hingesetzt – nicht zuletzt motiviert durch Adorno&Horkheimers Behandlung
des Themas – und zwei zentrale Werke des <strong>Marquis de Sade</strong> gelesen:
Zuerst <strong>Justine, oder die Leiden der Tugend</strong>, das nach 500 Seiten mit
einem geradezu epischen <em>cliff-hanger</em> aufhört; gefolgt von der
Weiterführung der Erzählung, diesmal aus der Sicht der Schwester:
<strong>Juliette, oder die Vorteile des Lasters</strong>. – Die <em>Justine</em> ist leider
etwas repetitiv und wäre interessanter, wenn sie halb so lang wäre. Die
<em>Juliette</em> aber hat mit knapp 300 Seiten eine gute Länge. Beide Romane
sind kurz vor dem Übergang 18./19. Jahrhundert entstanden, das heißt
sehr lange Zeit bevor Amoralität, Egoismus, Atheismus sowie
Anti-Christianismus, und natürlich: das offene Reden über sexuelle Akte
jeglicher Art und Coleur salonfähige Themen waren (wenn sie es das überhaupt jemals waren; sagen
wir: literaturfähig, man denke daran, dass selbst <em>Lolita</em> keinen
Verleger in den USA fand, dann im „liberalen Frankreich“ über einen
eher wenig seriösen Verlag publiziert wurde, kurze Zeit später aber für
zwei Jahre lang dort verboten war – und das war in den Neunzehnhundertfünfzigerjahren!). –
Nun also, de Sade schafft etwas, was ich nicht für möglich gehalten
hätte: Man schlage ein beliebiges der beiden Bücher zufällig auf und
lese 20 Seiten – und diese zwanzig Seiten stellen jeden
Hardcore-Scat-BDSM-Snuff-Porno in den Schatten (– gibt es sowas
in der Kombination überhaupt?). Wenn die ältere
Generation sagt: „Aber die heutige Jugend ist so verroht!“
(Stichworte: Killerspiele, Gewaltvideos, Pornokonsum), dann sage
ich: Wenn wir eines sind, dann sind wir – historisch gesehen – ziemlich
zivilisiert in der gesamtgesellschaftlichen Ausgestaltung unserer
Sexual-, Gewalt- und Tötungsphantasien. Wirklich.</p>
<p><strong>Gabriel Garcia Marquez: Die Liebe in den Zeiten der Cholera</strong>.
Etwas ausladend, aber gut.</p>
<p>Ich wohne jetzt in Sydney, und um ein bisschen Trivia-Kenntnisse zu
erlangen habe ich <strong>Bill Bryson: Down Under</strong> gelesen: Lustig und informativ. –
Aber ein wirklich unglaubliches Buch ist <strong>Bruce Chatwins</strong> Bericht <strong>The
Songlines</strong> über seine Reise durch das australische Outback auf den
Spuren der mündlich überlieferten Tradition der Aboriginies. Ja, es ist
anekdotisch und die Textgestalt ist ab der Mitte durch Exzerpte aus seinen
Notizbüchern recht eigenwillig; auch sollte man seiner Theorie über den
Mensch als ursprünglich nomadisch eine gewisse Skepsis entgegenbringen.
Aber interessant und <em>thought-provoking</em> ist dieses Buch in jedem Fall.</p>
<p><strong>Roberto Bolaño: Third Reich</strong>. Mehr alte Werke werden ausgegraben…</p>
<p><strong>Cormac McCarthy: The Road.</strong> – Hat mich eine Nacht lang wach gehalten.</p>
Git-Buch, zweite Auflage2014-12-06T12:14:00+01:00http://blog.plenz.com/2014-12/git-buch-zweite-auflage<p>Lange in Planung, aber nun ist sie endlich lieferbar: Die zweite,
überarbeitete Auflage des <a href="http://gitbu.ch">Git-Buchs</a> von
<a href="http://haenel.co">Valentin</a> und mir. Da ich gerade nicht am Lande bin, habe ich das
Buch noch nicht in den Händen gehalten, aber Valentin hat <a href="https://twitter.com/esc___/status/540990588603334657">ein Foto
gemacht</a>, denn das Buch
trägt das <a href="http://git-scm.com/downloads/logos">neue Git-Logo</a> auf dem Cover:</p>
<p><img src="/img/git_2ed_arrived.png" /></p>
<p>Die erste Auflage war <a href="http://blog.plenz.com/2011-06/das-gitbuch-ist-da.html">Mitte 2011</a> erschienen.
Etwas mehr als drei Jahre später ist diese ausverkauft, und es hat
sich so viel in Git verändert, dass es sich lohnt, den alten Text
nicht bloß nachzudrucken, sondern aufzuarbeiten (und die
<a href="http://gitbu.ch/errata-1ed.html">Fehler</a> zu korrigieren). Ich zitiere
aus dem Vorwort:</p>
<blockquote><p>Wir haben uns in der 2. Auflage darauf beschränkt, die Veränderungen
in der Benutzung von Git, die bis Version 2.0 eingeführt wurden, behutsam
aufzunehmen – tatsächlich sind heute viele Kommandos und Fehlermeldungen
konsistenter, so dass dies an einigen Stellen einer wesentlichen Vereinfachung
des Textes entspricht. Eingestreut finden sich, inspiriert von Fragen aus
Git-Schulungen und unserer eigenen Erfahrung, neue Hinweise auf Probleme,
Lösungsansätze und interessante Funktionalitäten.</p></blockquote>
<p>Teils sind die Änderungen nur minimal, und zielen darauf ab, Neulingen
die „moderne“ Syntax der Kommandos beizubringen: Statt <code>git commit
--amend -C HEAD</code> verwendet man nun zum Beispiel <code>git commit --amend
--no-edit</code>, einen Merge bricht man mit <code>git merge --abort</code> ab (statt
mit einem Hard-Reset), und das präferierte Pickaxe-Tool ist <code>-G</code>, nicht
mehr <code>-S</code> (ein subtiler Unterschied!).</p>
<p>Teils werden neue Optionen und Best-Practices (<code>push.default</code>!)
diskutiert, und neue, aber vermutlich wenig bekannte Optionen
vorgestellt (z.B. die neuen Strategie-Optionen der
Recursive-Merge-Strategie, mit denen man durch Whitespace-Unsinn
verursachte Merge- oder Rebase-Konflikte häufig automatisch lösen
kann).</p>
<p>Ein nicht unerheblicher Teil der Änderungen ist der Art, dass man sich
als Autor freuen kann: Zum Beispiel haben wir den gesamten Teil über
„Subtrees“ im Vergleich zu „Submodules“ umgeschrieben, so dass <a href="https://github.com/git/git/blob/master/contrib/subtree/git-subtree.txt">git
subtree</a>
verwendet wird, das nun Teil von Git ist. Dadurch fallen mal eben ein
Dutzend schwer zu merkender Kommandos weg und werden durch ein
Subkommando ersetzt, das eine eigene Man-Page bereithält.</p>
<p>Wir haben über die drei Jahre hauptsächlich sehr positives Feedback zu
dem Text erhalten. Insbesondere wurde von erfahrenen Anwendern häufig
gelobt, dass wir komplexe Beispiele verwenden und „schnell zum Punkt
kommen“. Der größte Kritikpunkt kam sicherlich aus der
Windows-Fraktion: Hier haben sich einige Leute etwas irritiert
gezeigt, wie sehr Unix-zentriert Textgestalt und Inhalte sind. Nach
reiflicher Überlegung haben wir uns entschieden, <em>nicht</em> von diesem
Kurs abzuweichen – insbesondere haben wir die Idee verworfen, eine
Auswahl an GUI-Clients ausführlich zu thematisieren. Wir konnten in
Git-Schulungen besonders mit „EGit“ (Eclipse) einiges an Erfahrung
sammeln, und unser Fazit fällt im Wesentlichen negativ aus: Die Tools
können nicht ansatzweise den Komfort und die Flexiblität des
Original-Git bieten, haben an einigen wesentlichen Stellen Probleme
– EGit kennt z.B. erst seit ein paar Monaten <code>fetch.prune</code>, und es
gibt noch nicht mal einen Knopf dafür im Fetch-Dialog… wie soll man da
effizient mit Branches arbeiten?! – und ändern sich außerdem noch viel
zu schnell, als dass eine gedruckte Dokumentation helfen würde.</p>
<p><img src="/img/git_2ed.png" style="border:0; display:block; margin:0 auto;" /></p>
<p>Eigentlich sollte die Neuauflage schon Ende des Sommers erscheinen.
Dass es nun doch so lange gedauert hat, war vor allem technischen
Gründen geschuldet: Die erste Auflage war in LaTeX geschrieben, doch
mittlerweile hat der <a href="http://www.opensourcepress.de/de/">Open Source Press-Verlag</a>
auf das eigens entwickelte Publishing-System <a href="http://www.textovia.com/">Textovia</a>
umgestellt, das <a href="http://www.methods.co.nz/asciidoc/">AsciiDoc</a> im
Hintergrund verwendet.</p>
<p>Für die initiale Konvertierung von ca. 780 KB LaTeX-Quellcode sind wir
dem Verlag sehr dankbar! Allerdings sind uns beim mehrmaligen
konzentrierten Durchgehen an diversen Stellen noch übrig gebliebene
LaTeX- und Konvertierungsartefakte aufgefallen, und so manchen
einfachen LaTeX-Hack konnten wir <a href="https://groups.google.com/forum/#!topic/asciidoc/PkEfawvsGJw">nicht ohne
Probleme</a>
in AsciiDoc umsetzen…</p>
<p>Die Umstellung auf das neue Format vereinfacht es <em>immens</em>, eine
Print-Version parallel zu mehreren EBook-Versionen zu produzieren;
insbesondere ist es aber so, dass nun im Print-Text <em>keine</em>
Seitenzahlen mehr referenziert werden, sondern nur noch
Abschnitt-Nummern. Wir hoffen, dass sich durch die Konvertierung nicht
zu viele neue Fehler eingeschlichen haben.</p>
<p>Neben der Tatsache, dass die neue Auflage moderner und konsistenter
ist, bietet sie eine ganz wesentliche Neuerung, die vielfach vermisst
wurde: Jedes gedruckte Buch enthält auf der ersten Seite einen Code,
mit dem man sich eine PDF-Version des Buches herunterladen kann: So
ist das Buch angenehm auf Papier zu lesen, aber gleichzeitig leicht zu
durchsuchen.</p>
KaLänder und Spenden2014-12-01T13:31:00+01:00http://blog.plenz.com/2014-12/kaländer-und-spenden<p>Erster Advent, Dezemberbeginn… Da drängt sich die Frage auf: Was soll
ich bloß Freunden und Bekannten zu Weichnachten schenken? Denn bis zum
Vierundzwanzigsten ist es nicht mehr lange hin.</p>
<p>Dabei kann die Antwort so einfach sein: Man schenke einfach einen
<a href="http://kalaender.via-weltwaerts.de/">„KaLänder“</a>!</p>
<p><img src="/img/kalaender2015-deckblatt.jpg" style="width:275px;" />
<img src="/img/kalaender2015-uebersicht.jpg" style="width:275px;" /></p>
<p>Der KaLänder wurde von Freiwilligen der Austauschorganisation <a href="http://via-ev.org/">VIA
e.V.</a> gestaltet, und das – mit ständig wechselnden
Teams – zum mittlerweile fünften Mal. Die Erlöse durch den Verkauf
werden wie immer <a href="http://kalaender.via-weltwaerts.de/unsere-spendenprojekte/">an ausgewählte Projekte weitergeleitet</a>.</p>
<p>Am einfachsten bestellt ihr einfach <a href="http://kalaender.via-weltwaerts.de/bestellen/">per E-Mail</a>.
Tip: Leitet die Links vorher an Kollegen und Bekannten in eurer
Umgebung weiter, sprecht euch ab und macht eine Sammelbestellung!</p>
<p>Und für diejenigen, die jetzt denken: Stimmt, eigentlich habe ich
immer noch keine Idee, was ich mit dem Rest meines 13. Jahresgehalts
mache… da hätte ich sonst auch noch eine Idee.</p>
<p>Das Projekt (<a href="http://www.wwtz.org">Watoto Wetu Tanzania</a>, ehemals Friends of
Don Bosco), in dem ich <a href="http://plenz.com/tansania/">ein Jahr lang</a>
mitgearbeitet habe, ist leider wie immer knapp bei Kasse; insbesondere
ist es wie jedes Jahr wieder schwierig, das überproportional hohe
Schulgeld zusammenzubekommen, denn ein Großteil der unterstützten
Kinder ist das Jahr über in anderen Städten auf Boarding Schools.</p>
<p>Spenden könnt ihr direkt auf dieses Konto (und VIA e.V. kann auf
Anfrage auch Spendenbescheinigungen ausstellen):</p>
<blockquote><p>Kontoinhaber: VIA e.V.<br />
IBAN: DE79 2405 0110 0065 0887 83<br />
Kreditinstitut: Sparkasse Lüneburg<br />
Verwendungszweck: WAWESG (bitte angeben!)</p></blockquote>
<p>Jede Spende hilft! Bei Fragen und für weitere Informationen zu Watoto
Wetu Tanzania könnt ihr gerne <a href="mailto:roberthoerner@wwtz.org">Robert Hörner</a>
und mich kontaktieren.</p>
Bookdump2014-10-26T13:33:00+01:00http://blog.plenz.com/2014-10/bookdump<p>Es ist eine ganze Weile vergangen, und ich habe sicherlich schon
wieder ein paar vergessen…</p>
<p>Bei der Neuerscheinung von <strong>Noam Chomskys</strong> <strong>How the World Works</strong>
handelt es sich um eine Kollektion von ein paar alten Texten und
aufbereiteten Interviews aus den 1990er Jahren. Zwei Exzerpte:</p>
<blockquote><p>Recall that about ten years ago, when David Stockman [director of
the Office of Management and Budget in the early Reagan years] was
kicked out, he had some interviews with economic journalist William
Greider. There Stockman pretty much said that the idea was to try to
put a cap on social spending, simply by debt. There would always be
plenty to subsidize the rich. But they wouldn’t be able to pay aid
to mothers with dependent children—only aid to dependent corporate
executives.</p></blockquote>
<p>Und:</p>
<blockquote><p>You still find plenty of poor, uneducated people smoking; in fact,
tobacco has become such a lower-class drug that some legal
historians are predicting that it will become illegal. Over the
centuries, when some substance became associated with “the
dangerous class,” it’s often been outlawed. Prohibition of alcohol
in [the US] was, in part, aimed at working-class people in New
York City saloons and the like. The rich kept drinking as much as
they wanted.</p></blockquote>
<p><strong>William S. Burroughs</strong> vielgefeiertes <strong>Naked Lunch</strong> – Na, zum
Glück war das Buch so kurz. Einfach nur bizarr. Ich mag schon
eigentlich ganz gerne, wenn eine Art von Geschichte erzählt wird. –
Besser gefiel mir da schon <strong>Jack Kerouacs</strong> <strong>On The Road</strong>, aber
wirklich bewegt hat es mich auch nicht.</p>
<p><strong>Dave Eggers: The Circle</strong> – Das liest man so an einem Sonntag weg.
Nett geschrieben und die Handlung gut vorhersehbar, aber es ist ein
jetzt aktuelles Zeitgeist-Portrait und wird als solches in ein paar
Jahren vermutlich seine Aktualität verloren haben.</p>
<p><strong>James C. Scott: Seeing Like a State</strong> – Ein Agrarwissenschaftler
verliert sich für ein paar Jahre in einem Thema, das ziemlich
interessant ist, und fasst seine Erkenntnisse in einem sehr
zugänglichen Sachbuch zusammen. Das Buch ist ein Aufruf, Diversität zu
zelebrieren, und Lokales Wissen (insbesondere im Kontext indigener
Völker) zu respektieren, erhalten und aktiv zu verwenden. Grundthema
des Buches ist die „legibility of a population“, für die man soziale
und Umwelt-Verhältnisse normalerweise metrisiert, das heißt in
vergleichbaren Zahlen ausdrückt (Hektar Norm-Wald, Bildungs-Index,
Populationsquerschnitt, etc.). Scott untersucht einige Beispiele
eingehender, und die Schlussfolgerung lässt sich in etwa wie folgt
zusammenzufassen: „Die Metrik ist nicht nur zu simpel, sie ist so
simpel, dass sie der Bevölkerung aktiv schadet und neue, dieser Metrik
angepasste Realitäten kreiert.“ – Lesenswert, wenn man sich für so ein
Thema begeistern kann.</p>
<p>Nachdem ich Huxley noch einmal gelesen hatte, musste ich zum Vergleich
auch noch mal <strong>Orwells</strong> Roman <strong>1984</strong> lesen. Ich bin nach wie vor
der Meinung, dass Huxley „mehr“ Recht hat in unserer momentanen
Entwicklung – aber man muss Orwell zugute halten, dass seine Erfindung
von „Newspeak“ sehr vorausschauend und auch heute noch hochaktuell
ist.</p>
<p><strong>David Benioffs</strong> Bestseller <strong>Stadt der Diebe</strong> ist ein schönes Buch
über eine Freundschaft in Zeiten des Krieges – aber auf gewisse Weise
ein Weltkriegsbuch, das sehr an andere seit den 2000ern erschienen
Romane zu diesem Thema erinnert. Es ist eine gewisse Leichtigkeit
darin, die vorher nicht möglich war, aber keinesfalls mehr neu ist.</p>
<p><strong>Per Petterson:</strong> <strong>Out Stealing Horses</strong> – Ein überraschend schöner
Roman. Ferienliteratur, finde ich. – Für <strong>Khaleed Hosseinis</strong> Roman
<strong>A Thousand Splendid Suns</strong> bin ich glaube ich doch ein bisschen die
falsche Zielgruppe. Mich hat das Buch auf jeden Fall nicht so sehr
berührt, und es bleibt beim Lesen ein fader Beigeschmack ähnlich wie
wenn man als Tourist in „exotischen Ländern“ das Kreuzfahrtschiff für
ein paar Stunden verlässt, und auf die oberflächlichst mögliche
Weise eine „Kultur kennen lernt“. –</p>
<p><strong>Glenn Greenwald: No Place to Hide</strong> ist ein wichtiges Buch. Wenn man
die Enthüllungen ein bisschen verfolgt hat, kennt man schon einen
großen Teil des dargestellten Bildes (aber <a href="http://blog.fefe.de/?ts=ad8c9334">Microsoft kommt wirklich
ganz schön schlecht weg</a>). Die ersten 90 Seiten über die
Kontaktaufnahme mit Snowden sind der reinste Krimi. Der letzte Teil
ist ein wenig zu viel Rumgeheule von Greenwald.</p>
<p><strong>Thomas Pynchon: Gravity’s Rainbow</strong> – Was soll man zu dem Buch bloß
sagen…? Die ersten dreihundert Seiten sind komplett verwirrend. Gegen
Mitte scheint sich ein kohärenter Plot zu entwickeln – aber das lässt
schnell wieder nach. Ab Seite 700 war ich nur noch darüber wütend, was
für eine Zeitverschwendung das Buch sei. Die Witze sind anfangs
vielleicht noch zum Schmunzeln… aber irgendwann reicht’s dann auch,
und „witzige Situationen“ wie die folgende: Eine Frau wird ausgeraubt,
hat aber einen Sprachdefekt und kann keine Umlaute aussprechen, und
ruft statt „Hübsch Räuber“ – ja, man errät es, „Hubsch Rauber“,
„Hubschrauber“, haha, was dann jemanden ein paar Häuser weiter (es ist
1920, niemand weiß was ein Hubschrauber ist…), der zufällig
Aerodynamik studiert (ah!), dazu veranlasst, etwas zu tun – naja, eine
solche Situation finde ich nur noch lustig, weil es so schlecht
erzwungen ist.</p>
<p>Zugestehen muss man Pynchon aber, dass er über eine schier
unglaubliche Allgemeinbildung verfügen muss. Das Buch driftet mitunter
in Richtungen ab, die komplett unerwartet kommen: An einem Nachmittag
sitze ich in einem kleinen Park in Neukölln am Lesen, und plötzlich
spielt die Geschichte auch in Neukölln – das ist schon ziemlich
verrückt, und ein bisschen frage ich mich, ob ich nicht einen Großteil
der Referenzen nicht verstanden habe. Und auch ein relativ unbekannter
Aspekt der deutschen Kolonialgeschichte, der Genozid der Herero durch
deutsche Kolonialherren im heutigen Namibia – für den sich die
deutsche Bundesregierung im Übrigen <a href="https://web.archive.org/web/20120823153459/http://www.bundestag.de/presse/hib/2012_08/2012_367/05.html">bis heute noch nicht
verantwortlich fühlt</a> – spielt eine nicht unbedeutende Rolle.</p>
<p><strong>Max Frisch: Homo Faber</strong> – <strong>John Williams: Stoner</strong>, ein wirklich
beeindruckendes weil unprätentiöses Buch. – <strong>Kazuo Ishiguro: Never Let Me Go</strong>,
hatte ich schon als Film gesehen, daher kam es mir die ganze Zeit
bekannt vor. Nicht wirklich zu empfehlen… – <strong>Cynan Jones: The Long
Dry</strong>, einer von den „Neuentdeckungen“, aber mich hat’s nicht so
mitgenommen. – <strong>Ned Vinzinni: It’s kind of a funny story</strong>, da war
ich auch nicht ganz die richtige Zielgruppe, aber es beleuchtet einen
wichtigen Punkt: Die Angst vor dem Versagen, die wir schon jungen
Erwachsenen einbläuen. – <strong>Hubert Selby Jr.: The Room</strong> – Damit konnte
ich nichts anfangen. – <strong>Hermann Hesse: Siddhartha</strong> – Jaja,
mythologisch-romantisch… aber nicht sein bestes Werk. –
<strong>Strugatski: Der Montag fängt am Samstag an</strong>, kann man lesen. Muss
man aber nicht.</p>
<p>Angeregt von Franzens Essay <em>Mr Difficult</em>, habe ich <strong>William Gaddis’</strong>
Roman <strong>The Recognitions</strong> gelesen… Mir hat’s gut gefallen, auch wenn
es an einigen Stellen arg verwirrend war – man könnte zum Beispiel
erwähnen, dass der vollkommen passive Hauptcharakter nach ca. einem
Drittel des Buches seinen Namen verliert (vergisst?), und so die
wörtliche Rede, die sowieso nur mit Gedankenstrichen angedeutet wird
und nicht indiziert, wer redet, noch unüberschaubarer wird, weil der
Protagonist entweder gar nicht mehr direkt, oder nur mit „my dear
fellow“ angeredet wird. Insgesamt liest sich das Buch wie eine
50er-Jahre-Hipster-Party, durchsetzt von unauflöslichem, allgemeinen
Weltzweifel – gespickt mit einer guten Portion christlichem
Mystizismus.</p>
<p>Um mich ein bisschen zu bilden, habe ich auch einen der
Kurzgeschichtenbände der Literaturnobelpreisträgerin <strong>Alice Munro</strong>
gelesen: <strong>Runaway</strong> gefiel mir gut, vor allem, weil nicht immer ganz
klar war, wie sehr die Geschichten nun wirklich zusammenhängen.</p>
<p><strong>Robert Charles Wilson: Spin</strong> – Das hat mich eine ganze Nacht
wachgehalten. Sehr spannend. Mehr Science Fiction? Ein Freund schenkte
mir <strong>Richard Morgans</strong> <strong>Altered Carbon</strong>, das auch empfehlenswert
ist.</p>
<p>Eine Neueentdeckung für mich war <strong>Knut Hamsun</strong>: Ich habe <strong>Hunger</strong>
und anschließend die <strong>Mysterien</strong> gelesen. Erinnert mich ein bisschen
an Dostojewski, nur halt nicht so russisch.</p>
<p>Den Tod Frank Schirrmachers habe ich als herben Verlust empfunden.
Ich habe aus jedem seiner Feuilleton-Artikel neue Denkanstöße mitnehmen können.
Ähnlich ging es mir mit <strong>Ego – Spiel des Lebens</strong>, definitiv
lesenswert, vor allem aufgrund der historischen Perspektive, die es
bietet.</p>
<p>Ich weiß beim besten Willen nicht mehr, wie ich dazu kam, mir ein
klassisches Tennis-Selbsthilfe-Buch auf meine Liste zu schreiben. Aber
auch außerhalb von Tennis (oder Sport überhaupt) bietet <strong>W. Timothy Gallweys</strong>
100-Seiter <strong>The Inner Game of Tennis</strong> gute Ratschläge: „Zu viel
Nachdenken ist hinderlich für Exzellenz.“</p>
<p>Ein Freund interessiert sich dafür, wie man fernöstliche Ideen mit
westlicher Philosophie verbinden kann und hat mir <strong>Alan Watts</strong>
geschenkt, <strong>Das Tao der Philosophie</strong>. Ich finde den Stil zu sehr wie
eine aufgezeichnete Radioansprache, die auch Erna (83) aus Norderstedt
verstehen soll.</p>
<p>Über alle Maßen beeindruckt war ich hingegen von <strong>Adorno/Horkheimers</strong>
Werk <strong>Dialektik der Aufklärung</strong>. Dialektik ist ein ziemlich
facettenreicher Begriff, aber beim Lesen dieses Textes habe ich das
erste Mal meisterhafte Dialektiker bei der Arbeit sehen können.
Man muss allerdings sagen, dass der Text nicht einfach zu lesen ist.
Ich musste dauernd Wörter nachschlagen, und das bisweilen
unnötigerweise, denn die Autoren benutzen hochgestochene Begriffe wie
<em>Fungibilität</em> und <em>Usance</em>, anstatt einfach <em>Austauschbarkeit</em> und
<em>Eigenschaft</em>. Auch tendieren sie dazu, Sätze sehr kompliziert zu
schachteln und Prozesse zu subjektifizieren, so dass man häufig
zweimal nachdenken muss, was gemeint ist – dann wird man aber belohnt.
Kostprobe gefällig?</p>
<blockquote><p>In der Reduktion des Denkens auf mathematische Apparatur ist die
Sanktion der Welt als ihres eigenen Maßes beschlossen. Was als
Triumph subjektiver Rationalität erscheint, die Unterwerfung alles
Seienden unter den logischen Formalismus, wird mit der gehorsamen
Unterordnung der Vernunft unters unmittelbar Vorfindliche erkauft.
Das Vorfindliche als solches zu begreifen, den Gegebenheiten nicht
bloß ihre abstrakten raumzeitlichen Beziehungen abzumerken, bei
denen man sie dann packen kann, sondern sie im Gegenteil als die
Oberfläche, als vermittelte Begriffsmomente zu denken, die sich erst
in der Entfaltung ihres gesellschaftlichen, historischen,
menschlichen Sinnes erfüllen – der ganze Anspruch der Erkenntnis
wird preisgegeben.</p></blockquote>
<p>Ich hatte kurz vorher die Odyssee gelesen, insofern gefiel mir auch
besonders der Exkurs über die Dialektik von Mythos und Aufklärung am
Beispiele von Odysseus. Was ich mich frage ist: Inwieweit hat Homer
diese Dialektik durchschaut? Es ließ sich für mich aus dem Text nicht
herauslesen, ob die Autoren Homers Text neu interpretieren, oder ihm
nur etwas ablesen, dessen Tiefgründigkeit bisher nicht als solche
erkannt wurde.</p>
Bookdump2014-04-27T15:03:00+02:00http://blog.plenz.com/2014-04/bookdump<p>Es hat sich mal wieder einiges angesammelt:</p>
<p><strong>Robert A. Caro: The Power Broker</strong> – die monumentale Biographie einer
Person und der Stadt, die er wesentlich prägte. Ich hatte vorher den
Namen noch nie gehört, und war auch noch nie in New York City. Es ist
mehr als beeindruckend zu lesen, wie ein so außergewöhnlicher Mensch
sich durch politische Einflussnahme, Intelligenz, Willensstärke und
Ausnutzung trivial scheinender Gesetzeslücken auf nicht-demokratische
Weise in einem demokratischen System zum de-facto Alleinbestimmer über
Bauvorhaben emporhebt und so die Realität des New Yorker Alltagslebens
ganz entschieden bestimmt. (Achtung: Das Buch hat 1300 Seiten und wiegt
gute 1,5kg, eignet sich daher nur bedingt zum Herumtragen…)</p>
<p>Auf Drängen eines Freundes habe ich eines von <strong>Hannah Arendts</strong>
zentralen theoretischen Werken gelesen, <strong>Vita Activa</strong> (engl. <em>The
Human Condition</em>). Mir gefiel ihr Stil nicht wirklich: Zu viel versucht
sie zu „beweisen“, indem sie etymologische Ursprünge von Wörtern im
Griechischen untersucht, oder Wort-Zusammensetzungen in anderen Sprachen
analysiert und den entsprechenden Konnotationen intrinsische Wahrheit
über die Begriffe abzugewinnen versucht.</p>
<p><strong>Hermann Hesses</strong> Roman <strong>Das Glasperlenspiel</strong> ist eines der
behutsamsten, intellektuell durchkonstruiertesten Geschichten, die ich
gelesen habe. Die Hingabe und Aufrichtigkeit, mit der Joseph Knecht
seiner Aufgabe als Glasperlenspielmeister nachgeht, ist so
beeindruckend und einfach „schön“, die ganze Welt Kastaliens so
liebevoll und detailliert porträtiert, dass ich das Buch kaum
weglegen wollte – bis ich zu den Anhängen, den fiktiven Lebensläufen
Knechts kam: die ich nur noch halbherzig überflogen habe; zu stark
kommen die buddhistischen, spirituellen,
wiederkehr-und-ganzheits-philosophischen Gedanken durch, die mir immer
(auch bei anderen Autoren) als ausweichend, nicht tief gehend und
verklärend sauer aufstoßen. Schade. (Mein früherer Mitbewohner Sergej,
damals Mathematiker ein dutzend Semester über mir, schwärmte immer von
der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kohomologie">Kohomologietheorie</a> als einem „wahren Glasperlenspiel“ –
und nach der Lektüre weiß ich endlich, was er damit immer meinte, und
bin geneigt, ihm zuzustimmen.)</p>
<p>Ein bisschen später habe ich noch Hesses <strong>Demian</strong> gelesen. Auch eine
wunderschöne Geschichte.</p>
<p><strong>Michel Houellebecq: Ausweitung der Kampfzone</strong> – Schreibstil und
Protagonist gefielen mir nicht so gut, aber die Lektüre belohnt: Hie
und da blitzen pointierte gesellschaftskritische Passagen auf, die es
in sich haben – und die ich zumindest so schnell nicht vergessen
werde.</p>
<p>Einen Klassiker unter den Abenteuerbüchern, <strong>Jon Krakauers</strong> Bericht
einer im Frühjahr 1996 katastrophal endenden Mount-Everest-Expedition
mit dem überaus passenden Titel <strong>Into Thin Air</strong>, habe ich an einem
Abend bei Schnee und -10°C Außentemperatur verschlungen: extrem
spannend. Minutiös und mit geschultem Blick für lokale Verhältnisse
erläutert Krakauer nicht nur den Aufstieg, sondern auch die (meist
abseits der zahlenden Bergsteiger stattfindende) Planung, Hintergründe
seiner Mit-Bergsteiger und stellt nicht zuletzt auf fesselnde Weise
dar, wie sehr der Menschliche Körper in eisiger Kälte und viel zu
dünner Luft den letzten Rest eingebildeter Rationalität vergisst –
ohne dasselbe überhaupt mitzubekommen. Ihm kommt außerdem die schwere
Aufgabe zu, als einer der Überlebenden einer Expedition, an deren
<em>summit push day</em> insgesamt 10 Leute ihr Leben ließen, auch bei sich
selbst und den anderen Beteiligten Fehler festzustellen – und zu
reflektieren, wie es möglich ist, nach so einem Vorfall wieder zurück
ins „normale Leben“ zu kehren. Unbedingte Lese-Empfehlung.</p>
<p><strong>Die Blendung</strong> von <strong>Elias Canetti</strong> hatte ich schonmal mit 18
Jahren angefangen und nach 100 Seiten gähnend weggelegt. Beim
neuerlichen Lesen war das Buch eigentlich ganz gut: Ein schwacher
Mittelteil – mir zu viele vorhersehbare und übertriebene Kopfgeburten
der Leute –, aber starker erster und letzter Teil. Kann man schon
lesen.</p>
<p>Den neuen Roman von <strong>Umberto Eco</strong>, <strong>The Prague Cemetary</strong>, war nicht
so mein Fall.</p>
<p><strong>Jewgenij Samjatins</strong> 200-Seiter <strong>Wir</strong> erschien schon 1920, das heißt
vor Huxleys <em>Brave New World</em> und Orwells <em>1984</em> – und ich muss dem
Nachwort zustimmen:</p>
<blockquote><p>Dennoch bestehen grundlegende Unterschiede zwischen den drei Werken.
Samjatins prophetische Leistung steht weit über der der beiden andern:
Als er seinen Roman schrieb, existierte der Totalitarismus erst im
Embryonalzustand – als Huxley schrieb, hatte die
monopolkapitalistische Rationalisierung in Amerika ihren ersten
Höhepunkt erreicht (Ford), als Orwell schrieb, stand der Stalinismus
im Zenit der Macht. Dafür konnten die beiden Engländer das Antlitz der
modernen Welt präziser und pointierter zeichnen.</p></blockquote>
<p>Mit der Entwicklungshilfe und -politik ist es ja so eine Sache: Wie soll
man die „dritte Welt“ behandeln? Direkte Hilfe? Hilfe zur Selbsthilfe?
In Ruhe lassen? Was hilft eigentlich wirklich? – Im Wesentlichen geht es
bei Entwicklungshilfe, wenn sie nicht in Waffenlieferungen besteht, fast
immer um Länder, deren Bevölkerung großteils extrem arm ist: Die
Menschen, die von weniger als einem US-Dollar am Tag leben. Die beiden
Wirtschafts-Professoren <strong>Duflo</strong> und <strong>Banerjee</strong> analysieren in ihrem
Buch <strong>Poor Economics</strong>, wie Wirtschaft in „arm“ funktioniert: Es gibt
keine Banken (warum nicht? wer verleiht das Geld und zu welchen
Zinssätzen?); es gibt keine gesundheitlichen und sozialen
Sicherungssysteme (wie sparen für den Notfall? was, wenn die Ernte
verdirbt?); das Risiko des totalen Bankrotts ist immer imminent (wie
damit umgehen?). – Kurz: Wirtschaft funktioniert ganz anders, wenn man
so gut wie kein Geld hat. Die Frage, die sich natürlich stellt ist: Gibt
es Möglichkeiten, Institutionen oder Policies zu schaffen, um diese
Zustände zu verbessern? Duflo und Banerjee kritisieren die
„Monokultur-Ansätze“ von J. Sachs („Mehr Geld behebt das Problem“) und
W. Easterly („Keine Hilfe zu geben lässt zu, eigene Lösungen zu
finden“), und bewegen sich von Fall zu Fall durch verschiedene
Lösungsansätze konkreter Probleme und bewerten die Wirksamkeit. Das ist
das Ziel des Buches:</p>
<blockquote><p>This book is an invitation to think again, <em>again</em>: to turn away from
the feeling that the fight against poverty is too overwhelming, and to
start to think of the challenge as a set of concrete problems that,
once properly identified and understood, can be solved one at a time.</p></blockquote>
<p>Leseempfehlung für alle, die sich mit Entwicklungshilfe
auseinandersetzen wollen.</p>
<p>In den vergangenen Monaten habe ich <strong>Jonathan Franzen</strong> für mich
entdeckt: Zuerst habe ich <strong>Freedom</strong> gelesen: locker und leicht, aber
doch genug Dilemma, damit das Panorama nicht allzu beiläufig wirkt. An
einigen Stellen wirkte der Roman recht autobiographisch. Man vergleiche
das folgende Textfragment aus <em>Freedom</em>…</p>
<blockquote><p>In a pocket of his khakis was a handful of coins that he took out
and began to fling, a few at a time, into the street. He threw them
all away, the pennies of his innocence, the dimes and quarters of
his self-sufficiency. He needed to rid himself, to rid himself. He
had nobody to tell about his pain […]. He was totally alone and
didn’t understand how it had happened to him.</p></blockquote>
<p>Mit <a href="http://www.theguardian.com/books/2013/sep/13/jonathan-franzen-wrong-modern-world">diesem Bericht</a> (<a href="http://web.archive.org/web/20130914003746/http://www.theguardian.com/books/2013/sep/13/jonathan-franzen-wrong-modern-world">Archiviert</a>) einer Reise Franzens
in Deutschland:</p>
<blockquote><p>Real anger, anger as a way of life, was foreign to me until one
particular afternoon in April 1982. I was on a deserted train
platform in Hanover. I'd come from Munich and was waiting for a
train to Berlin, it was a dark grey German day, and I took a handful
of German coins out of my pocket and started throwing them on the
platform. There was an element of anti-German hostility in this,
because I'd recently had a horrible experience with a penny-pinching
old German woman and it did me good to imagine other penny-pinching
old German women bending down to pick the coins up, as I knew they
would, and thereby aggravating their knee and hip pains. The way I
hurled the coins, though, was more generally angry. I was angry at
the world in a way I'd never been before.</p></blockquote>
<p>Daraufhin habe ich eine seiner Essay-Kollektionen, <strong>How to be Alone</strong>,
gelesen. Sehr zu empfehlen! Der Mann kann wirklich gut schreiben, und
schämt sich auch nicht, seine Schwächen öffentlich zu diskutieren.
Aus <em>Mr. Difficult</em> (dem lustigsten der Artikel, der aber doch ziemlich
ernst ist):</p>
<blockquote><p>It’s hard to consider literature a medicine, in any case, when
reading it serves mainly to deepen your depressing estrangement
from the mainstream …</p></blockquote>
<p>Und dann habe ich noch zur Abrundung <strong>The Corrections</strong> gelesen. Ein
Panorama ähnlich <em>Freedom</em>, aber so langsam habe ich genug davon. Ich
hole mir lieber noch einen weiteren Essay-Band…</p>
<p>Es gibt so Klassiker, die ich nie lese, weil ich das Thema nicht
ansprechend finde. So ging es mir mit <strong>Harper Lees</strong> <strong>To Kill a Mockingbird</strong>,
bis ein Freund mir das Buch auslieh und meinte ich müsste es lesen. Und
ja, das ist ein beendruckend schönes Buch mit ungeahnter moralischer
Komplexität.</p>
<p>Ich wollte ins Theater gehen, denn es wurde Dostojewskis <em>Der Spieler</em>
aufgeführt. Aber die Vorstellung wurde kurzzeitig abgesagt, und
stattdessen wurde <strong>Die Wirtin</strong> gespielt. Leider konnte ich doch nicht
zu der Vorstellung gehen, und die Geschichte hat mir auch nicht wirklich
gut gefallen. Aber da das Buch nun schonmal aufgeschlagen war, habe ich
<strong>Der ewige Gatte</strong> gelesen, und das ist eine der gelungensten
Kurzgeschichten des Autors, wie ich finde.</p>
<p>Ich war eine Woche in Dubai und hatte nichts zu lesen dabei, also war
ich dort einkaufen: <strong>Roberto Bolaño: Woes of the true Policeman</strong> –
Interessant vor allem für Leute, die 2666 gemocht haben (für die
Biographie Arc(h)imboldis) – aber vielleicht auch als eigenständige
(Fragment-)Lektüre insteressant. –
<strong>Ernest Hemingway: A Farewell to Arms</strong>, nicht so sehr beeindruckend.
Aber eine schöne Ausgabe mit 47 alternativen Enden. –
<strong>Gustave Flaubert: Madame Bovary</strong>, die Geschichte startet so schön
schnell: Junge schafft Studium nicht, dann doch, dann Heirat, dann Tod
der bösen Frau, dann neue Heirat – und das alles in den ersten Kapiteln.
Aber dann zieht sich die Handlung über die nächsten hundert Seiten so
dermaßen, dass ich irgendwann keine Lust mehr drauf hatte. Ich bin
vielleicht auch nicht die Zielgruppe.</p>
<p><strong>Italo Calvino: Wenn ein Reisender in einer Winternacht</strong> – hätte man
etwas kürzer, dafür aber besser machen können. Mehr meta.</p>
<p>Ich habe mich endlich mal an <strong>Thomas Mann</strong> gemacht.
<strong>Die Buddenbrooks</strong> fand ich ziemlich langatmig, und an vielen Stellen
zu kalt und distanziert, wenig einfühlsam, obwohl doch bewusst
persönliches Drama geschildert werden sollte. Als Charakterisierung und
Beschreibung des Niedergangs einer Familie aber natürlich meisterhaft.
(Nachtrag 2014-05-21: Musil schreibt 1905 in sein Tagebuch: „Statt dessen las
ich die Buddenbrocks [sic]. Sehr fein und langweilig; vielleicht meisterlich al
fresco – aber langweilig; mitunter überraschend souverän.“)</p>
<p>Reiseliteratur neu definiert haben soll <strong>Bruce Chatwins</strong> Bericht über
eine Expedition ins südliche Südamerika, <strong>In Patagonia</strong>. Ich war wenig
beeindruckt, leider: Eine Aneinanderreihung von Geschichten und
Begegnungen, aber keine davon hat mich wirklich berührt. Etwas Abenteuer
ist natürlich auch dabei:</p>
<blockquote><p>‘You could break a leg,’ she said, ‘or get lost and we’d have to
send a search party. We used to ride it in a day, but you can’t get
a horse through now.’</p>
<p>And all because of the beavers. A governor of the island brought
the beavers from Canada and now their dams choked the valleys where
once the going was clear. But still I wanted to walk the track.</p></blockquote>
<p>Dazu in der ZEIT: <a href="http://www.zeit.de/2013/27/biber-suedamerika/komplettansicht">Der Biberkrieg</a>,
wie die Biberplage in Feuerland eingedämmt werden soll.</p>
<p>Ich habe mich auch an <strong>James Joyce</strong> versucht: <strong>A Portrait of the Artist as
a Young Man</strong>. Also damit konnte ich ja mal überhaupt nichts anfangen.
Und noch ein Stück Weltliteratur, die ich irgendwie gar nicht verstehe:
<strong>Gabriel García Márquez</strong>, <strong>Hundert Jahre Einsamkeit</strong>. Alle Leute
heißen gleich, und ich kann mit der Geschichte gar nichts anfangen.</p>
Besagter Lenz2014-03-02T12:22:00+01:00http://blog.plenz.com/2014-03/besagter-lenz<blockquote><p>Die Gärten sind nur noch zum Scheine kahl.<br />
Die Sonne heizt und nimmt am Winter Rache.<br />
Es ist zwar jedes Jahr dieselbe Sache,<br />
doch es ist immer wie zum erstenmal.</p></blockquote>
<p>(Aus: Erich Kästner, »Besagter Lenz ist da«, 1928)</p>
Musil2013-12-02T00:10:00+01:00http://blog.plenz.com/2013-12/musil<p>Ich habe in den letzten drei Monaten alle veröffentlichten Werke von
<strong>Robert Musil</strong> gelesen, sowie zwei kleine Bücher mit
Tagebuchfragmenten und Briefen des Autors. Irgendwie habe ich die
Lektüre noch nicht in Gänze verarbeitet; aber vielleicht hilf es ein
wenig, darüber zu schreiben, um ein bisschen zu beleuchten, was
mich an diesem Autor fasziniert.</p>
<p>Man kommt bei Musil nicht umhin, ihn für seinen Stil zu loben: Wie
mathematisch-präzise, wie realistisch! Niemals wird ein Ding ver-klärt,
um es zu er-klären – lieber wird auf eine genaue Charakterisierung
verzichtet zugunsten einer rigorosen, aber bruchstückhaften, teilweise
zu keinem eindeutigen Schluss kommenden Behandlung.</p>
<p>Der Stil ist aber für Musil nur Mittel zum Zweck:</p>
<blockquote><p>Ich wäre dem Publikum sehr dankbar, wenn es weniger meine
ästhetischen Qualitäten beachten würde und mehr meinen Willen. Stil
ist für mich die exakte Herausarbeitung eines Gedankens.</p></blockquote>
<p>Musil ist generell sehr anstrengend zu lesen, und die Bücher liegen
mir auch Monate nach der Lektüre noch sperrig im Kopf; ich konnte mir
bisher kein abschließendes Urteil zu dem literarischen Werk dieses
Autors bilden. Daher muss es an dieser Stelle genügen, ein paar
Gedanken und Zitate zu den Büchern aufzulisten, in der Reihenfolge, in
der ich sie gelesen habe.</p>
<h3>Der Mann ohne Eigenschaften</h3>
<p>Lang, in der Mitte fast einschläfernd, aber besonders im Nachhinein
ein unglaubliches Buch. Die Präzision, mit der Musil schreibt, ist
beeindruckend: Gedanken, die ich selbst schon wage hatte, werden dort
so detailliert und umfassend dargestellt, dass ich mehrere Kapitel
wieder gelesen habe und teilweise nach Tagen noch ein mir im Kopf
herumspukendes Zitat rausgeschrieben habe. Wäre es nicht so lang,
würde ich es gleich noch einmal lesen.</p>
<p>Die Hauptperson des Buches, der Mathematiker und Philosoph Ulrich, ist
ein Charakter, der mir selbst sehr ähnlich scheint. Das
ständige Es-könnte-auch-anders-sein, das sich immer Wiederholende Suchen nach
strukturellen Gründen, nach ursprünglichen Prinzipien, die sich bei
näherer Betrachtung als Trugschlüsse erweisen – dieses
Ohne-Eigenschaften-Sein – aber in einem positiven Sinne! – trifft auch
auf mich zu. Die Dinge passieren um uns, und wir werden geformt: nicht
umgekehrt.</p>
<p>Ein Paradestück der Analyse ist zum Beispiel dieser Abschnitt aus dem
Kapitel 34, <a href="http://gutenberg.spiegel.de/buch/7588/35">Ein heißer Strahl und erkaltete Wände</a>:</p>
<blockquote><p>Im Grunde wissen in den Jahren der Lebensmitte wenig Menschen mehr, wie
sie eigentlich zu sich selbst gekommen sind, zu ihren Vergnügungen, ihrer
Weltanschauung, ihrer Frau, ihrem Charakter, Beruf und ihren Erfolgen,
aber sie haben das Gefühl, daß sie betrogen worden seien, denn man kann
nirgends einen zureichenden Grund dafür entdecken, daß alles gerade so
kam, wie es gekommen ist; es hätte auch anders kommen können; die
Ereignisse sind ja zum wenisten von ihnen selbst ausgegangen, meistens
hingen sie von allerhand Umständen ab, von der Laune, dem Leben, dem Tod
ganz anderer Menschen, und sind gleichsam bloß im gegebenen Zeitpunkt auf
sie zugeeilt. So lag in der Jugend das Leben noch wie ein unerschöpflicher
Morgen vor ihnen, nach allen Seiten voll von Möglichkeiten und Nichts, und
schon am Mittag ist mit einemmal etwas da, das beanspruchen darf, nun ihr
Leben zu sein, und das ist im ganzen doch so überraschend, wie wenn eines
Tags plötzlich ein Mensch dasitzt, mit dem man zwanzig Jahre lang
korrespondiert hat, ohne ihn zu kennen, und man hat ihn sich ganz anders
vorgestellt.</p></blockquote>
<p>Vergleiche auch die Fabel Kafkas Über die Einengung der Maus, in der die
Katze sagt: „Du musst doch bloß die Laufrichtung ändern!“ – Der
Abschnitt geht weiter mit:</p>
<blockquote><p>Noch viel sonderbarer aber ist es, daß die meisten Menschen das gar
nicht bemerken; sie adoptieren den Mann, der zu ihnen gekommen ist,
dessen Leben sich in sie eingelebt hat, seine Erlebnisse erscheinen
ihnen jetzt als der Ausdruck ihrer Eigenschaften, und sein Schicksal
ist ihr Verdienst oder Unglück.</p></blockquote>
<p>Im Nachhinein bleibt vor allem das Antiklimaktische des Buches hängen:
Musil <a href="http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43062235.html">sagte selbst</a> über den
Roman: „Die Geschichte dieses Romans kommt darauf hinaus, daß die
Geschichte, die in ihm erzählt werden sollte, nicht erzählt wird.“</p>
<p>Warum passierte denn nichts, warum fing Ulrich nichts mit seinen so
wohldurchdachten Erkenntnissen an? Aber auch diese Frage wird ja
beantwortet im Gespräch mit Agathe:</p>
<blockquote><p>»Weshalb sind wir denn keine Realisten?« fragte sich Ulrich. Sie waren
es beide nicht, weder er noch sie, daran ließen ihre Gedanken und
Handlungen längst nicht mehr zweifeln; aber Nihilisten und Aktivisten
waren sie, und bald das eine bald das andere, je nachdem wie es kam.</p></blockquote>
<p>Gott ist tot: Das Nietzsche’sche Denken durchtränkt das Buch (explizit
bei Clarisse; praktischer und struktureller bei Ulrich, der sich der
Unzulänglichkeiten der Moral und der Unbestimmbarkeit von absolutem
Gut und Böse längst verschrieben hat). Es ist auch ein gutes Stück
Entfremdung darin, aber einer geistigen Art (also nicht im Marx’schen
Sinne): Vielmehr eine Erkenntnis der Nicht-Erkennbarkeit der Welt, und
auf diese Erkenntnis folgt nicht der Aufbau neuer Sinn-Kathedralen,
sondern ein zerfaserndes, dielektisches Verneinen dessen, was „die
Leute“ tun, ohne erkennbares Ziel außer wissenschaftlicher Strenge
allem was „ist“ gegenüber.</p>
<p>Es ist definitiv ein philosophischer Roman – aber es fühlt sich ganz
anders an, als wenn man Philosophie liest:</p>
<blockquote><p>[Ulrich] war kein Philosoph. Philosophen sind Gewalttäter, die keine
Armee zur Verfügung haben und sich deshalb die Welt in der Weise
unterwerfen, daß sie sie in ein System sperren.</p></blockquote>
<p>Und so bleibt alles fragmentarisch, aphoristisch, essayistisch –
doch gleichzeitig vermittelt das Buch, dass dies die einzige
Betrachtungsweise der Welt ist, die man zu rechtfertigen in der Lage
ist. (Interessant, dass Ulrich gar keine zynischen Züge trägt.)</p>
<p>Vielleicht ist es das für mich bisher bedeutendste Buch, das ich
gelesen habe.</p>
<p>Einige der Kapitel, gerade in der ersten Hälfte, kann man fast
kontextlos lesen und verstehen. Zu empfehlen sind zum Beispiel:</p>
<ul>
<li><a href="http://gutenberg.spiegel.de/buch/7588/14">Kapitel 13: Ein geniales Rennpferd reift die Erkenntnis, ein Mann ohne Eigenschaften zu sein</a></li>
<li><a href="http://gutenberg.spiegel.de/buch/7588/41">Kapitel 40: Ein Mann mit allen Eigenschaften, aber sie sind ihm gleichgültig. Ein Fürst
des Geistes wird verhaftet, und die Parallelaktion erhält ihren
Ehrensekretär</a></li>
<li><a href="http://gutenberg.spiegel.de/buch/7588/63">Kapitel 62: Auch die Erde, namentlich aber Ulrich, huldigt der Utopie des Essayismus</a></li>
<li><a href="http://gutenberg.spiegel.de/buch/7588/101">Kapitel 100: General Stumm dringt in die Staatsbibliothek ein und sammelt Erfahrungen
über Bibliothekare, Bibliotheksdiener und geistige
Ordnung</a></li>
</ul>
<h3>Tagebücher und Briefe</h3>
<p><strong>Aus den Tagebüchern</strong> (Suhrkamp-Edition 1963):
Beeindruckendes Essay-Fragment „Aus dem stilisierten Jahrhundert (Die
Straße)“ über die 2x2=4-Welt der Leute, wie man diese Welt
transzendiert und doch wieder erwacht, ohne den Finger darauf legen zu
können, <em>wie</em> man „diesen Leuten“ eigentlich voraus ist (und ob man es
überhaupt ist: doch das Gefühl bleibt).</p>
<p>Und immer wieder das Strukturelle, z.B. in folgender Selbstbeobachtung:</p>
<blockquote><p>Am nächsten komme ich der Beschreibung meines Gedächtnisses (und auch
meiner Phantasievorstellung) mit folgendem: Ich stelle in jeder Hinsicht
unanschaulich vor, etwa in »Sachverhalten«. Ich merke mir auch selten
Einzelheiten, sondern immer nur irgendeinen Sinn der Sache. Aus den
Sachverhalten, die ganz formlos da sind, fast nicht da sind, bilden sich
auf eine Weise, die ich nicht analysiert habe, die Aussagen.</p>
<p>Ich glaube, daß ich deshalb auch so schwer schreibe.</p></blockquote>
<p>Und:</p>
<blockquote><p>Ich sehe nicht ein, warum man in Begriffen sich verständigen soll,
statt in Vorstellungen. Ich würde mich – vielleicht – lieber – in
Vorstellungen verständigen, wenn es ginge. Man soll mir
widersprechen.</p></blockquote>
<p>Eine weitere Selbstbeobachtung:</p>
<blockquote><p>Ich glaube, ich habe keine Moral. Grund: Mir wird alles zu
Bruchstücken eines theoretischen Systems. Die Philosophie habe ich
aber aufgegeben, so fällt die Berechtigung weg. Es bleiben nur:
Einfälle. –</p></blockquote>
<p>Das <strong>Musil-Lesebuch</strong> (Rowohlt 1991) muss man nicht unbedingt gelesen
haben; Fragmente der Romane, die man besser ganz liest. Aber ein paar
der bekannten kurzen Essays, die in dem Suhrkamp-Buch fehlen.</p>
<h3>Die Verwirrungen des Zöglings Törleß</h3>
<p>In der Neuausgabe des MoE von Anaconda waren einige OCR-Scan-bedingte
Satzfehler; die habe ich an den Verlag geschickt, der sich prompt
dafür bedankte, indem ich mir ein Buch meiner Wahl aus dem Sortiment
aussuchen konnte: Den Törleß. (Übrigens eine schöne Ausgabe mit Leseband!)</p>
<p>Ich hatte das Buch einmal in der Schule gelesen, ohne mich darum zu
kümmern. Tatsächlich ist es ein beeindruckendes Portrait einer
Unsicherheit, die vielleicht nicht alle Menschen nur in der Pubertät
ereilt: Die Welt zwischen Wissen und Fühlen, dass die Dinge eigentlich
viel tiefer sind, als Umstehende ihnen zugestehen wollen. Interessant,
wie die imaginären Zahlen, die – zumindest für einen Schüler – so
berechtigungslos und doch nützlich in der Mathematik auftauchen, als
Aufhänger dienen.</p>
<h3>Erzählungen und Theaterstücke</h3>
<p><strong>Drei Frauen</strong> – „Grigia“ schön kafkaesk; die anderen beiden haben
keinen Eindruck auf mich gemacht.</p>
<p><strong>Vereinigungen</strong> –
„Die Vollendung der Liebe“: Kann man die Genesis eines Gedanken
überhaupt so genau beschreiben? Die Zugfahrt, während derer sie den
Einfall eines Seitensprunges erhält, ist meisterhaft. –
Die zweite Erzählung ist mir zu voll von „tierisch“ und tiefen,
wabernden Gedanken, die irgendwann klein und hart und fest werden.
Generell etwas, was mich in den frühen Werken stört, weil ich damit
nichts anfangen kann.</p>
<p><strong>Die Schwärmer</strong> (Theaterstück) – Schwer. Interessant. Schwer
bestimmbare Charaktere. Ich würde die Wirkung des Stücks gerne mal
auf der Bühne sehen. Zwei Zitate:</p>
<blockquote><p>Alles hat einen Riß, wenn man klug ist und nicht glaubt?</p></blockquote>
<p>Und:</p>
<blockquote><p>Das menschlichste Geheimnis der Musik ist ja nicht, daß sie Musik
ist, sondern daß es mit Hilfe eines getrockneten Schafdarms gelingt,
uns Gott nahe zu bringen.</p></blockquote>
Bookdump2013-12-01T23:50:00+01:00http://blog.plenz.com/2013-12/bookdump<p>Trotz meiner SciFi-Aversion habe ich auf mehrfache Empfehlung <strong>Orson
Scott Caros</strong> (schon ziemlich altes) Buch <strong>Ender’s Game</strong> gelesen.
Spannend! Der Film gefiel mir auch ganz gut – auch wenn man ihn viel
besser versteht, wenn man das Buch gelesen hat: vieles wird nicht so
klar herausgearbeitet. Hier ist noch ein <a href="http://www.wired.com/underwire/2013/10/cardqa/">interessantes Interview mit
dem Autor</a>.</p>
<p>Ab und zu finde ich in einer Grabbelkiste mal einen Roman von <strong>Ian
Rankin</strong>, den ich noch nicht kenne: <strong>Doors Open</strong> ist ein nettes Buch
über einen Kunstraub, und es ist nett, Rankin auch mal aus der
Perspektive von nicht-Polizisten erzählen zu hören.</p>
<p>An einem Wochenende im September war ich in Kopenhagen, und obwohl ich
zwei Bücher dabei hatte, war ich schon am Samstag mit ihnen durch.
Wo findet man in Kopenhagen auf einen Sonntag Nachmittag ein
englischsprachiges Buch? Der einzige Ort, wo ich tatsächlich Erfolg
hatte, war <a href="http://goo.gl/maps/Q70An">dieses Cafe</a>, das gleichzeitig
ein Antiquariat ist. Selbiges hat am Sonntag geschlossen, aber es gibt
ein paar Bücherregale, in denen sich Besucher ein Buch ausleihen (und
dann auch käuflich erwerben) können. Das noch beste Buch, das ich
fand, war ein mittlerweile nicht mehr lieferbares Buch von <strong>Richard
Cox</strong>, <strong>The Katanga Run</strong>. Es geht um Ex-Fliegerkameraden, die einen
alten Groll hegen, sich dann aber Anfang der 60’er Jahre im Kongo auf
verschiedenen Seiten eines Konfliktes wiederfinden. Kein gutes Buch,
und die Erzählung gipfelt darin, dass der UN-Generalsekretär unter
mysteriösen Umständen abstürzt – aber keine Woche später lese ich die
Meldung, <a href="https://taz.de/Juristenkommission-legt-Bericht-vor/!123422/">dass die UN genau diesen 52 Jahre alten Fall neu untersuchen
will</a>,
und beim Nachlesen über dieses Ereignis kam mir das Buch trotz seines
Tom-Clancy-Stils historisch ziemlich akkurat vor. Zufälle gibt’s.</p>
<p>Das 2010 erschienene Buch von <strong>Bret Easton Ellis</strong>,
<strong>Imperial Bedrooms</strong>, ist typisch und gut. Ich habe mir zu dem Buch
notiert: „Beängstigend, wie profaniert und ent-menschlicht Leben
werden können.“ – Wo ich schon bei Ellis war, musste ich ja auch mal
das deutsche Pendant lesen: Leider aber ist <strong>Faserland</strong> von
<strong>Kristian Kracht</strong> nicht so wirklich gut. Das Buch ist schon
lesenswert, aber ich finde – so merkwürdig das klingt – am besten an
diesem Buch noch den Titel. Neue Einsicht: Hanuta steht für
„Haselnusstafel“ (das steht sogar auf Wikipedia!). (Nebenbemerkung:
Die einzige noch bekanntere Abkürzung in dem Bereich ist denke ich mal
„Haribo“, dessen Gründer ja kürzlich verstorben ist.)</p>
<p>Ein wunderschönes Buch ist <strong>Der Steppenwolf</strong> von <strong>Hermann Hesse</strong>.
Ein kleines Zitat muss an dieser Stelle reichen:</p>
<blockquote><p>Also, Harry, steh auf, lege dein Buch weg, seife dich ein, kratze
dir das Kinn blutig, zieh dich an und habe ein Wohlgefallen an den
Menschen!</p></blockquote>
<p>Das erste Buch, was ich von <strong>Nassim Taleb</strong> gelesen habe, ist das
kürzlich erschienen <strong>Antifragile</strong>. Teil Lebensphilosophie, Teil
Wirtschaftsbuch kommt es ziemlich unwissenschaftlich, aber mit
interessanten Einsichten daher. Wenn man nicht genau hinschaut, könnte
man Taleb fast neophob nennen, und zumindest predigt er ein gutes
Stück Konservativismus. Ich konnte dem Buch einige interessante
Einsichten abgewinnen, gerade bezüglich der Vorteile von Optionalität
gegenüber Sicherheit. Ein häufiger Kritikpunkt an Taleb ist, dass er
zu selektiv und polemisch argumentiert, und eine rigorose
Argumentation gelingt ihm nur selten. Aber als Denkanstoß ist das Buch
sehr lesenswert, und das Ansinnen, „Antifragilität“ (das eben <em>nicht</em>
nur Robustheit ist) als ein neues Wort im modernen Wortschatz zu
verankern, ist lobenswert und in meinen Augen auch wichtig.</p>
<p>Ein Klassiker der Weltliteratur, der gut und überraschend einfach zu
lesen ist: <strong>Vladimir Nabokovs</strong> <strong>Lolita</strong>. Viele Leute mögen das ja
als schlecht verpackte Pornographie bezeichnen, aber der Rahmen, in
den das Buch eingeschlossen ist und insbesondere die zweite Hälfte der
Geschichte sind in meinen Augen viel interessanter und wichtiger als
die Pädophilie des ersten Teils (auch wenn die Leichtigkeit des
Ausdrucks manchmal sehr unpassend und grausam wirkt). Besonders beim
Nachwort des Autors musste ich doch ziemlich lachen, hier mal ein
Absatz:</p>
<blockquote><p>Gewisse Techniken in den ersten Kapiteln vom <em>Lolita</em> (so zum
Beispiel Humberts Tagebuch) verführten einige meiner ersten Leser zu
der irrigen Annahme, daß der vorliegende Roman ein schlüpfriges Buch
wäre. Sie erwarteten eine zunehmende Folge erotischer Szenen; als
diese aufhörten, hörten auch die Leser auf und waren gelangweilt und
enttäuscht. Das ist, vermute ich, einer der Gründe, warum nicht alle
vier [vorher erwähnten] Verlage das Typoskript bis zum Ende gelesen
haben. Ob sie es pornographisch fanden oder nicht, interessierte
mich nicht. Ihre Weigerung, das Buch anzukaufen, gründete sich nicht
darauf, wie ich mein Thema behandelte, sondern auf dieses Thema
selbst, denn wenigstens drei Themen gibt es, die für die meisten
amerikanischen Verleger absolut tabu sind. Die beiden anderen sind:
eine Heirat zwischen Schwarz und Weiß, die zu einer glücklichen Ehe
mit einer Unzahl von Kindern und Enkelkindern führt; und der
absolute Atheist, der ein glückliches und nutzbringendes Leben führt
und mit hundertsechs Jahren sanft entschläft.</p></blockquote>
<p>Von einem Freund geschenkt, habe ich <strong>Arno Orzesseks</strong> Erstling
<strong>Schattauers Tochter</strong> gelesen. Puh also naja – das Buch war schon
spannend, die Geschichte interessant, und ich will jetzt auch nicht
spoilern, nur um einen Kritikpunkt zu machen: Aber alles in Allem
wirkte der Roman in etwa so wie man erwarten würde, dass der erste
Roman eines studierten Literaturwissenschaftlers aussieht – es ist
bekannt, welche Erzählformen gut kommen, welche Themen den Kanon
zeitgenössischer (Aufarbeitungs-)Literatur bestimmen, es wird ein
wenig mit Formulierungen experimentiert und wie man einen
Spannungsbogen zum Schluss bringt weiß der Autor sowieso. Mir war
vieles einfach zu vorhersehbar, die Charaktäre zu sehr nach den
Notwendigkeiten ihrer Position in der Handlung gezeichnet, insgesamt:
zu viel Reißbrett.</p>
<p>Von den beiden CCC-Sprechern <strong>Frank Rieger</strong> und <strong>Constanze Kurz</strong>
habe ich an einem arbeitsfreien Samstag das neue Buch <strong>Arbeitsfrei</strong>
gelesen: Sehr spannende Einblicke in moderne Produktionssysteme. Ich
versuche immer noch eine Primärquelle (oder besser noch ein Video!)
für diese Silos zu finden, die bei der Anlieferung jedes einzelne
Weizenkorn auf Mutterkornspuren untersuchen, das ist wirklich
unglaublich.</p>
<p>Auf Anempfehlung eines Freundes habe ich von <strong>Edgar Hilsenrath</strong> den
Roman <strong>Das Märchen vom letzten Gedanken</strong> über den Genozid der
Armenier während des ersten Weltkrieges gelesen. Ein sehr
interessanter Erzählstil; insgesamt gefiel mir das Buch auch gut, aber
es war in Teilen doch zu repetitiv und langatmig. Ehrlich gesagt hatte
ich vor der Lektüre nicht einmal von diesem Völkermord gewusst.</p>
<p>Das kürzlich erschienene neue Roman von <strong>Robert Harris</strong>, <strong>An
Officer and a Spy</strong>, ist insgesamt ziemlich lesenswert. Die
Dreyfuß-Affäre bestimmt ja auch nicht unwesentlich die Handlung in
Prousts <em>Recherche</em>, und ich hatte mir nie wirklich die Zeit genommen,
intensiv über die damals herrschende Gesinnung der Franzosen zum
Militär und zu den jüdischen Mitbürgern nachzulesen – und gerade
dieses Defizit füllt der Roman gut aus. Anfang etwas holprig für
meinen Geschmack, und natürlich dafür, dass das ein Jahrelang
schwelender Konflikt war, recht kurz.</p>
Impressionen aus Kirgistan2013-10-01T17:10:00+02:00http://blog.plenz.com/2013-10/impressionen-aus-kirgistan<p>Ich war die zweite Septemberhälfte über in Bishkek, der Hauptstadt von
Kirgistan. Dort habe ich <a href="http://gerritbeine.com/">Gerrit</a> dabei
unterstützt, einen achttägigen Scrum-Workshop zu veranstalten, der an
der <a href="http://www.ksucta.kg/de/kirgisisch-deutsche-fakult%C3%A4t-f%C3%BCr-informatik.html">KSUCTA</a>
stattfand. Die dortige Informatik-Fakultät hat eine Partnerschaft mit
der <a href="http://www.fh-zwickau.de/">FH Zwickau</a> (siehe
<a href="https://www.bettinabeine.com/?page_id=68">hier</a> für Details).</p>
<p>Bishkek ist so eine Stadt, die man am besten so beschreibt: Einer der
nahen Vertrauten Lenins kam aus Bishkek, und deshalb wurde die Stadt
aufgebaut zu einem Zentrum der Region mit viel Soviet-Pomp, breiten
Straßen, und guter Infrastruktur – aber dann wurde Kirgistan Anfang
der ’90er Jahre unabhängig, und seit dem geht alles langsam kaputt.</p>
<p>Man hat hier also auf der einen Seite diese gewaltigen Plätze mit
heroischen Denkmälern:</p>
<p><a href="/img/kgs-soviet-pomp-1.jpg"><img src="/img/kgs-soviet-pomp-1.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-soviet-pomp-2.jpg"><img src="/img/kgs-soviet-pomp-2.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-soviet-pomp-3.jpg"><img src="/img/kgs-soviet-pomp-3.thumb.jpg" /></a></p>
<p>– und auf der anderen Seite zumindest äußerlich komplett verfallene
Soviet-Infrastruktur:</p>
<p><a href="/img/kgs-haus-1.jpg"><img src="/img/kgs-haus-1.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-haus-2.jpg"><img src="/img/kgs-haus-2.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-wassertank.jpg"><img src="/img/kgs-wassertank.thumb.jpg" /></a></p>
<p>Diese Kontraste sind beeindruckend. Insgesamt ist die Stadt aber sehr
entspannt. Klar, der Verkehr ist ziemlich abenteuerlich (und es kommt
der Unfallrate auch nicht zu Gute, dass Kirgistan vor einigen Jahren
erlaubt hat, auch japanische Autos – das heißt Rechtslenker – zu
importieren, obwohl man im Land auf der rechten Seite der Straße
fährt) – aber dank der schachbrettmusterartig angelegten Nord-Süd- und
Ost-West-Straßen gibt es fast keine Staus und der Verkehr fließt
ziemlich gut. Nur ist an einigen Tagen die Luft wirklich schwer zu
atmen und voller unverbranntem Benzin. (Es gibt an den Tankstellen
durchaus noch 80-Oktan-Benzin zu kaufen.)</p>
<p>Sobald man aus der Stadt heraus kommt, ist die Luft aber so frisch,
und man ist, wo man auch hingeht, umgeben von Wasser und Bergen. Ich
hatte das Glück, zwei Tage lang wandern gehen zu können.</p>
<p><a href="/img/kgs-wanderung1.jpg"><img src="/img/kgs-wanderung1.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-wanderung2.jpg"><img src="/img/kgs-wanderung2.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-wanderung3.jpg"><img src="/img/kgs-wanderung3.thumb.jpg" /></a></p>
<p>Überall durch die Berge fließt Wasser: Manchmal kleine Rinnsale,
manchmal ausgewachsene Flüsse mit mehr oder weniger abenteuerlichen
Brückenkonstruktionen:</p>
<p><a href="/img/kgs-wanderung4.jpg"><img src="/img/kgs-wanderung4.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-wanderung5.jpg"><img src="/img/kgs-wanderung5.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-wanderung6.jpg"><img src="/img/kgs-wanderung6.thumb.jpg" /></a></p>
<p>Teilweise läuft man Statuen oder anderen Steinmetzarbeiten über den
Weg; meist aber nur Schaf-, Ziegen-, Kuh- und Pferdeherden (das ist
besonders abends eher unentspannt, wenn die Herden über die Autobahnen
getrieben werden).</p>
<p><a href="/img/kgs-wanderung7.jpg"><img src="/img/kgs-wanderung7.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-wanderung8.jpg"><img src="/img/kgs-wanderung8.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-wanderung9.jpg"><img src="/img/kgs-wanderung9.thumb.jpg" /></a></p>
<p>Hauptsächlich ist es aber eins: idyllisch!</p>
<p><a href="/img/kgs-wanderung10.jpg"><img src="/img/kgs-wanderung10.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-wanderung11.jpg"><img src="/img/kgs-wanderung11.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-wanderung12.jpg"><img src="/img/kgs-wanderung12.thumb.jpg" /></a></p>
<p>Ein Denkmal im Zentrum Bishkeks hat mich tief beeindruckt. Es erinnert
an die Toten der Revolutionen von 2002 und 2010. Das Motiv ist klar:
Abspaltung des Schlechten (schwarz) vom wesentlich größeren Guten
(weiß) durch Revolution.</p>
<p><a href="/img/kgs-denkmal1.jpg"><img src="/img/kgs-denkmal1.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-denkmal2.jpg"><img src="/img/kgs-denkmal2.thumb.jpg" /></a>
<a href="/img/kgs-denkmal3.jpg"><img src="/img/kgs-denkmal3.thumb.jpg" /></a></p>
<p>Was genau mich daran so fasziniert, ist etwas schwer auszudrücken:
Auf gewisse Weise kristallisiert sich in dieser so plakativ simplen
Darstellung des Gegensatzes von Gut und Böse einer der Grundirrtümer
des sovietischen Sozialismus heraus: Dass Dinge auf
zentralistisch–kollektivistische Weise ultimativ benennbar und
zweifelsfrei entscheidbar sind, und dass das Schlechte einer
Gesellschaft sich sozusagen aseptisch vom Guten abtrennen lassen kann;
dass die Dinge nicht untereinander verflochten, vieldeutig und voller
Widersprüche sind, die der Mensch nicht in der Lage ist, in aller
Gänze zu erfassen.</p>
»La Recherche«2013-08-27T20:19:00+02:00http://blog.plenz.com/2013-08/la-recherche<p>Fast den ganzen Sommer – 88 Tage, um genau zu sein – habe ich für die
Lektüre von Marcel Prousts <em>Auf der Suche nach der verlorenen Zeit</em>
gebraucht. Drei Monate also, in denen ich täglich ein bis zwei Stunden
in der <em>Belle Époque</em> im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts
verbracht habe. Und nun, 4.195 Seiten später, ist das Abenteuer zu
Ende. Was für eine Erfahrung!</p>
<p>Natürlich gibt es viel zu sagen zu einem solchen Buch, das regelmäßig
als der »Roman der Romane« in den Listen der Bücher auftaucht, die man
gelesen haben muss. Und auch ich erinnere mich noch gut, wie ich mit
18 Jahren – retrospektiv betrachtet war ich natürlich noch zu jung
dafür – nach den ersten paar Dutzend Seiten (zunächst) ergebnisloser
Landschftsbeschreibung das Buch gähnend weggelegt habe und mich
Interessanterem gewidmet habe (wie es vermutlich Vielen geht, doch
dazu weiter unten mehr) – und doch bin ich dadurch, dass mir in
verschiedenen Kontexten immer wieder dieses Werk über den Weg lief
Anfang dieses Sommers darauf gekommen, dass ich es doch noch einmal
versuchen sollte. Angesichts des schieren Umfangs des Romans muss man
sich nun einmal bewusst machen, dass das, was in einer
400-Seiten-Erzählung eine zehnseitige Exposition eines Vorortes samt
seiner Bewohner ausmacht, hier entsprechend skaliert gute 100 Seiten
ausmacht. Mit diesem Wissen gewappnet aber verliert man die
Erwartungshaltung um eine sich nun doch hoffentlich bald
herauskristallisierenden Handlung, und dieser Schritt tut dringend
Not. Denn erst später – das heißt im zweiten, dritten, vierten Buch,
und nicht mal dann in aller Gänze – erschließen sich dem Leser die
zentralen Themen des Werkes. Wer aber so lange durchhält, wird reich
belohnt.</p>
<p>Ich will aber hier nur einen zentralen Aspekt herausgreifen, und zwar
den des Selbstmitleides des Protagonisten angesichts seiner
Eifersucht. Schon früh erkennt ja der Leser, dass der Erzähler
rückblickend seine damalige Weltsicht zu rekonstruieren versucht, zum
Zeitpunkt des Aufschreibens aber schon sehr viel weiter ist mit seinen
Gefühlen bezüglich der Liebe und Eifersucht gegenüber seiner
Geliebten. Insbesondere ist schon zu dem Zeitpunkt klar, dass all
diese den Erzähler so unglaublich leidend machenden Empfindungen
späterhin vergessen sein werden. Genau dieser zeitliche Zusammenhang
aber hat mich sehr mitgenommen: Es ist, als durchlebe man noch einmal
im kleinsten Detail und mit Kenntnis der Zukunft diejenigen Leiden
(und Fehler), die einen prägen, und die doch später als Gefühl, nicht
jedoch als Erfahrung bedeutungslos geworden sind. Es ist in diesem
Teil des Buches, dass der Erzähler eine große Wahrheit über die Welt,
die Wesen, die sich in ihr bewegen und im Verhältnis dazu den
Standpunkt des Betrachters erfährt:</p>
<blockquote><p>Wir besitzen von der Welt nur formlose, fragmentarische
Vorstellungen, die wir durch willkürliche Ideenassoziationen
vervollständigen, aus denen sich gefährliche Suggestionen ergeben.</p></blockquote>
<p>Wie aber kann man diese fragmentarischen Vorstellungen zu einem großen
Ganzen zusammenführen? Am Ende des Buches, während der abschließenden
Matinée, geht der Erzähler in einem vorausgreifenden Blick bereits auf
die Kritiker seines Romans ein, als er sagt:</p>
<blockquote><p>Da, wo ich die großen Gesetze suchte, glaubte man in mir
jemanden zu sehen, der nach Einzelheiten grub.</p></blockquote>
<p>Es ist genau dieses ständige Suchen nach Einzelheiten, um damit
universelles zu illustrieren, das fasziniert. So sei in den Augen
Adornos „Rettendes zu hoffen von der Rezeption eines Dichters, der das
Exemplarische vereint mit dem Avancierten“.</p>
<p>Was mich durchaus irritiert hat bei der Nachlese zu diesem Buch war,
wie sehr anscheinend meine Leseerfahrung von denen Anderer abweicht.
Wird in den Feuilletons Proust angeführt, so zielt der Absatz fast
unweigerlich auf die Erinnerung des Erzählers beim Genuss einer
Madeleine oder des ihm vorenthaltenen Kusses der Mutter ab – beides
Szenen, die zwar unglaublich detailliert im ersten Teil des ersten
Buches dargestellt werden (und auf die später noch vielfach
zurückgeblickt wird) – so als seien dies die zentralen Momente, die
das Werk ausmachen. Mit Blick auf das gesamte Werk kommen mir gerade
diese Stellen aber doch vergleichsweise wenig gehaltvoll vor. Die
Aspekte des Romans, die ihn in meinen Augen großartig machen, sind
vor allem die minutiös, in Zeit vor und zurück springend analysierten
sozialen Dramen der Gesellschaft, durchaus nicht frei von
Selbstironie; und natürlich der alles durchdringende Komplex von
Liebe, Leidenschaft, Betrug und Eifersucht. Ist <em>das</em> nicht das, was
den Leser an existentiellen Wahrheiten teilhaben lässt? Warum
konzentriert sich also die Rezeption so sehr auf die unwillkührlichen
Erinnerungen, die nun einmal punktuell und höchst individuell sind? –
Vielleicht muss man den Grund darin suchen, dass einige dieser Autoren
nicht weiter vorgedrungen sind als bis zu diesen Episoden; oder aber
ich habe das Buch einfach mit einem ganz anderen Fokus gelesen.</p>
<p>Über einige Eindrücke bin ich während der Lektüre im Unklaren geblieben.
Am Ende zumindest der ersten vier Bücher (bzw. den jeweils zwei
Teilen, die sie ausmachen) hat mich jedes Mal ein Gefühl der
Unvermitteltheit getroffen: Wie, aber die Geschichte geht doch gerade
erst los?, habe ich jedes Mal gedacht. Ist das gewollt? Oder ist es
das Gefühl eines Marathonläufers, der beim Anblick der Ziellinie
denkt: Schon? – Des weiteren musste ich bei einigen Passagen herzhaft
lachen und zuweilen auch den Kopf schütteln ob der
Selbstreferenzialität, Provinzialität und Unfortschrittlichkeit der
Personen und Gesellschaften. Es wirkt, als sei das sprichwörtliche
Brett vorm Kopf sichtbar gemacht durch die Art und Weise, wie der
Erzähler scheinbar teilnahmslos aus den »Skandalen« der lokalen
gesellschaftlichen Prominenz berichtet, ganz im Stile Dostojewskis.
Aber gerade diese »Unbeschwertheit« im Umgang mit Proust – dass man
also über die Gesellschaftskarikaturen und den Autor selbst lachen
kann – scheint nicht gerade unumstritten zu sein, <a href="https://www.taz.de/Ueber-Snobismus-vieler-seiner-Anhaenger/!27289/">meint
Proust-Neu-Übersetzer Michael Kleeberg</a>.</p>
<p>Wie viel muss man über Proust wissen, um das Werk gewinnbringend zu
lesen? Ich habe im Nachhinein ein wenig in seiner Biographie
gestöbert, fand das aber nicht wirklich aufschlussreich. Ja, je mehr
man liest, desto mehr meint man, der Roman sei tatsächlich ein
autobiografisches Kompendium. Aber ändert das etwas? Ich glaube nicht.
– Im übrigen ist ausgerechnet Roland Barthes – von dem der
einflussreiche Aufsatz »Der Tod des Autors« stammt – ein großer
Proust-Anhänger gewesen, der der Meinung war, nach diesem finalen
Monument des Romans habe es keinen Sinn mehr, einen weiteren zu
schreiben, und seinen dahingehenden Versuch <a href="http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/nach-proust-gibt-es-keinen-roman-mehr-1671072.html">in Vorlesungsnotizen
umgearbeitet hat</a>.</p>
<blockquote><p>Der Schriftsteller gebraucht nur ganz unaufrichtig in der Sprache der
Vorreden und der Widmungen gewohnheitsmäßig die Wendung: ›Mein lieber
Leser.‹ In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur
seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei lediglich eine Art
von optischem Instrument, das der Autor dem Leser reicht, damit er
erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht sonst nicht hätte
erschauen können. Daß der Leser das, was das Buch aussagt, in sich selbst
erkennt, ist der Beweis für die Wahrheit eben dieses Buches, und umgekehrt
gilt das gleiche, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, da die Differenz
zwischen den beiden Texten sehr oft nicht dem Autor, sondern dem Leser zur
Last gelegt werden muss.</p></blockquote>
<p>Wer die Zeit und Ausdauer hat, dem sei die Lektüre empfohlen.</p>
Bookdump2013-08-27T19:55:00+02:00http://blog.plenz.com/2013-08/bookdump<p><strong>Dobelli: Die Kunst des klaren Denkens</strong> – Ganz nett für
zwischendurch in der Bahn zum Lesen. Aber die referenzierten Werke
(Kahnemann, Cialdini) sind natürlich wesentlich aufschlussreicher. –
<strong>Melville: Moby Dick</strong> – Ein Klassiker, auch heute noch ist die Figur
Ahabs Prototyp der Idee des verrückten und unnachgiebigen Anführers.
Ich habe als Kind vermutlich eine vereinfachte Version gelesen, denn
die Geschichte zieht sich ewig lang hin und ist in absolut ermüdendem,
slang-durchsetzten Englisch geschrieben. Erstaunt hat mich, wie
wissenschaftlich der Roman anmutet, und über Seiten die Genealogien
gewisser Wahlgattungen ausgebreitet wird. (Das Buch erschien, als
Darwin seine Evolutionstheorie noch nicht veröffentlicht hatte.)</p>
<p><strong>William Gibson: Pattern Recognition</strong> – Mein zweiter Versuch Gibson
zu lesen. Ganz interessant, aber für mich zu konfus. –
<strong>Hunter S. Thompson: The Rum Diary</strong> – Das erste Mal, dass ich
Thompson gelesen habe. Ganz lustiges Buch, und die Verzweiflung des
Protagonisten kommt viel besser rüber als im gleichnamigen, kürzlich
erschienen Film. –
<strong>Charles Bukowskis</strong> erster und letzter Roman: <strong>Post Office</strong> und
<strong>Pulp</strong> sind wie immer bei Bukowski, gute Unterhaltung. –
<strong>Richard Price: Clockers</strong> ist irgendwie ziemlich länglich, aber ich
habe es doch zu Ende gelesen. Gefühlt hat das Englisch in dem Buch
auch ein bisschen auf meine Sprache abgefärbt. Der Film zum Buch ist
nicht zu empfehlen.</p>
<p>Nachdem ich <strong>Aldous Huxleys</strong> Klassiker <strong>Brave New World</strong> wieder
gelesen hatte und beeindruckt war, habe ich anschließend seine Utopie
<strong>Island</strong> gelesen, und dann auch seine Abhandlung über die Ursprünge
und Ausprägungen von Ewigkeitsphilosophie, <strong>The Perennial
Philosophy</strong>, gelesen. Die Utopie hat mir ganz gut gefallen (ist nur
etwas kitschig), aber mit seiner Faszination mit fernöstlicher
Einheits- und Ewigkeits-Philosophie konnte ich überhaupt nichts anfangen.</p>
<p>Seit ich das kleine Büchlein <strong>Poststructuralism: A very short
introduction</strong> gelesen habe, habe ich etwas für Kunst übrig. Siehe zum
Beispiel die Kontroverse um <a href="http://en.wikipedia.org/wiki/Fountain_(Duchamp)">Fountain</a>.</p>
<p>Zwei Bücher habe ich gelesen, die mir wirklich gut gefallen haben.
Zunächst <strong>Roberto Bolaños</strong> früher Roman <strong>The Savage Detectives</strong>.
Ein Paradebeispiel für die nichtlineare/zirkuläre Erzählstruktur
spanischer Literatur, ist das Buch lustig, spannend und voller
Charaktere, an die man sich noch lange erinnern wird. Allein der Name
der avant-gardistischen jungen Dichtertruppe, um die sich die
Geschichte dreht: <em>Visceral Realists</em>, also sich auf tiefe, inwärts
gerichtete und nicht dem Intellekt zugängliche Gefühle beziehende
Realisten – ist eine geniale Wortkonstruktion. – Auf Empfehlung eines
Bekannten habe ich <strong>Theodore Rozsaks</strong> Roman <strong>Flicker</strong> gelesen.
Wenn man Umberto Eco mag, dann liegt man hier sicher nicht falsch.
Eine grandiose Geschichte zwischen Wahn und Realität, die ich
sicherlich nicht komplett auskosten konnte, weil mir viele der
historischen Filmreferenzen fehlten. Lediglich das Ende ist ein
bisschen mau.</p>
<p>Zwei Sachbücher habe ich gelesen, die allerdings so voller Fakten
waren, dass es irgendwann ermüdend wurde und ich mir jeweils die
letzten 200 Seiten gespart habe. Anders als auf dem Buchrücken von
<strong>Made in Americe</strong> kann man <strong>Bill Bryson</strong> auch nicht beschreiben:
„witty, learned, compulsive.“ – Das Kompendium <strong>The German Genius</strong>
von <strong>Peter Watson</strong> ist ziemlich beeindruckend. Der Brite wählt einen
Ansatz, den ich sehr wichtig finde: Zu zeigen, dass Deutsche
Geschichte viel mehr ist als die Zeit ab der Machtergreifung Hitlers;
insofern kümmert er sich statt dessen um die Aspekte der Kunst,
Philosophie, Forschung, Sprache, Militärtechnik und sozialer
Organisation der letzten 250 Jahre, die deutschen Ursprungs sind und
bis heute bleibende Spuren in Europa und der Welt hinterlassen haben.</p>
<p>Ein Büchlein voller interessanter Fragen ist <strong>Ludwig Wittgensteins</strong>
<strong>Philosophische Untersuchungen</strong>. Zum Beispiel solche wie diese hier:</p>
<blockquote><p>226 – Nimm an, Einer folt der Reihe 1, 3, 5, 7, … indem er die Reihe
der 2x+1 hinschreibt. Und er fragt sich: »aber tue ich auch
immer das Gleiche, oder jedesmal etwas anderes?« Wer von einem
Tag auf den andern verspricht »Morgen will ich dich besuchen« –
sagt der jeden Tag das Gleiche; oder jeden Tag etwas anderes?</p></blockquote>
<p>Das Buch durchzieht eine ständige Dialektik zwischen innerer Wahrnehmung und
äußeren Umständen: Befolgt man eine Regel (zum Beispiel die der Arithmetik),
wenn man <em>glaubt</em>, man befolge sie? Ist dies von außen überprüfbar? Ist
überhaupt über den Begriff des Verstehens verhandelbar, d.h. kann man
jemandem zugestehen, etwas verstanden zu haben, nur anhand
stichprobenartiger Äußerungen, die konform mit der zu überprüfenden
Regel gehen? – Es sind unter anderem solche Fragen, mit denen
Wittgenstein sich auf beeindruckend spielerische Weise und mit vielen
prägnanten Beispielen nähert. Und doch bleibt bei mir der Eindruck,
nicht wirklich etwas „mitgenommen“ zu haben aus diesem Buch. Ist es,
weil ich seit nunmehr vier Jahren in einer Welt der Mathematik lebe,
in der es fast nur um Systeme ziemlich abstrakter Art geht, von der man
notwendigerweise immer nur ein fragmentarisches Verständnis hat? In
jedem Falle erscheinen mir viele dieser Fragen nicht wirklich in die
Tiefe zu gehen. –</p>
<p>Und dann habe ich <strong>Auf der Suche nach der verlorenen Zeit</strong> von
<strong>Marcel Proust</strong> gelesen. Dem widme ich aber einen eigenen Post.</p>
Der Umstieg zu Neo2013-08-19T17:15:00+02:00http://blog.plenz.com/2013-08/der-umstieg-zu-neo<p>Vor einem Jahr habe ich angefangen, mit dem <a href="http://www.neo-layout.org/">Neo-Layout</a>
statt wie vorher mit dem US-QWERTY-Layout zu tippen. Von den für mich
<a href="http://wiki.neo-layout.org/wiki/Erfahrungsberichte">sehr hilfreichen Erfahrungsberichten von
Umsteigern</a>
geleitet – in deren Liste ich mich hiermit auch einreihen will – habe ich
während meines Umstiegs in den ersten Tagen recht regelmäßig Protokoll
geführt.</p>
<p><img src="/img/neo-ebene-1.png" /></p>
<p><strong>Tag 1 (12.08.):</strong> Wow, ich fühle mich komplett hilflos vor meinem
eigenen Rechner. Für jeden Satz, den ich tippen will, brauche ich eine
Minute und mehr. Passwörter einzugeben ist der Horror. Jede
Tastenkombination, die sonst einfach „drin“ ist, geht voll ins Leere,
besonders in Vim bekomme ich gar nichts hin; ich spiele sogar ein paar
Configs kaputt, weil ich unabsichtlich die alte Taste „k“ drücke, aber
da liegt nun „r“ wie „replace“. Ich habe eine erste Mail geschrieben
(aber auf Kiswahili, d.h. mit untypischen Buchstabenanordnungen) –
alles ist so anstrengend!</p>
<p><strong>Tag 2 (13.08.):</strong> Mit viel Müh und Not kann ich mittlerweile tmux und
Vim rudimentär bedienen. Die Wörter tröpfeln mittlerweile vor sich
hin, manche Trigramme kommen schon ganz flüssig raus. Wenn ich nicht
am Computer sitze, tippe ich teilweise unbewusst in Gedanken Wörter
vor mich hin; wird mir das bewusst, dann bemühe ich mich, in Neo zu
denken. In der Theorie kann ich zumindest die ersten zwei Ebenen
auswendig, muss aber teilweise noch mehrere Sekunden überlegen, bevor
ich lostippen kann. Für die dritte Ebene blende ich bei Bedarf den
NeoLayoutViewer ein. Ab und zu bricht meine Konzentration plötzlich
ein und ich tippe fünf Mal nacheinander auf die gleiche falsche Taste,
bis ich mich zusammenreiße und nachdenke. – Alles in allem ist es
sehr, wie eine neue Sprache zu lernen…</p>
<p><strong>Tag 3 (14.08.):</strong> Alles geht ein bisschen besser und flotter. Nichts
geht wirklich fehlerfrei. Heute habe ich bachelorarbeitsbedingt
qualvoll langsam getext, und ich muss sagen: Den wirklichen Vorteil
sehe ich da nicht – auf einer US-Belegung sind die wichtigen
Sonderzeichen mindestens genau so gut zu erreichen… (Aktuelle
Geschwindigkeit: 63 Tasten pro Minute.)</p>
<p><strong>Tag 4 (15.08.):</strong> Horror: sieben Stunden bei der Arbeit, und ich bekomme
nichts hin, alles dauert ewig. Keine Lust, mehr zu schreiben.</p>
<p><strong>Tag 5 (16.08.):</strong> Noch ein Tag Arbeit. Irgendwie geht alles, aber
gefühlt konnte ich vor zwei Tagen noch sicherer und schneller tippen…</p>
<p><strong>Tag 9 (21.08.):</strong> Nachdem ich das Wochenende über nicht viel vorm
Rechner saß, musste ich mich zu Beginn der Woche doch mal wieder an
die Bachelorarbeit setzen. Mittlerweile bin ich nicht mehr so ganz
gefrustet, und manche (selbst lange) Wörter schreiben sich schon
wirklich flüssig. Das wird schon. (Mittlerweile ca. 120 KPM.)</p>
<p><strong>Tag 14 (26.08.):</strong> Stichtag: Bis heute hatte ich mir Zeit gegeben, um zu
entscheiden, ob ich weiter Neo tippen will. Ich würde das Experiment
nicht als „gescheitert“ ansehen, aber ich bin mit 140 Tasten pro
Minute noch <em>weit</em> hinter dem, was ich mit QWERTY geschafft habe.
Diverse Di- und Trigramme kommen mittlerweile sehr flüssig – aber ich
habe das Gefühl, dass ich doch irgendwie jedes Wort ein paar Mal
tippen muss, bis ich es wirklich <em>kann</em>. Morgen wird es ernst, denn da
veranstalte ich eine Schulung und muss zwei Tage lang am Beamer
tippen…</p>
<p><strong>Tag 104 (23.11.):</strong> Das Muscle Memory ist schon lange da: Ich kann mich
nicht mehr erinnern, wo die Tasten vorher lagen, ganz natürlich finden
meine Finger Tag für Tag ihren Weg. Ich vertippe mich gefühlt selten,
aber meine Schreibgeschwindigkeit ist mit ca. 330 Anschlägen pro
Minute noch immer erst bei ca. 2/3 meiner Geschwindigkeit von vor dem
Umstieg.</p>
<p>Was ich schon früh zu schätzen gelernt habe ist die Mod4-Taste, die
die vierte Ebene aktiviert: Hier kann man ohne umzugreifen mit den
Cursor-Tasten navigieren, an den Anfang und das Ende der Zeile
springen sowie Zeichen löschen. Das nutze ich sehr häufig auch in Vim
im Insert-Mode, was ja normalerweise nicht als „die reine Lehre“
angesehen wird: Mit NEO muss man aber nicht umgreifen und die Homerow
verlassen, so dass es viel schneller als ein zweifacher Mode-Wechsel
ist. – Überhaupt Vim: Ich hätte nie gedacht – und das war auch der
einzige Grund, warum ich nicht schon mal früher Dvorak gelernt habe –
dass man Vim auch mit komplett umgestellten Tasten bedienen kann. Ich
navigiere selbst häufig mit hjkl, auch wenn die Buchstaben denkbar
merkwürdig dafür angeordnet sind. Man gewöhnt sich an alles. :-)</p>
<p><strong>Tag 372 (19.08.):</strong> Vor ziemlich genau einem Jahr bin ich umgestiegen –
und mittlerweile habe ich meine alte Tipp-Geschwindigkeit von knapp
470 Tasten pro Minute wieder erreicht. Das scheint nicht wirklich ein
Fortschritt zu sein – zumindest auf den ersten Blick. Allerdings
glaube ich, dass ich insgesamt schneller, besser und ergonomischer
tippe: ich schaue nie mehr auf die Tastatur, ich muss für Pfeiltasten,
Backspace, Escape und ähnliche Sequenzen Dank der Mod4-Taste meine
Finger nur minimal bewegen. Insgesamt bin ich also ziemlich zufrieden
mit meinem Umstieg.</p>
<p><img src="/img/daskeyboard.jpg" /></p>
<p>Ein paar Anmerkungen zum Lernen:</p>
<ul>
<li>Wie schon vielfach bemerkt ist es am einfachsten, einfach
„reinzuspringen“ und nur noch Neo zu tippen. Ja, die ersten Tage ist
es anstrengend: Aber ziemlich schnell verlässt man diesen
Zwischenzustand, und hängt nicht ewig im Limbo der Zwei
Systeme. (Das ist der gleiche Effekt, wie wenn man eine neue
Sprache im eigenen Land aus einem Buch lernt im Gegensatz dazu,
einfach vor Ort zu sprechen.)</li>
<li>Es ist sinnvoll, den NeoLayoutViewer oder einen Ausdruck des Layouts
parat zu haben, vor allem in den ersten Tagen. Gerade bei der
Passworteingabe hat man kein visuelles Feedback!</li>
<li>Keine Tasten bekleben! Nicht auf die Tastatur schauen! Am besten
auch eine neue Tastatur kaufen – doppelte Umgewöhnung fällt leichter
– oder zumindest eine verwenden, die für’s Blindschreiben gemacht
ist. (Ich habe auch schon vorher <a href="http://www.daskeyboard.com/product/model-s-ultimate/">Das
Keyboard</a>
verwendet.)</li>
</ul>
<p>Ein paar technische Bemerkungen zum Neo-Layout:</p>
<ul>
<li>Es ist meines Erachtens sehr gut gelöst, dass Zeichen, die in verschiedenen Kontexten
verschiedene Bedeutungen haben, auch auf verschiedene Weisen getippt
werden können. So tippe ich zum Beispiel ein Dollar-Zeichen beim
Programmieren mit Mod3+ö, das heißt auf der Sonderzeichenebene. Aber
wenn es um Währungsbeträge geht, halte ich mich an Shift+6, was
neben dem Euro-Zeichen liegt. Auch den Bindestrich tippe ich meist
über Mod3+d anstatt den in der Zahlenreihe zu verwenden.</li>
<li>Ich tippe Neo nur auf US-Tastaturen. Das ist anfangs ziemlich
ungewöhnlich und fehlerträchtig, da die rechte Mod3-Taste für
Sonderzeichen direkt über der Enter-Taste liegt. Gerade im IRC habe
ich daher anfangs häufiger unfertige Nachrichten aus Versehen
abgeschickt. Auf einer deutschen Tastatur ist das allerdings auch
nicht unproblematisch. – Außerdem fehlt eine linke Mod4-Taste, so
dass ich den „Ziffernblock“ auf der Ebene bisher nicht verwendet
habe.</li>
<li>Für die Ebenen 5 und 6 mit griechischen Symbolen habe ich bisher
noch keine Verwendung gefunden. Falls ich sie an LaTeX brauche,
tippe ich immer noch den vollen Namen, also z.B. <code>\alpha</code>.</li>
</ul>
<hr />
<p>Ich möchte abschließend noch eine etwas philosophische Dimension dieses Umstieges
thematisieren. Der Satz »Der Mensch gewöhnt sich an Alles« ist
tiefgehender, als man denken könnte. Mir ist es innerhalb von wenigen
Wochen gelungen, eine meiner zentralen Tätigkeiten komplett anders
auszuüben. Dass das am Anfang frustrierend ist – und diese Notizen
haben mich jetzt noch einmal ziemlich klar daran erinnern lassen,
<em>wie</em> genervt ich war – ist natürlich zu erwarten. Aber wo ein Wille
ist, ist auch ein Weg.</p>
<p>Genau wie die Anordnung der Buchstaben auf der Tastatur ziemlich
arbiträr ist, und man von einer Anordnung auf die andere wechseln
kann, weil keine der beiden eine inhärente „Wahrheit“ über Buchstaben
und sprachliche Sätze enthält – genau so kann man auch Sprachen,
Grammatiken, Denksysteme wechseln. Ich zum Beispiel sehe nun die
Buchstaben K und H als ziemlich ähnlich an, weil ich sie mit dem
gleichen Finger tippe und mich oft vertippt habe. Andere Leute können
das vermutlich nicht nachvollziehen, und objektiv betrachtet ist mein
Ähnlichkeitsgefühl auch absurd. Und doch lassen sich <a href="http://www.edge.org/conversation/how-does-our-language-shape-the-way-we-think">Effekte von
Sprachverarbeitung auf die Realitätswahrnehmung
feststellen</a>.</p>
<p>Ich bin der Meinung, dass genau dieses Umwerfen gewisser fest
geglaubter, aber tatsächlich arbiträrer Grundsätze ganz wichtig dafür
ist, geistig nicht so schnell zu altern. Ein paar Ideen:</p>
<ul>
<li>Lies Bücher aus Kulturen, in denen andere moralische
Grundregeln und Kommunikationsformen als die der deinigen Welt
dominieren.</li>
<li>Lerne eine Sprache, die keine Kategorisierung von Substantiven nach
Geschlecht kennt.</li>
<li>Gehe einen anderen Weg als den bekannten (physisch oder im
Übertragenen Sinne).</li>
<li>Benutze eine komplett neue Programmiersprache für ein kleines Nebenprojekt.</li>
<li>Versuche, komplexe Gedanken nur mit den 1.000 meistgenutzten Wörtern
auszudrücken (<a href="http://splasho.com/upgoer5/">Hilfe</a>).</li>
<li>Benutze eine nicht eurozentrische Karte, auf der Süden nach oben
zeigt (<a href="http://flourish.org/upsidedownmap/">Gedanken dazu</a>).</li>
</ul>
<p>Oder, mit den Worten des Aphorismus Nr. 552 aus Nietzsches
<em>Menschliches, Allzumenschliches I</em>, betitelt <em>Das einzige
Menschenrecht</em>:</p>
<blockquote><p>Wer vom Herkömmlichen abweicht, ist das Opfer des Außergewöhnlichen;
wer im Herkömmlichen bleibt, ist der Sklave desselben. Zu Grunde
gerichtet wird man auf jeden Fall.</p></blockquote>
Map Foraging2013-05-11T13:13:00+02:00http://blog.plenz.com/2013-05/map-foraging<p>Mein Freund Kilian von der LMU hat sich zusammen mit zwei anderen
Wissenschaftlern eine Studie ausgedacht, um die Visuelle
Aufmerksamkeit von Teilnehmern zu testen. Ziel ist es, mit einem auf
Google Maps basierenden Interface nach Tankstellen in Luftbildern zu
suchen und diese zu markieren.</p>
<p>Die Studie ist offen für alle (sofern man über 18 ist und den
GMaps-Nutzungsbedingungen zustimmt).
<a href="https://search.partners.org/mapforaging/">Hier geht es zur Studie „Map Foraging“.</a>
Ein Hinweis: Bitte die einleitenden Texte sehr genau lesen – die
Steuerung funktioniert nämlich nicht ganz so, wie man das von Google
Maps gewohnt ist!</p>
<p>Ich selbst habe die Studie mehrmals hintereinander „gespielt“, einfach
weil es wirklich Spaß macht.</p>
Linkdump III2013-04-29T00:50:00+02:00http://blog.plenz.com/2013-04/linkdump-iii<p>Ich sitze schon eine Weile auf <a href="http://theratchet.ca/no-population-bomb">diesem
Artikel</a>, der argumentiert,
dass Überpopulation sich nicht als ein großes Problem darstellen wird
in den kommenden Jahrzehnten. Jeffrey Sachs hatte ja
<a href="http://blog.plenz.com/2011-01/buch-wohlstand-f%C3%BCr-viele.html">argumentiert</a>,
man müsse die Weltbevölkerung bei ca. acht Milliarden Menschen
stabilisieren, was ich nach wie vor für glaubhaft halte. – Mir
erscheint der „No Population Bomb“-Artikel daher etwas zu optimistisch
und technikgläubig. Und mal ehrlich: Dass Länder mit einem hohen
BIP/Kopf eine stabile (oder stagnierende) Geburtenrate haben, war doch
nicht neu?</p>
<p><a href="http://www.aeonmagazine.com/living-together/henry-farrell-post-democracy/">„There is no
alternative“</a>
ist lesenswert mit interessanten Einsichten.</p>
<blockquote><p>In the 1990s and the 2000s, right-wing parties were the enthusiasts
of the market, pushing for the deregulation of banks, the
privatisation of core state functions and the whittling away of
social protections. All of these now look to have been very bad
ideas. The economic crisis should really have discredited the right,
not the left. So why is it the left that is paralysed?</p></blockquote>
<p>Die Schadenfreude über den Reinhart–Rogoff-Fehler ist natürlich
besonders in linken Kreisen verbreitet, aber <a href="https://www.nytimes.com/2013/04/26/opinion/krugman-the-one-percents-solution.html?_r=0">Krugman fragt zu
Recht</a>:</p>
<blockquote><p>Yet two big questions remain. First, how did austerity doctrine
become so influential in the first place? Second, will policy change
at all now that crucial austerian claims have become fodder for
late-night comics?</p></blockquote>
<p>Und dann habe ich heute einen <a href="http://www.nakedcapitalism.com/2013/03/what-is-modern-monetary-theory-or-mmt.html">interessanten Artikel über
MMT</a>
gelesen. Ich wollte mich generell mal mit (Post-)Keynesianismus
beschäftigen, weiß aber nicht wirklich, wo ich da anfangen soll.</p>
<p>Zum Schluss noch ein paar <a href="http://powerofnarrative.blogspot.de/2013/04/obedience-training-boston-experiment.html">nachdenklich-wütende Worte zu
Boston</a>.
Das im ersten Satz verlinkte Video ist wirklich ziemlich beunruhigend.</p>
Linkdump II2013-04-14T14:47:00+02:00http://blog.plenz.com/2013-04/linkdump-ii<p>Im Feuilleton der FAZ ist seit vorgestern die <a href="http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/george-soros-wie-man-die-europaeische-union-vor-der-eurokrise-retten-kann-12146506.html">ungekürzte frankfurter Rede von
George Soros</a>
zu lesen, und heute erschien <a href="http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/europas-zukunft/ein-gespraech-mit-george-soros-das-wichtigste-thema-ueberhaupt-12147686.html">ein Interview mit
ihm</a>.
Ich finde ja, dass George Soros ein beeindruckender Mann mit Weitsicht ist, dem
man zuhören sollte. (Und nebenbei bemerkt: Die „Lesermeinungen“ zu dem
Interview sind ja sowas von unterirdisch…)</p>
<p><a href="http://www.oftwominds.com/blogapr13/Cyprus-template4-13.html">“I think this explains a lot about something that has always puzzled me: why
the delay in resolving Cyprus after the Greek
haircut?”</a></p>
<p><a href="http://www.thebaffler.com/past/practical_utopians_guide#.UV706VJxLI8.twitter">Exzerpt aus David Graebers neuem Buch.</a>
Mit interessanten Einsichten:</p>
<blockquote><p>What if those currently running the system, most of whom witnessed
the unrest of the sixties firsthand as impressionable youngsters,
are—consciously or unconsciously (and I suspect it’s more conscious
than not)—obsessed by the prospect of revolutionary social movements
once again challenging prevailing common sense?</p></blockquote>
<p>Und:</p>
<blockquote><p>… but [politicians, CEOs, trade bureaucrats, and so forth] have
succeeded magnificently in convincing the world that capitalism—and
not just capitalism, but exactly the financialized, semifeudal
capitalism we happen to have right now—is the only viable economic
system. If you think about it, this is a remarkable accomplishment.</p></blockquote>
<p>Erinnert mich an: <a href="http://youtu.be/KnGo6Qm0Wt8">“The greatest trick the devil ever pulled was
convincing the word he didn’t exist.”</a></p>
<p>Zum Ende wird der Artikel etwas utopisch, wie der Titel “A Practical
Utopian’s Guide to the Coming Collapse” ja schon vermuten lässt.</p>
Bilder aus Dubai2013-04-10T22:24:00+02:00http://blog.plenz.com/2013-04/bilder-aus-dubai<p>Ich bin wieder in Berlin. Ich habe es keinesfalls bereut nach Dubai zu gehen,
aber am Ende der Zeit wurde es mir doch ein bisschen langweilig. Ist nicht
wirklich meine Stadt, auch wenn der Strand und das Essen vorzüglich sind.</p>
<p>Hier noch ein paar Bilder. Die Metro-Stationen sehen ziemlich
futuristisch aus, und werden nonstop von innen gereinigt.</p>
<p><a href="/img/dubai-u-bahn.jpg"><img src="/img/dubai-u-bahn.thumb.jpg" /></a></p>
<p>Das Burj Khalifa aus der Ferne…</p>
<p><a href="/img/dubai-burj-khalifa-vergleich.jpg"><img src="/img/dubai-burj-khalifa-vergleich.thumb.jpg" /></a></p>
<p>… und der Blick vom 124. Stock runter:</p>
<p><a href="/img/dubai-burj-khalifa-aussicht.jpg"><img src="/img/dubai-burj-khalifa-aussicht.thumb.jpg" /></a></p>
<p>Und in der Wüste war ich natürlich auch:</p>
<p><a href="/img/dubai-wueste-1.jpg"><img src="/img/dubai-wueste-1.thumb.jpg" /></a></p>
<p><a href="/img/dubai-wueste-2.jpg"><img src="/img/dubai-wueste-2.thumb.jpg" /></a></p>
Linkdump2013-04-01T19:02:00+02:00http://blog.plenz.com/2013-04/linkdump<p>Viel Zeit heute zum Lesen, auch wenn in Dubai kein Feiertag ist.</p>
<p><a href="http://firstmonday.org/htbin/cgiwrap/bin/ojs/index.php/fm/article/view/3493/2955">The science of
obfuscation</a>
über Datensammler und absichtliche Verschleierung:</p>
<blockquote><p>Obviously there is nothing inherently wrong with gathering data on
individuals — it is lifeblood of the work of the epidemiologist,
for example, and the starting point for many of the benefits
mentioned above. It is in the combination of data gathering
with authority and its interests where the problem begins. […] We
don’t have access to the other databases, nor the techniques and
the training in mathematics and computer science, to comprehend
what can be done with seemingly trivial details from our lives and
activities, and how they can provide more powerful, total and
revealing analyses than we could have anticipated [14]. The
inconsequential and even benign can quickly become the problematic
and sinister.</p></blockquote>
<p>Wenn ihr euch fragt, was Mathematiker eigentlich so machen, wenn sie
ein gewisses Level erreicht haben: <a href="https://gist.github.com/stoutbeard/4158578">Diese Staubsaugeranalogie hilft
weiter</a>. So lustig es
klingt, so wahr ist es auch.</p>
<p><a href="http://www.brainpickings.org/index.php/2012/05/11/internal-time-till-roenneber/">Ein paar Gedanken zur
Zeitumstellung</a>
und dem Konzept des „sozialen Jetlag“.</p>
<p>Hier spricht mal ein Insider darüber, <a href="http://www.mpettis.com/2013/03/21/when-do-we-call-it-a-solvency-crisis/">dass das Problem der
Finanzkrise natürlich kein Liquiditätsproblem
ist</a>,
auch wenn man das jetzt noch nicht zugeben kann.</p>
<p>Während in Portugal <a href="http://www.spiegel.de/international/europe/evaluating-drug-decriminalization-in-portugal-12-years-later-a-891060.html">der Besitz von geringen Mengen von Drogen seit 12
Jahren straffrei ist</a>
and die Bilanz recht gut aussieht, <a href="https://reportingproject.net/occrp/index.php/en/ccwatch/cc-watch-indepth/1899-the-new-building-blocks-of-the-chemical-drug-trade">importiert man in UK schon
Chinesen, um Amphetamine aus nicht staatlich kontrollierten Substanzen
herzustellen</a>.</p>
<p>Interessanter Artikel der ehemaligen Redenschreiberin von Zuckerberg
über das neue Buch der COO von Facebook, Sandberg: <a href="http://www.dissentmagazine.org/online_articles/feminisms-tipping-point-who-wins-from-leaning-in">Feminism’s Tipping
Point: Who Wins from Leaning
in?</a>:</p>
<blockquote><p>Sandberg’s book, very strategically, makes no mention of feminist
critiques of Facebook, and instead imagines a feminist platform
where women’s problems with undercompensation and sexism lie in
women themselves, thus negating the need to change Facebook’s
operations. In this way Sandberg is able to deploy Facebook’s
oft-used tactic of building an in-house version of a competitive
product, a move traditionally deployed against apps, against
competing feminisms.</p></blockquote>
<p><a href="http://www.vice.com/en_uk/read/the-iraqi-war-wasnt-waged-for-oil-greg-palast">Greg Palast über den Irak und das
Öl</a></p>
<p>Ich habe das Harlem-Shake-Video ja noch nicht gesehen, <a href="http://www.theatlantic.com/technology/archive/2013/03/how-memes-are-orchestrated-by-the-man/274466/">aber
anscheinend war das im wesentlichen
Fabrikation</a>.
Siehe auch: <a href="http://betabeat.com/2013/02/hail-corporate-the-increasingly-insufferable-fakery-of-brands-on-reddit/">Wie die Reddit-Kultur sich als Werbevehikel missbrauchen
lässt</a>.
(Wobei es da natürlich auch immer
<a href="http://www.reddit.com/r/mildlyinteresting/comments/19k9a1/i_cannot_bend_any_of_my_fingers_so_there_have/c8oryjj">grandioses</a>
zu finden gibt.)</p>
<p>Und eine Studie belegt, <a href="http://www.o-ton-arbeitsmarkt.de/o-ton-aktuell/schweizer-forscher-widerlegen-klischee-des-zufriedenen-arbeitslosen">dass das Klischee das zufriedenen, faulen
Arbeitslosen ziemlicher Humbug
ist</a>.</p>
<p><strong>Update 03. April:</strong> Hatte ich schon irgendwo abgelegt, aber erst heute gelesen:
<a href="http://thebaffler.com/past/the_meme_hustler">Sehr wichtiger Artikel von Morozov über Tim O’Reilly</a>.</p>
Gefühle und Meinungen respektieren2013-03-20T15:20:00+01:00http://blog.plenz.com/2013-03/gefühle-und-meinungen-respektieren<p>Was ich ja immer wieder faszinierend finde, ist die meist vollkommen
unbemerkte und unreflektierte, aber in weiten Teilen der Bevölkerung
vorherrschende Meinung, Atheisten hätten keine Meinungen oder Gefühle,
die man respektieren müsste – während parallel dazu gefordert wird,
doch toleranter gegenüber den Gläubigen des Islam/Christentum/Papst
etc. zu sein, und ihre religiösen Gefühle zu schonen. <em>DieStandard</em>
<a href="http://diestandard.at/1363239406998/Auch-atheistische-Gefuehle-koennen-verletzt-werden">schreibt</a>:</p>
<blockquote><p>Das Ereignis Papst-Wahl verleitete viele Medien dazu, zu vergessen,
dass nicht nur religiöse Gefühle verletzt werden können, sondern
auch atheistische.</p></blockquote>
<p>Das eine sind direkte Angriffe wie „Die Nichtgläubigen werden in der
Hölle schmoren!“ und dergleichen; aber darum geht es mir nicht.
Vielmehr geht es mir darum, wie ungleich hier argumentiert wird. Wenn
Deniz Yücel <a href="https://www.taz.de/Kommentar-Franziskus/!112813/">seinen Kommentar über den neuen Papst</a> beginnt mit:</p>
<blockquote><p>Der neue Papst ist, den bislang vorliegenden Informationen nach zu
urteilen, ein reaktionärer alter Sack wie sein Vorgänger, der
seinerseits einem reaktionären alten Sack gefolgt war, der wiederum
einen reaktionären alten Sack beerbt hatte.</p></blockquote>
<p>… dann finden das die Autoren im <a href="http://blog.radiovatikan.de/sprungbereite-feindseligkeit/">Radio Vatikan Blog</a> gelinde
gesagt daneben:</p>
<blockquote><p>[…] aber was gesagt werden muss, muss gesagt werden: Ihr seid dumm.</p></blockquote>
<p>„Mimimi, die kritisieren unseren Glauben!“ – Mal ganz abgesehen davon,
dass der neue Papst ein alter Sack <em>ist</em> und dass die katholische
Kirche in ihren Strukturen so alt und verkalkt ist, dass man wohl in
jedem anderen Gewerbe sagen würde: „wegschmeißen, aus den Fehlern
lernen und neu anfangen“ – ganz abgesehen davon ist dies eine Art von
Kritik, die nicht im geringsten anerkennt, wie sehr wir Atheisten
jeden Tag für komplett dumm gehalten werden.</p>
<p>Wenn ich so als Atheist durchs Leben gehe, dann steht vor jeder
religiösen Botschaft immer auch der Satz: „Wir halten euch alle für so
dämlich und gutgläubig, dass ihr auch das Folgende akzeptieren werdet:
…“. – Das fängt an bei Behauptungen wie dass die Kirche doch Ursprung
und Bewahrer demokratischer Grundideale ist, geht weiter mit
der Verbreitung rückständiger Sexual-, Moral- und
Verantwortungs-Vorstellungen sowie Familienbildern und kulminiert
natürlich in den diversen Mythen, die die Grundpfeiler monotheistischer
Religionen ausmachen (insbesondere spielt meist ein eifersüchtiger
Gott eine tragende Rolle).</p>
<p>So sieht die Realität aus, Tag für Tag. Und wenn mir jemand ernsthaft
weismachen will, dass es <em>keine</em> intellektuelle Beleidigung ist, in
einer renommierten Zeitung seitenlange Berichterstattung über einen
Papst zu lesen, der im Jahre 2013 Abtreibung und gleichgeschlechtliche
Beziehungen verbietet – anstatt eines Aufschreis ob der Rückständigkeit
dieses Alten Sackes mitsamt seiner Institution – dann würde ich das
gerne mal hören. Und bitte ohne die Worte „Tradition“,
„althergebracht“ oder „weithin akzeptiert“ zu verwenden. Das wäre
unsachlich.</p>
Winter und Sonne2013-02-28T09:58:00+01:00http://blog.plenz.com/2013-02/winter-und-sonne<p>Komplett zustimmen konnte ich <a href="https://twitter.com/Afelia/status/305018889237049344">diesem Tweet</a>
von Afelia von vor ein paar Tagen:</p>
<blockquote><p>Theorie: Alles ist auch deswegen schlecht, weil kaum einer von uns
seit drei Monaten die Sonne gesehen hat.</p></blockquote>
<p>Und die Tagesschau <a href="http://www.tagesschau.de/inland/wetter634.html">bestätigt’s heute</a>:</p>
<blockquote><p>Der Winter 2012/2013 ist der sonnenscheinärmste seit Beginn der
flächendeckenden Wetteraufzeichnungen im Jahr 1951. … Seit Anfang
Dezember gab es in Deutschland im Schnitt nur 96 Sonnenstunden,
normal sind 154.</p></blockquote>
<p>Nächsten Winter muss ich mir was überlegen um das zu überleben, und
zwar früh. Johanniskraut? Tageslichtlampen? Solarium? Mal schauen. –
Noch bin ich leider nicht in der Position, einfach den gesamten Winter
in Äquatornähe verbringen zu können.</p>
Erste Eindrücke aus Dubai2013-02-21T18:17:00+01:00http://blog.plenz.com/2013-02/erste-eindrücke-aus-dubai<p>Ich bin nun seit einer Woche in Dubai. Als letzter Teil meines langen
Weges zu einem Bachelor-Abschluss muss ich ein Betriebspraktikum
machen, das mindestens sechs Wochen dauert. Laut Regulation darf das
nicht an meiner Heimatuniversität sein, und auf Nachfrage wurde mir
gesagt, dass man eine potentielle Berufslaufbahn erkunden soll, und
deswegen freiberufliche Tätigkeiten nicht anerkannt werden (?!). –
Also habe ich mich bemüht, das Angenehme mit dem Nützlichen zu
verbinden und bin nun in Dubai, um ein Praktikum bei einer Firma
abzuleisten, die Netzwerkdienstleistungen für Fluggesellschaften
anbietet.</p>
<p><a href="/img/jlt.jpg"><img src="/img/jlt.thumb.jpg" /></a></p>
<p>Ganz anders als die anderen Großstädte, in denen ich in den
vergangenen Jahren so war, ist Dubai erwartungsgemäß luxuriös und hoch
technisiert. Hier scheint alles neu zu sein: Die Metro wurde erst vor
zwei Jahren eröffnet, die knapp 80 <a href="https://en.wikipedia.org/wiki/Jumeirah_Lake_Towers">Jumeirah Lake
Towers</a>, die das
Viertel ausmachen, in dem ich arbeite, wurden in einem Kraftakt
innerhalb von wenigen Jahren gebaut – schön mit künstlichen Seen und
einer Metro-Station direkt vor der Tür. (Siehe auch auf
<a href="http://goo.gl/maps/Li8aU">Google Maps</a>.)</p>
<p>Ich wohne glücklicherweise direkt an der Metro-Station <em>Business Bay</em>,
direkt an der <a href="https://en.wikipedia.org/wiki/E_11_road_(United_Arab_Emirates)">Sheikh Zayed Road</a>,
einer in beiden Richtungen sechsspurig verlaufenden Stadtautobahn. Die
Straße überquert man bei den Metro-Stationen über (natürlich
klimatisierte) und mit Laufbändern wie in Flughäfen ausgestattete
Fußgängerbrücken. In meinem Stadtteil sieht man von fast überall das
<a href="https://en.wikipedia.org/wiki/Burj_Khalifa">Burj Khalifa</a>,
das (<a href="https://en.wikipedia.org/wiki/Kingdom_Tower">momentan noch</a>)
höchste Gebäude der Welt.</p>
<p><a href="/img/dubai-skyline.jpg"><img src="/img/dubai-skyline.thumb.jpg" /></a></p>
<p>Dubai ist <a href="http://www.yr.no/place/United_Arab_Emirates/Dubai/Dubai/hour_by_hour.html">leider gar nicht so warm</a>,
wie ich mir das vorgestellt habe, wobei jetzt wohlgemerkt auch hier
noch Winter ist. Tagsüber ist es ganz nett, aber da muss ich ja
arbeiten. Ansonsten ist hier alles klimatisiert: Nicht nur alle
Wohnhäuser, Büros, die U-Bahnen: Nein, auch die U-Bahn-Stationen und
sogar die Bushaltestellen!</p>
<p>Da ich zu Hause weder einen Stuhl noch einen Tisch besitzte, verbringe
ich die Abende meist in irgendwelchen Cafés, gestern mit einem meiner
Kollegen in <em>Dubai Marina</em>, einem Viertel, das genau wie JLT fast
nur aus Wolkenkratzern besteht. Die künstlichen Seen zwischen den
Häusern sind dort aber viel tiefer und auch mit Booten vom Meer aus zu
erreichen.</p>
<p><a href="/img/dubai-marina-night.jpg"><img src="/img/dubai-marina-night.thumb.jpg" /></a></p>
<p>Insgesamt ist die Stadt großteils extrem Fußgänger-unfreundlich und
zentralisiert. Anstatt ziellos durch die Gegend zu laufen und zufällig
ein nettes Restaurant oder Cafe zu finden, fährt man häufig in die
nächste Mall, wo dann dutzende oder sogar hunderte Gelegenheiten sind,
etwas zu essen. Die Malls sind hier so riesig, dass es
Computerterminals gibt, mit Hilfe derer man sich zurecht finden kann
und die Auswahl der Läden erkunden kann. Ich hasse Shopping, aber
ich werde mich für die Zeit wohl damit abfinden müssen, dass das hier
eines der größten Dinge ist.</p>
<p>Dass das Internet hier zensiert wird, ärgert mich. Ich habe
mittlerweile herausgefunden, wie man die Maßnahmen umgehen kann, ohne
ein VPN zu benutzen; mit der Veröffentlichung der technischen Details
warte ich aber sicherheitshalber, bis ich wieder außer Landes bin…</p>
Followup “Blood in the Mobile”2013-02-18T09:56:00+01:00http://blog.plenz.com/2013-02/followup-blood-in-the-mobile<p>Als Followup zu dem <a href="http://blog.plenz.com/2011-02/blood-in-the-mobile.html">bereits erwähnten
Film</a> “Blood in the Mobile”:</p>
<blockquote><p>Der Kongo spielt nur eine geringe Rolle bei der Versorgung der
internationalen Elektronikindustrie. Seit der neuen US-Gesetzgebung von 2010
und den entsprechenden Diskussionen über internationale Regelwerke ist der
Coltan- und Zinnexport aus [der krisengeschüttelten Provinz] Kivu faktisch
zusammengebrochen, weil niemand mehr das Zeug aus dem Kongo will. Und, kein
Zufall: Seit diesem Zusammenbruch schließen sich in Kivu mehr junge Menschen
bewaffneten Gruppen an als je zuvor. Der Bergbau bot eine
Einkommensmöglichkeit, die jetzt größtenteils weggebrochen ist. Die Krise des
Bergbaus ist konfliktfördernder als der Bergbau selbst es je war.</p></blockquote>
<p>Dieser Absatz ist aus <a href="https://blogs.taz.de/kongo-echo/2013/02/16/kriege-auserhalb-von-kivu-i-maniema/#comment-3139">einem Kommentar von Dominic
Johnson</a>
in dem immer wieder zu empfehlenden Blog <em>Kongo Echo</em>.</p>