Julius Plenz – Blog

Git-Buch jetzt unter CC-Lizenz

Der Verlage Open Source Press hat zum Ende des Jahres 2015 den Betrieb eingestellt, und die Veröffentlichungsrechte der Texte an die Autoren zurückübertragen. Valentin und ich haben uns entschieden, sowohl den Text des Buches als auch die Materialien, die wir für Schulungen verwendet haben, unter einer CreativeCommons-Lizenz zu veröffentlichen. All das könnt ihr ab sofort unter http://gitbu.ch finden. Viel Spaß damit!

posted 2016-01-03 tagged git and personal

Ulysses

Ich war kürzlich zum ersten Mal in Dublin, und das war Grund genug, mich endlich einmal mit dem modernistischen Epos Ulysses von James Joyce auseinanderzusetzen. Anstatt hier aber zu schreiben: ja, es ist ziemlich anstrengend zu lesen – ja, ohne kapitelweise Sekundär-Zusammenfassungen hätte ich kaum etwas verstanden – ja, es ist sprachgewaltig und auch ziemlich witzig – ja, es ist ein stilistisches und formales Kunstwerk – ja, das war mein zweiter und letzter Versuch, ein Joyce-Fan zu werden und nein, ich werde die anschließend von ihm verfassten Monströsitäten nicht angehen ––

Anstatt also zu wiederholen, was man überall liest, hier im Folgenden der Versuch, zwei zentrale Werke des Modernismus einander gegenüber zu stellen und in Beziehung zu setzen: Ulysses versus Der Mann ohne Eigenschaften. Beide Werke sind recht umfangreich, was aber ja nicht unbedingt abschreckend ist: nur sind sie auch beide kompliziert und sperrig. Joyces Werk nicht so sehr aufgrund der Handlung, sondern der Form: Selten wird der Leser an die Hand genommen, immer muss man aus dem Dialog den Kontext erraten oder bekommt nur rohe Gedanken serviert. Bei Musil wird hingegen ständig reiteriert und Kontext gegeben, mit einer sprachlicher Brillianz die seinesgleichen sucht: nur sind die Gedanken sehr diffiziler philosophisch-dialektischer Natur.

Beide Werke haben eine interessante Gemeinsamkeit: sie sind, ganz in modernistischer Manier, exakt konstruiert in der Zeitspanne, die sie abdecken (– die Form bestimmt den Rahmen): Ulysses ist die Geschichte eines einzigen Tages in Dublin, während der Mann ohne Eigenschaften genau ein Jahr in Wien verlebt (streng genommen: verleben würde, wenn das Buch je zu Ende geschrieben worden wäre). Im letzteren Fall ist ganz klar, wann die Handlung stattfindet, denn das Buch beginnt mit folgendem ersten Absatz:

Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Rußland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. Die Isothermen und Isotheren taten ihre Schuldigkeit. Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur, zur Temperatur des kältesten wie des wärmsten Monats und zur aperiodischen monatlichen Temperaturschwankung. Der Auf- und Untergang der Sonne, des Mondes, der Lichtwechsel des Mondes, der Venus, des Saturnringes und viele andere bedeutsame Erscheinungen entsprachen ihrer Voraussage in den astronomischen Jahrbüchern. Der Wasserdampf in der Luft hatte seine höchste Spannkraft, und die Feuchtigkeit der Luft war gering. Mit einem Wort, das das Tatsächliche recht gut bezeichnet, wenn es auch etwas altmodisch ist: Es war ein schöner Augusttag des Jahres 1913.

Bei Joyce muss man arg suchen, wenn man wissen will, an welchem Tag die Handlung spielt: Man schreibt das mittlerweile als Bloomsday bekannte und gefeierte Datum des 16. Juni 1904 – das wird aber, abgesehen von kurz vor Schluss, nirgends klar kommuniziert. Man kann sich diese Information zum Beispiel aus den folgenden Fragmenten aus Kapitel drei und vier zusammenstückeln, tief in wirren Gedankengängen vergraben:

He took the hilt of his ashplant, lunging with it softly, dallying still. Yes, evening will find itself in me, without me. All days make their end. By the way next when is it Tuesday will be the longest day. Of all the glad new year, mother, the rum tum tiddledy tum. Lawn Tennyson, gentleman poet. … (Dedalus musing in 3.489)

He listened to her licking lap. Ham and eggs, no. No good eggs with this drouth. Want pure fresh water. Thursday: not a good day either for a mutton kidney at Buckley's. Fried with butter, a shake of pepper. Better a pork kidney at Dlugacz's. While the kettle is boiling. She lapped slower, then licking the saucer clean. Why are their tongues so rough? To lap better, all porous holes. Nothing she can eat? He glanced round him. No. (Bloom in 4.43)

Wir haben es also mit einem Donnerstag fünf Tage vor dem längsten Tag der nördlichen Hemisphäre, dem 21. Juni, zu tun. Welches Jahr? Na ja, da gäbe es mehrere Möglichkeiten: Der 16. Juni fiel zwischen den Jahren 1880 und 1920 auf einen Donnerstag in: 1881, 1887, 1892, 1898, 1904, 1910, sowie 1921. Andere Hinweise?

He faced about and, standing between the awnings, held out his right hand at arm's length towards the sun. Wanted to try that often. Yes: completely. The tip of his little finger blotted out the sun's disk. Must be the focus where the rays cross. If I had black glasses. Interesting. There was a lot of talk about those sunspots when we were in Lombard street west. Looking up from the back garden. Terrific explosions they are. There will be a total eclipse this year: autumn some time. (Bloom thinking in 8.564)

Aber Wikipedia sagt interessanterweise: „There was no Total Solar Eclipse visible from the United Kingdom between 1724 and 1925.“ – Schließlich aber, im vorletzten Kapitel (auch wenn das Datum ab der Mitte an verschiedenen Stellen, aber nicht eindeutig zuordenbar auftaucht) wird es explizit: „Compile the budget for 16 June 1904.“ (17.1456)


Beide Werke erwähnen wiederholt Nietzsche als Philosophen oder Teile seiner Werke: In Ulysses wird mehrmals aus Zarathustra zitiert; Ulrich schenkt Clarisse zu ihrer Hochzeit eine Gesamtausgabe von Nietzsche. Ein ganz zentrales Moment Nietzsche’scher Philosophie ist die auf die griechischen Götter Apollo und Dionysos zurückgehende Dialektik apollinisch-dionysisch. Was bedeutet dionysisch? Das Handwörterbuch der Philosophie erklärt das Wort wie folgt:

Von Dionysos, dem griech. Gott des Weines: neben dem Apollinischen die Personifizierung eines der beiden die Geschicke der Welt lenkenden Prinzipien bei Nietzsche. Während das Apollinische für das Streben nach Begrenzung, nach Maß und Gestalt steht, verkörpert das Dionysische den Drang ins Ungebundene, das Rauschhafte und Ausufernde, das, was die Grenzen aufhebt, die Form zerstört und das Gestalthafte in den Weltgrund zurückwirft.

Während die apollinische Betrachtungsweise also die der Wissenschaft, die der exakten Beschreibung und Klassifizierung, schließlich der Rationalität ist, ist die die dionysische eine des Trunkenen, Orgiastischen: Der Urzustand des Menschen spricht aus dem Un- und Unterbewussten.

Dies führt mich zur folgendenden, zentralen These: Die Herangehensweise Musils ist inhärent apollinisch, während die von Joyce ein meisterhaftes Beispiel für das Dionysische ist. Als Beispiel möchte ich hier eine Szene anführen, die in beiden Büchern beiläufig vorkommt: Männlicher Protagonist trifft ihm unbekannte Frau in der Öffentlichkeit und hat ein spontanes sexuelles Verlangen nach ihr. Nebeneinander gelesen sind diese Ausschnitte hervorragende Beispiele für die Idiosynkrasie der jeweiligen Erzähltechniken.

In Ulysses (4.145) ist Bloom gerade auf dem Weg, für sein Frühstück Leber vom Fleischer zu besorgen:

A kidney oozed bloodgouts on the willowpatterned dish: the last. He stood by the nextdoor girl at the counter. Would she buy it too, calling the items from a slip in her hand? Chapped: washingsoda. And a pound and a half of Denny's sausages. His eyes rested on her vigorous hips. Woods his name is. Wonder what he does. Wife is oldish. New blood. No followers allowed. Strong pair of arms. Whacking a carpet on the clothesline. She does whack it, by George. The way her crooked skirt swings at each whack.

[…]

The porkbutcher snapped two sheets from the pile, wrapped up her prime sausages and made a red grimace.

—Now, my miss, he said.

She tendered a coin, smiling boldly, holding her thick wrist out.

—Thank you, my miss. And one shilling threepence change. For you, please?

Mr Bloom pointed quickly. To catch up and walk behind her if she went slowly, behind her moving hams. Pleasant to see first thing in the morning. Hurry up, damn it. Make hay while the sun shines. She stood outside the shop in sunlight and sauntered lazily to the right. He sighed down his nose: they never understand. Sodachapped hands. Crusted toenails too. Brown scapulars in tatters, defending her both ways. The sting of disregard glowed to weak pleasure within his breast. For another: a constable off duty cuddling her in Eccles lane. They like them sizeable. Prime sausage. O please, Mr Policeman, I'm lost in the wood.

—Threepence, please.

His hand accepted the moist tender gland and slid it into a sidepocket. Then it fetched up three coins from his trousers' pocket and laid them on the rubber prickles. They lay, were read quickly and quickly slid, disc by disc, into the till.

—Thank you, sir. Another time.

A speck of eager fire from foxeyes thanked him. He withdrew his gaze after an instant. No: better not: another time.

—Good morning, he said, moving away.

—Good morning, sir.

No sign. Gone. What matter?

He walked back along Dorset street, reading gravely. […]

Joyce verbalisiert einfach nur das im Kopf Stattfindende, mit all der damit einhergehenden Sprunghaftigkeit, Ungeduldigkeit und vor allem Unreflektiertheit: Wäre es nicht interessant zu untersuchen, wie aus einem sting of disregard innerhalb von Momenten eine Art Verlangen wird? All das interessiert aber offenbar nicht, und außerdem muss er ja bezahlen. Und schon sind die Gedanken wieder woanders, und er liest im Nachhausegehen…

Musil hingegen benutzt eine ganz ähnlich zufällige Begegnung, um – durchaus als Ablenkung, vorher wird ein ganz anderer Gedankengang gesponnen – um zu reflektieren, wie die Nächstenliebe eigentlich ein heuchlerisches Konzept ist, und überhaupt: warum mag man überhaupt Menschen, ohne dass man sie wirklich gut kennt?! Das liest sich dann aber, wie man so schön sagt, „wie gedruckt“ (3. Teil, Kap. 23):

[… es] fehlte seinem Denken bereits die Absicht, eine Entscheidung zu suchen, und er ließ sich bereitwillig ablenken. In seiner Nähe waren gerade zwei Männer zusammengestoßen und riefen sich unangenehme Bemerkungen zu, als wollten sie handgemein werden, woran er mit erfrischter Aufmerksamkeit teilnahm, und als er sich kaum davon abgewandt hatte, stieß sein Blick mit dem einer Frau zusammen, der wie eine fette, auf dem Stengel nickende Blume war. In jener angenehmen Laune, die sich zu gleichen Mengen aus Gefühl und nach außen gerichteter Aufmerksamkeit mischt, nahm er Kenntnis davon, daß die ideale Forderung, seinen Nächsten zu lieben, unter wirklichen Menschen in zwei Teilen befolgt wird, deren erster darin besteht, daß man seine Mitmenschen nicht leiden kann, während das der zweite dadurch wettmacht, daß man zu ihrer einen Hälfte in sexuelle Beziehungen gerät. Ohne zu überlegen, kehrte auch er nach wenigen Schritten um, der Frau zu folgen; es geschah noch ganz mechanisch als Folge der Berührung durch ihren Blick. Er sah ihre Gestalt unter dem Kleid wie einen großen weißen Fisch vor sich, der nahe der Wasseroberfläche ist. Er wünschte sich, ihn männlich zu harpunieren und zappeln sehen zu können, und es lag darin ebensoviel Abneigung wie Verlangen. An kaum merklichen Zeichen wurde ihm auch Gewißheit, daß diese Frau von seinem Hinterdreinstreichen wisse und es billige. Er suchte zu ermitteln, auf welchen Platz sie in der gesellschaftlichen Schichtung gehören möge, und riet auf höheren Mittelstand, wo es schwer ist, die Stellung genau zu bestimmen. »Kaufmannsfamilie? Beamtenfamilie?« fragte er sich. Aber verschiedene Bilder tauchten willkürlich auf, darunter sogar das einer Apotheke: er fühlte den scharf-süßen Geruch an dem Mann, der nach Hause kommt; die kompakte Atmosphäre des Heims, der nichts mehr von den Zuckungen anzumerken ist, unter denen sie kurz vorher die Diebslampe eines Einbrechers durchleuchtet hat. Ohne Zweifel war das abscheulich und doch ehrlos lockend.

Und während Ulrich weiter hinter der Frau herging und in Wahrheit fürchtete, daß sie vor einer Auslage stehen bleiben und ihn zwingen werde, entweder blöde weiterzustolpern oder sie anzusprechen, war irgendetwas immer noch unabgelenkt und hellwach in ihm. »Was mag eigentlich Agathe von mir wollen?« […]

Ähnlich wie Proust ist Musil ein Autor, der wie mit einem Spot-Scheinwerfer ganz bestimmte Winkel einer sehr weiten Zeitspanne ausleuchtet: Nur nebenbei wird das Jahr des Urlaubs chronologisiert, meist dient dies nur als Überleitung zu einer Situation, die es Musil (in Gestalt von Ulrich, meist denkend alleine oder im Quasimonolog) erlaubt, mehrere Dutzend Seiten bei einem Gedankengang zu verharren. Ulysses ist hier die Antithese, hier gehen große sozialphilosophische Thesen einfach unter, weil es nachts ist und alle Gesprächsteilnehmer sturzbetrunken sind:

BLOOM: I stand for the reform of municipal morals and the plain ten commandments. New worlds for old. Union of all, jew, moslem and gentile. Three acres and a cow for all childern of nature. Saloon motor hearses. Compulsory manual labour for all. All parks open to the public day and night. Electric dishscrubbers. Tuberculosis, lunacy, war and mendicancy must now cease. General amnesty, weekly carnival with masked licence, bonuses for all, esperanto the universal language with universal brotherhood. No more patriotism of barspongers and dropsical impostors. Free money, free rent, free love and a free lay church in a free lay state.

(Anschließend fängt Bloom an zu singen und jemand schmeißt einen Schuh nach ihm. Wobei das vielleicht auch nur in Gedanken passiert, man weiß das nicht so genau. Zugehört hat ihm in jedem Fall niemand so wirklich.) –

Schließlich ist neben dem Gegensatz Apollinisch–Dionysisch ein weiteres zentrales Motiv der Philosophie Nietzsches die unbedingte und nicht immer rationalisierbare Bejahung des Lebens, ein ständiges und insistierendes Ja-Sagen zum Leben – eine im Kern anti-nihilistische Haltung. Joyce lässt Ulysses ganz bewusst mit dem Wort “Yes” enden (auch wenn die Intention dahinter zugegebenermaßen nicht unbedingt lebensbejahned ist: statt dessen komplettiert das Wort laut eines Briefen von Joyce an Frank Budgen den das Kapitel durchziehenden verbalen Symbolismus für das Weibliche). – Im Gegensatz dazu erschafft der Mann ohne Eigenschaften eine große philosophische Apparatur, um die Lebensbejahung zu rationalisieren – tut dann aber nicht den entscheidenden Schritt der Verwirklichung: Das Buch bleibt unvollendet.

posted 2015-08-15 tagged bookdump

Bookdump

Es ist eine Weile her seit dem letzten Artikel, und auch wenn ich hauptsächlich Mathematik getrieben habe, hat sich viel angesammelt.

Überraschend informativ und einfach zu lesen ist Foucaults Überwachen und Strafen, und natürlich aktueller denn je.

Die Essaysammlung Arguably von Christopher Hitchens ist ein nettes Sammelsurium, mit einigen sehr beeindruckenden Beiträgen. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Hitchens sich zu der Zeit, als die Praxis des Waterboarding gerade in die öffentliche Wahrnehmung gezerrt wurde, selbst dieser Foltermethode unterzogen hatte – um einfach zu erfahren, wie sich das angefühlt – und darüber berichten zu können.

Als ein sehr mathematisch motivierter Autor gilt J. L. Borges. Dessen Kurzgeschichtensammlung Labyrinths hat mir gut gefallen, auch wenn sich die mathematischen Aspekte seiner Literatur zumindest in dieser Auswahl meist darauf reduzieren, die inhärenten Paradoxa von Rekursion und Unendlichkeit zu verarbeiten. Er ist aber ein Autor, der das Träumen glorifiziert und immer wieder die Grenzen der Erkenntnis ausleuchtet, wie zum Beispiel in Avatars of the Tortoise:

‘The greatest magician (Novalis has memorably written) would be the one who would cast over himself a spell so complete that he would take his own phantasmagorias as autonomous appearances. Would not this be our case?’ I cojecture that this is so. We (the undivided divinity operating within us) have dreamt the world. We have dreamt it as firm, mysterious, visible, ubiquitous in space and durable in time; but in its architecture we have allowed tenuous and eternal crevices of unreason which tell us it is false.

Beeindruckt war ich von Henry Thoreau, dem amerikanischen Naturalisten, der mit Walden ein Werk geschafft hat, was schon vor der Industrialisierung den „Ausstiegsgedanken“ geprägt hat, und die philosophischen und praktischen Aspekte eines Lebens fernab der Gesellschaft, alleine im Wald und als Selbstversorger erläutert:

But I would say to my fellows, once for all, As long as possible live free and uncommitted. It makes but little difference whether you are committed to a farm or the county jail.

Seinen ernährungstechnischen Ansichten stehe ich teils sympathisch gegenüber (wenn auch nicht in der Begründung) –

I believe that every man who has ever been earnest to preserve his higher or poetic faculties in the best condition has been particularly inclined to abstain from animal food, and from much food of any kind.

– seine Ansichten zu Wein und Kaffee aber teile ich nicht:

I believe water is the only drink for a wise man; wine is not so noble a liquor; and think of dashing the hopes of a morning with a cup of warm coffee, or of an evening with a dish of tea!

Faulkner: As I Lay Dying – Boah, also so concious-stream-narrative kann ich mal gar nicht ab.

Ayn Rand: The Fountainhead – Das Buch ist wie ein Verkehrsunfall: So schrecklich es auch ist, man kann nicht wegschauen. Ich habe selten ein Buch gelesen, in dem die Prosa so arg schlecht ist und die Charaktere so dermaßen holzschnittig gezeichnet sind. Damals muss ein unglaubliches soziales Klima geherrscht haben, dass so ein Buch Erfolg haben konnte. Trotzdem fesselnd. Und: Keine Illustration der Bauwerke wird der dahinter stehenden Idee gerecht. (An dieser Stelle möchte ich auf das Blog eines guten Freundes von mir linken: cncrt abstraction beschäftigt sich mit Brutalismus-Architektur, was glaube ich der Essenz der Bauwerke Howard Roarks nicht allzu fern liegt.)

Über alle Maßen gelobt unter den klassischen Sci-Fi-Autoren ist natürlich Philipp K. Dick. Zum Einstieg VALIS zu lesen war vermutlich nicht die beste Entscheidung, ist es doch eher dem Spätwerk zuzuordnen und sehr autobiografisch. Viel besser haben mir dann die Three Stigmata of Palmer Eldrich gefallen, ziemlich halluzinatorisch-dystopisch, mir alles in Allem aber nicht konkret und anschaulich genug. Ein weiterer Klassiker, Kurt Vonneguts Slaughterhouse-five, gefiel mir halbwegs gut, aber schön, dass es so kurz war. Dass der Erzähler ständig in Zeit und Raum springt hat mich an Hilsenraths „Märchen vom letzten Gedanken“ erinnert.

Sehr beeindruckt war ich von Jean-Paul Sartres Nausea (dt.: Der Ekel):

… The past is a property-owners’s luxury.

Where should I keep mine? You can’t put your past in your pocket; you have to have a house in which to store it. I possess nothing but my body; a man on his own, with nothing but his body, can’t stop memories; they pass through him. I shouldn’t complain: all I have ever wanted was to be free.

Davon angespornt habe ich auch The Age of Reason gelesen, war aber nach der Hälfte richtiggehend angenervt und habe den Rest nur noch überflogen. Zu den französischen Existentialisten gehört natürlich auch Camus, aber sein Mythos des Sisyphos ist zwar gut und nett, aber literarisch verpackt kann ich mit solcher Philosophie mehr anfangen.

Tom Wolfe schreibt so ein bisschen wie Jonathan Franzen. The Bonfire of the Vanities war eine beeindruckend vielschichtige Geschichte, liebevoll konstruiert, aber eben auch so ein Momentanpanorama-Epos.

Manchmal gehen einem die Bücher aus, und dann muss man nehmen, was man kriegt. So war ich auf der Insel Palawan darauf angewiesen, mich bei einem Australier und einem Kanadier, die sich beide dort zur Ruhe gesetzt hatten und gebrauchte Bücher für einen Euro pro Stück von ihrer Veranda verkauften, einzudecken: Noch ein bisschen spannend ist Stephen Leather: Hungry Ghost, aber nur noch pathetisch und schlecht ist Morris West: Summer of the Red Wolf. Einen noch mir noch unbekannten Krimi von Ian Rankin, A Question of Blood, fand ich dort auch, sowie John le Carrés Absolute Friends, von dem ich aber jetzt schon nicht mehr sagen könnte, worum es eigentlich ging.

Ab und zu muss man auch Bücher lesen, die in die Hosentasche passen. Henry James hat mit The Turn of the Screw eine nette Horrorgeschichte geschaffen, die glücklicherweise schnell zum Punkt kommt. Auf Verdacht habe ich Andre Gide: The Immoralist gekauft, und hätte mehr Immoralität erwartet.

Wenn Krimis oder Thriller weltweit auf einmal überall auftauchen, dann ist das ein Indiz, dass sie zumindest spannend sind. Gillian Flynn: Gone Girl ist es auch, aber ein so dermaßen schlechtes Ende, das tat schon weh. Die Buchverfilmung, die ich direkt im Anschluss gesehen habe, hat mir nicht gut gefallen.

Schon häufiger ist es mir passiert, dass ich ein Buch las, über das Kritiker schrieben: »full of ideas … grand in scope« – und ich fand eine Geschichte vor, die höchstens beeindruckend war ob der aussagelosen Weitläufigkeit des Textes, in anderen Worten: Es sind häufig Geschichten, die besser Exposition oder Kurzgeschichte geblieben wären. Über Zia Haider Rahmans Debutroman In the Light of What We Know bin ich gestolpert aufgrund des Zitates von Alex Preston auf dem Cover: »The novel I’d hoped Jonathan Franzen’s ›Freedom‹ would be.« – Ja, in typischer »Grand Scope«-Manier ist ein Leitmotiv des Buches der Gödelsche Unvollständigkeitssatz (abstrakt! Mathematik und Logik!), aber wo andere Bücher daraus Realweltanalogien gebastelt hätten, die unweigerlich lächerlich erscheinen für einen jeden, der ein wenig Mathematik studiert hat, tritt in verschiedenen Situationen der Vater des Protagonisten, seines Zeichens Physikprofessor, auf, zitiert mehrfach Richard Feynman und erläutert außerdem erschöpfend, dass keine Analogie jemals den Tatsachen gerecht wird. – Neben vielen anderen Themen, die der Roman behandelt, ist das zentrale Thema aber auf geradezu frappierend exakte Weise bereits vom Titel erschöpfend behandelt: Die Realität lässt sich nicht ansatzweise so kontrollieren, wie die Mathematik es zulässt: nachträglich erlangtes Wissen kann die damals als korrekt eingestufte Bewertung einer Situation abstrus verkehren – während ein mathematischer Beweis nunmal stimmt oder nicht. Auch sehr interessant ist das Buch, weil es Einblicke in Welten gibt, die den meisten Menschen verschlossen bleiben. Diese Kritik fasst es gut zusammen:

It is a novel that displays a formidable familiarity with élite knowledge, and takes for granted a capacity for both abstract and worldly thinking.

Daniel Suarez: Influx – Schon spannend aber auch ein bisschen flach und vorhersehbar.

F. Scott Fitzgerald: The Great Gatsby – so ein Klassiker. Kann man, muss man aber nicht. Wie ich höre, veranstaltet man heutzutage (wieder?) „Gatsby-Partys“…

Wenn ein Autor es schafft, einen allgemein bekannten Ismus zu prägen, dann ist es meist ratsam, zumindest ein bisschen was im Original gelesen zu haben. (Beispiel: Darwinismus. Aber Achtung: Fast alle Kommunisten haben ihren eigenen Ismus, und nur weil der Trotzkyismus ein paar Anhänger hat, heißt das noch nicht, dass man Trotzky lesen muss.) – Worauf ich hinaus will: Wenn jemand es schafft, den Begriff Sadismus zu prägen, der so sehr eigenes Wort ist, das kaum noch jemand den Autor dahinter kennt, dann ist das doch interessant zu erforschen, wer de Sade war. Und so habe ich mich also hingesetzt – nicht zuletzt motiviert durch Adorno&Horkheimers Behandlung des Themas – und zwei zentrale Werke des Marquis de Sade gelesen: Zuerst Justine, oder die Leiden der Tugend, das nach 500 Seiten mit einem geradezu epischen cliff-hanger aufhört; gefolgt von der Weiterführung der Erzählung, diesmal aus der Sicht der Schwester: Juliette, oder die Vorteile des Lasters. – Die Justine ist leider etwas repetitiv und wäre interessanter, wenn sie halb so lang wäre. Die Juliette aber hat mit knapp 300 Seiten eine gute Länge. Beide Romane sind kurz vor dem Übergang 18./19. Jahrhundert entstanden, das heißt sehr lange Zeit bevor Amoralität, Egoismus, Atheismus sowie Anti-Christianismus, und natürlich: das offene Reden über sexuelle Akte jeglicher Art und Coleur salonfähige Themen waren (wenn sie es das überhaupt jemals waren; sagen wir: literaturfähig, man denke daran, dass selbst Lolita keinen Verleger in den USA fand, dann im „liberalen Frankreich“ über einen eher wenig seriösen Verlag publiziert wurde, kurze Zeit später aber für zwei Jahre lang dort verboten war – und das war in den Neunzehnhundertfünfzigerjahren!). – Nun also, de Sade schafft etwas, was ich nicht für möglich gehalten hätte: Man schlage ein beliebiges der beiden Bücher zufällig auf und lese 20 Seiten – und diese zwanzig Seiten stellen jeden Hardcore-Scat-BDSM-Snuff-Porno in den Schatten (– gibt es sowas in der Kombination überhaupt?). Wenn die ältere Generation sagt: „Aber die heutige Jugend ist so verroht!“ (Stichworte: Killerspiele, Gewaltvideos, Pornokonsum), dann sage ich: Wenn wir eines sind, dann sind wir – historisch gesehen – ziemlich zivilisiert in der gesamtgesellschaftlichen Ausgestaltung unserer Sexual-, Gewalt- und Tötungsphantasien. Wirklich.

Gabriel Garcia Marquez: Die Liebe in den Zeiten der Cholera. Etwas ausladend, aber gut.

Ich wohne jetzt in Sydney, und um ein bisschen Trivia-Kenntnisse zu erlangen habe ich Bill Bryson: Down Under gelesen: Lustig und informativ. – Aber ein wirklich unglaubliches Buch ist Bruce Chatwins Bericht The Songlines über seine Reise durch das australische Outback auf den Spuren der mündlich überlieferten Tradition der Aboriginies. Ja, es ist anekdotisch und die Textgestalt ist ab der Mitte durch Exzerpte aus seinen Notizbüchern recht eigenwillig; auch sollte man seiner Theorie über den Mensch als ursprünglich nomadisch eine gewisse Skepsis entgegenbringen. Aber interessant und thought-provoking ist dieses Buch in jedem Fall.

Roberto Bolaño: Third Reich. Mehr alte Werke werden ausgegraben…

Cormac McCarthy: The Road. – Hat mich eine Nacht lang wach gehalten.

posted 2015-07-06 tagged bookdump

Git-Buch, zweite Auflage

Lange in Planung, aber nun ist sie endlich lieferbar: Die zweite, überarbeitete Auflage des Git-Buchs von Valentin und mir. Da ich gerade nicht am Lande bin, habe ich das Buch noch nicht in den Händen gehalten, aber Valentin hat ein Foto gemacht, denn das Buch trägt das neue Git-Logo auf dem Cover:

Die erste Auflage war Mitte 2011 erschienen. Etwas mehr als drei Jahre später ist diese ausverkauft, und es hat sich so viel in Git verändert, dass es sich lohnt, den alten Text nicht bloß nachzudrucken, sondern aufzuarbeiten (und die Fehler zu korrigieren). Ich zitiere aus dem Vorwort:

Wir haben uns in der 2. Auflage darauf beschränkt, die Veränderungen in der Benutzung von Git, die bis Version 2.0 eingeführt wurden, behutsam aufzunehmen – tatsächlich sind heute viele Kommandos und Fehlermeldungen konsistenter, so dass dies an einigen Stellen einer wesentlichen Vereinfachung des Textes entspricht. Eingestreut finden sich, inspiriert von Fragen aus Git-Schulungen und unserer eigenen Erfahrung, neue Hinweise auf Probleme, Lösungsansätze und interessante Funktionalitäten.

Teils sind die Änderungen nur minimal, und zielen darauf ab, Neulingen die „moderne“ Syntax der Kommandos beizubringen: Statt git commit --amend -C HEAD verwendet man nun zum Beispiel git commit --amend --no-edit, einen Merge bricht man mit git merge --abort ab (statt mit einem Hard-Reset), und das präferierte Pickaxe-Tool ist -G, nicht mehr -S (ein subtiler Unterschied!).

Teils werden neue Optionen und Best-Practices (push.default!) diskutiert, und neue, aber vermutlich wenig bekannte Optionen vorgestellt (z.B. die neuen Strategie-Optionen der Recursive-Merge-Strategie, mit denen man durch Whitespace-Unsinn verursachte Merge- oder Rebase-Konflikte häufig automatisch lösen kann).

Ein nicht unerheblicher Teil der Änderungen ist der Art, dass man sich als Autor freuen kann: Zum Beispiel haben wir den gesamten Teil über „Subtrees“ im Vergleich zu „Submodules“ umgeschrieben, so dass git subtree verwendet wird, das nun Teil von Git ist. Dadurch fallen mal eben ein Dutzend schwer zu merkender Kommandos weg und werden durch ein Subkommando ersetzt, das eine eigene Man-Page bereithält.

Wir haben über die drei Jahre hauptsächlich sehr positives Feedback zu dem Text erhalten. Insbesondere wurde von erfahrenen Anwendern häufig gelobt, dass wir komplexe Beispiele verwenden und „schnell zum Punkt kommen“. Der größte Kritikpunkt kam sicherlich aus der Windows-Fraktion: Hier haben sich einige Leute etwas irritiert gezeigt, wie sehr Unix-zentriert Textgestalt und Inhalte sind. Nach reiflicher Überlegung haben wir uns entschieden, nicht von diesem Kurs abzuweichen – insbesondere haben wir die Idee verworfen, eine Auswahl an GUI-Clients ausführlich zu thematisieren. Wir konnten in Git-Schulungen besonders mit „EGit“ (Eclipse) einiges an Erfahrung sammeln, und unser Fazit fällt im Wesentlichen negativ aus: Die Tools können nicht ansatzweise den Komfort und die Flexiblität des Original-Git bieten, haben an einigen wesentlichen Stellen Probleme – EGit kennt z.B. erst seit ein paar Monaten fetch.prune, und es gibt noch nicht mal einen Knopf dafür im Fetch-Dialog… wie soll man da effizient mit Branches arbeiten?! – und ändern sich außerdem noch viel zu schnell, als dass eine gedruckte Dokumentation helfen würde.

Eigentlich sollte die Neuauflage schon Ende des Sommers erscheinen. Dass es nun doch so lange gedauert hat, war vor allem technischen Gründen geschuldet: Die erste Auflage war in LaTeX geschrieben, doch mittlerweile hat der Open Source Press-Verlag auf das eigens entwickelte Publishing-System Textovia umgestellt, das AsciiDoc im Hintergrund verwendet.

Für die initiale Konvertierung von ca. 780 KB LaTeX-Quellcode sind wir dem Verlag sehr dankbar! Allerdings sind uns beim mehrmaligen konzentrierten Durchgehen an diversen Stellen noch übrig gebliebene LaTeX- und Konvertierungsartefakte aufgefallen, und so manchen einfachen LaTeX-Hack konnten wir nicht ohne Probleme in AsciiDoc umsetzen…

Die Umstellung auf das neue Format vereinfacht es immens, eine Print-Version parallel zu mehreren EBook-Versionen zu produzieren; insbesondere ist es aber so, dass nun im Print-Text keine Seitenzahlen mehr referenziert werden, sondern nur noch Abschnitt-Nummern. Wir hoffen, dass sich durch die Konvertierung nicht zu viele neue Fehler eingeschlichen haben.

Neben der Tatsache, dass die neue Auflage moderner und konsistenter ist, bietet sie eine ganz wesentliche Neuerung, die vielfach vermisst wurde: Jedes gedruckte Buch enthält auf der ersten Seite einen Code, mit dem man sich eine PDF-Version des Buches herunterladen kann: So ist das Buch angenehm auf Papier zu lesen, aber gleichzeitig leicht zu durchsuchen.

posted 2014-12-06 tagged buch, git, gitbuch and life

KaLänder und Spenden

Erster Advent, Dezemberbeginn… Da drängt sich die Frage auf: Was soll ich bloß Freunden und Bekannten zu Weichnachten schenken? Denn bis zum Vierundzwanzigsten ist es nicht mehr lange hin.

Dabei kann die Antwort so einfach sein: Man schenke einfach einen „KaLänder“!

Der KaLänder wurde von Freiwilligen der Austauschorganisation VIA e.V. gestaltet, und das – mit ständig wechselnden Teams – zum mittlerweile fünften Mal. Die Erlöse durch den Verkauf werden wie immer an ausgewählte Projekte weitergeleitet.

Am einfachsten bestellt ihr einfach per E-Mail. Tip: Leitet die Links vorher an Kollegen und Bekannten in eurer Umgebung weiter, sprecht euch ab und macht eine Sammelbestellung!

Und für diejenigen, die jetzt denken: Stimmt, eigentlich habe ich immer noch keine Idee, was ich mit dem Rest meines 13. Jahresgehalts mache… da hätte ich sonst auch noch eine Idee.

Das Projekt (Watoto Wetu Tanzania, ehemals Friends of Don Bosco), in dem ich ein Jahr lang mitgearbeitet habe, ist leider wie immer knapp bei Kasse; insbesondere ist es wie jedes Jahr wieder schwierig, das überproportional hohe Schulgeld zusammenzubekommen, denn ein Großteil der unterstützten Kinder ist das Jahr über in anderen Städten auf Boarding Schools.

Spenden könnt ihr direkt auf dieses Konto (und VIA e.V. kann auf Anfrage auch Spendenbescheinigungen ausstellen):

Kontoinhaber: VIA e.V.
IBAN: DE79 2405 0110 0065 0887 83
Kreditinstitut: Sparkasse Lüneburg
Verwendungszweck: WAWESG (bitte angeben!)

Jede Spende hilft! Bei Fragen und für weitere Informationen zu Watoto Wetu Tanzania könnt ihr gerne Robert Hörner und mich kontaktieren.

posted 2014-12-01 tagged donation and tanzania

Bookdump

Es ist eine ganze Weile vergangen, und ich habe sicherlich schon wieder ein paar vergessen…

Bei der Neuerscheinung von Noam Chomskys How the World Works handelt es sich um eine Kollektion von ein paar alten Texten und aufbereiteten Interviews aus den 1990er Jahren. Zwei Exzerpte:

Recall that about ten years ago, when David Stockman [director of the Office of Management and Budget in the early Reagan years] was kicked out, he had some interviews with economic journalist William Greider. There Stockman pretty much said that the idea was to try to put a cap on social spending, simply by debt. There would always be plenty to subsidize the rich. But they wouldn’t be able to pay aid to mothers with dependent children—only aid to dependent corporate executives.

Und:

You still find plenty of poor, uneducated people smoking; in fact, tobacco has become such a lower-class drug that some legal historians are predicting that it will become illegal. Over the centuries, when some substance became associated with “the dangerous class,” it’s often been outlawed. Prohibition of alcohol in [the US] was, in part, aimed at working-class people in New York City saloons and the like. The rich kept drinking as much as they wanted.

William S. Burroughs vielgefeiertes Naked Lunch – Na, zum Glück war das Buch so kurz. Einfach nur bizarr. Ich mag schon eigentlich ganz gerne, wenn eine Art von Geschichte erzählt wird. – Besser gefiel mir da schon Jack Kerouacs On The Road, aber wirklich bewegt hat es mich auch nicht.

Dave Eggers: The Circle – Das liest man so an einem Sonntag weg. Nett geschrieben und die Handlung gut vorhersehbar, aber es ist ein jetzt aktuelles Zeitgeist-Portrait und wird als solches in ein paar Jahren vermutlich seine Aktualität verloren haben.

James C. Scott: Seeing Like a State – Ein Agrarwissenschaftler verliert sich für ein paar Jahre in einem Thema, das ziemlich interessant ist, und fasst seine Erkenntnisse in einem sehr zugänglichen Sachbuch zusammen. Das Buch ist ein Aufruf, Diversität zu zelebrieren, und Lokales Wissen (insbesondere im Kontext indigener Völker) zu respektieren, erhalten und aktiv zu verwenden. Grundthema des Buches ist die „legibility of a population“, für die man soziale und Umwelt-Verhältnisse normalerweise metrisiert, das heißt in vergleichbaren Zahlen ausdrückt (Hektar Norm-Wald, Bildungs-Index, Populationsquerschnitt, etc.). Scott untersucht einige Beispiele eingehender, und die Schlussfolgerung lässt sich in etwa wie folgt zusammenzufassen: „Die Metrik ist nicht nur zu simpel, sie ist so simpel, dass sie der Bevölkerung aktiv schadet und neue, dieser Metrik angepasste Realitäten kreiert.“ – Lesenswert, wenn man sich für so ein Thema begeistern kann.

Nachdem ich Huxley noch einmal gelesen hatte, musste ich zum Vergleich auch noch mal Orwells Roman 1984 lesen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Huxley „mehr“ Recht hat in unserer momentanen Entwicklung – aber man muss Orwell zugute halten, dass seine Erfindung von „Newspeak“ sehr vorausschauend und auch heute noch hochaktuell ist.

David Benioffs Bestseller Stadt der Diebe ist ein schönes Buch über eine Freundschaft in Zeiten des Krieges – aber auf gewisse Weise ein Weltkriegsbuch, das sehr an andere seit den 2000ern erschienen Romane zu diesem Thema erinnert. Es ist eine gewisse Leichtigkeit darin, die vorher nicht möglich war, aber keinesfalls mehr neu ist.

Per Petterson: Out Stealing Horses – Ein überraschend schöner Roman. Ferienliteratur, finde ich. – Für Khaleed Hosseinis Roman A Thousand Splendid Suns bin ich glaube ich doch ein bisschen die falsche Zielgruppe. Mich hat das Buch auf jeden Fall nicht so sehr berührt, und es bleibt beim Lesen ein fader Beigeschmack ähnlich wie wenn man als Tourist in „exotischen Ländern“ das Kreuzfahrtschiff für ein paar Stunden verlässt, und auf die oberflächlichst mögliche Weise eine „Kultur kennen lernt“. –

Glenn Greenwald: No Place to Hide ist ein wichtiges Buch. Wenn man die Enthüllungen ein bisschen verfolgt hat, kennt man schon einen großen Teil des dargestellten Bildes (aber Microsoft kommt wirklich ganz schön schlecht weg). Die ersten 90 Seiten über die Kontaktaufnahme mit Snowden sind der reinste Krimi. Der letzte Teil ist ein wenig zu viel Rumgeheule von Greenwald.

Thomas Pynchon: Gravity’s Rainbow – Was soll man zu dem Buch bloß sagen…? Die ersten dreihundert Seiten sind komplett verwirrend. Gegen Mitte scheint sich ein kohärenter Plot zu entwickeln – aber das lässt schnell wieder nach. Ab Seite 700 war ich nur noch darüber wütend, was für eine Zeitverschwendung das Buch sei. Die Witze sind anfangs vielleicht noch zum Schmunzeln… aber irgendwann reicht’s dann auch, und „witzige Situationen“ wie die folgende: Eine Frau wird ausgeraubt, hat aber einen Sprachdefekt und kann keine Umlaute aussprechen, und ruft statt „Hübsch Räuber“ – ja, man errät es, „Hubsch Rauber“, „Hubschrauber“, haha, was dann jemanden ein paar Häuser weiter (es ist 1920, niemand weiß was ein Hubschrauber ist…), der zufällig Aerodynamik studiert (ah!), dazu veranlasst, etwas zu tun – naja, eine solche Situation finde ich nur noch lustig, weil es so schlecht erzwungen ist.

Zugestehen muss man Pynchon aber, dass er über eine schier unglaubliche Allgemeinbildung verfügen muss. Das Buch driftet mitunter in Richtungen ab, die komplett unerwartet kommen: An einem Nachmittag sitze ich in einem kleinen Park in Neukölln am Lesen, und plötzlich spielt die Geschichte auch in Neukölln – das ist schon ziemlich verrückt, und ein bisschen frage ich mich, ob ich nicht einen Großteil der Referenzen nicht verstanden habe. Und auch ein relativ unbekannter Aspekt der deutschen Kolonialgeschichte, der Genozid der Herero durch deutsche Kolonialherren im heutigen Namibia – für den sich die deutsche Bundesregierung im Übrigen bis heute noch nicht verantwortlich fühlt – spielt eine nicht unbedeutende Rolle.

Max Frisch: Homo FaberJohn Williams: Stoner, ein wirklich beeindruckendes weil unprätentiöses Buch. – Kazuo Ishiguro: Never Let Me Go, hatte ich schon als Film gesehen, daher kam es mir die ganze Zeit bekannt vor. Nicht wirklich zu empfehlen… – Cynan Jones: The Long Dry, einer von den „Neuentdeckungen“, aber mich hat’s nicht so mitgenommen. – Ned Vinzinni: It’s kind of a funny story, da war ich auch nicht ganz die richtige Zielgruppe, aber es beleuchtet einen wichtigen Punkt: Die Angst vor dem Versagen, die wir schon jungen Erwachsenen einbläuen. – Hubert Selby Jr.: The Room – Damit konnte ich nichts anfangen. – Hermann Hesse: Siddhartha – Jaja, mythologisch-romantisch… aber nicht sein bestes Werk. – Strugatski: Der Montag fängt am Samstag an, kann man lesen. Muss man aber nicht.

Angeregt von Franzens Essay Mr Difficult, habe ich William Gaddis’ Roman The Recognitions gelesen… Mir hat’s gut gefallen, auch wenn es an einigen Stellen arg verwirrend war – man könnte zum Beispiel erwähnen, dass der vollkommen passive Hauptcharakter nach ca. einem Drittel des Buches seinen Namen verliert (vergisst?), und so die wörtliche Rede, die sowieso nur mit Gedankenstrichen angedeutet wird und nicht indiziert, wer redet, noch unüberschaubarer wird, weil der Protagonist entweder gar nicht mehr direkt, oder nur mit „my dear fellow“ angeredet wird. Insgesamt liest sich das Buch wie eine 50er-Jahre-Hipster-Party, durchsetzt von unauflöslichem, allgemeinen Weltzweifel – gespickt mit einer guten Portion christlichem Mystizismus.

Um mich ein bisschen zu bilden, habe ich auch einen der Kurzgeschichtenbände der Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro gelesen: Runaway gefiel mir gut, vor allem, weil nicht immer ganz klar war, wie sehr die Geschichten nun wirklich zusammenhängen.

Robert Charles Wilson: Spin – Das hat mich eine ganze Nacht wachgehalten. Sehr spannend. Mehr Science Fiction? Ein Freund schenkte mir Richard Morgans Altered Carbon, das auch empfehlenswert ist.

Eine Neueentdeckung für mich war Knut Hamsun: Ich habe Hunger und anschließend die Mysterien gelesen. Erinnert mich ein bisschen an Dostojewski, nur halt nicht so russisch.

Den Tod Frank Schirrmachers habe ich als herben Verlust empfunden. Ich habe aus jedem seiner Feuilleton-Artikel neue Denkanstöße mitnehmen können. Ähnlich ging es mir mit Ego – Spiel des Lebens, definitiv lesenswert, vor allem aufgrund der historischen Perspektive, die es bietet.

Ich weiß beim besten Willen nicht mehr, wie ich dazu kam, mir ein klassisches Tennis-Selbsthilfe-Buch auf meine Liste zu schreiben. Aber auch außerhalb von Tennis (oder Sport überhaupt) bietet W. Timothy Gallweys 100-Seiter The Inner Game of Tennis gute Ratschläge: „Zu viel Nachdenken ist hinderlich für Exzellenz.“

Ein Freund interessiert sich dafür, wie man fernöstliche Ideen mit westlicher Philosophie verbinden kann und hat mir Alan Watts geschenkt, Das Tao der Philosophie. Ich finde den Stil zu sehr wie eine aufgezeichnete Radioansprache, die auch Erna (83) aus Norderstedt verstehen soll.

Über alle Maßen beeindruckt war ich hingegen von Adorno/Horkheimers Werk Dialektik der Aufklärung. Dialektik ist ein ziemlich facettenreicher Begriff, aber beim Lesen dieses Textes habe ich das erste Mal meisterhafte Dialektiker bei der Arbeit sehen können. Man muss allerdings sagen, dass der Text nicht einfach zu lesen ist. Ich musste dauernd Wörter nachschlagen, und das bisweilen unnötigerweise, denn die Autoren benutzen hochgestochene Begriffe wie Fungibilität und Usance, anstatt einfach Austauschbarkeit und Eigenschaft. Auch tendieren sie dazu, Sätze sehr kompliziert zu schachteln und Prozesse zu subjektifizieren, so dass man häufig zweimal nachdenken muss, was gemeint ist – dann wird man aber belohnt. Kostprobe gefällig?

In der Reduktion des Denkens auf mathematische Apparatur ist die Sanktion der Welt als ihres eigenen Maßes beschlossen. Was als Triumph subjektiver Rationalität erscheint, die Unterwerfung alles Seienden unter den logischen Formalismus, wird mit der gehorsamen Unterordnung der Vernunft unters unmittelbar Vorfindliche erkauft. Das Vorfindliche als solches zu begreifen, den Gegebenheiten nicht bloß ihre abstrakten raumzeitlichen Beziehungen abzumerken, bei denen man sie dann packen kann, sondern sie im Gegenteil als die Oberfläche, als vermittelte Begriffsmomente zu denken, die sich erst in der Entfaltung ihres gesellschaftlichen, historischen, menschlichen Sinnes erfüllen – der ganze Anspruch der Erkenntnis wird preisgegeben.

Ich hatte kurz vorher die Odyssee gelesen, insofern gefiel mir auch besonders der Exkurs über die Dialektik von Mythos und Aufklärung am Beispiele von Odysseus. Was ich mich frage ist: Inwieweit hat Homer diese Dialektik durchschaut? Es ließ sich für mich aus dem Text nicht herauslesen, ob die Autoren Homers Text neu interpretieren, oder ihm nur etwas ablesen, dessen Tiefgründigkeit bisher nicht als solche erkannt wurde.

posted 2014-10-26 tagged bookdump

Bookdump

Es hat sich mal wieder einiges angesammelt:

Robert A. Caro: The Power Broker – die monumentale Biographie einer Person und der Stadt, die er wesentlich prägte. Ich hatte vorher den Namen noch nie gehört, und war auch noch nie in New York City. Es ist mehr als beeindruckend zu lesen, wie ein so außergewöhnlicher Mensch sich durch politische Einflussnahme, Intelligenz, Willensstärke und Ausnutzung trivial scheinender Gesetzeslücken auf nicht-demokratische Weise in einem demokratischen System zum de-facto Alleinbestimmer über Bauvorhaben emporhebt und so die Realität des New Yorker Alltagslebens ganz entschieden bestimmt. (Achtung: Das Buch hat 1300 Seiten und wiegt gute 1,5kg, eignet sich daher nur bedingt zum Herumtragen…)

Auf Drängen eines Freundes habe ich eines von Hannah Arendts zentralen theoretischen Werken gelesen, Vita Activa (engl. The Human Condition). Mir gefiel ihr Stil nicht wirklich: Zu viel versucht sie zu „beweisen“, indem sie etymologische Ursprünge von Wörtern im Griechischen untersucht, oder Wort-Zusammensetzungen in anderen Sprachen analysiert und den entsprechenden Konnotationen intrinsische Wahrheit über die Begriffe abzugewinnen versucht.

Hermann Hesses Roman Das Glasperlenspiel ist eines der behutsamsten, intellektuell durchkonstruiertesten Geschichten, die ich gelesen habe. Die Hingabe und Aufrichtigkeit, mit der Joseph Knecht seiner Aufgabe als Glasperlenspielmeister nachgeht, ist so beeindruckend und einfach „schön“, die ganze Welt Kastaliens so liebevoll und detailliert porträtiert, dass ich das Buch kaum weglegen wollte – bis ich zu den Anhängen, den fiktiven Lebensläufen Knechts kam: die ich nur noch halbherzig überflogen habe; zu stark kommen die buddhistischen, spirituellen, wiederkehr-und-ganzheits-philosophischen Gedanken durch, die mir immer (auch bei anderen Autoren) als ausweichend, nicht tief gehend und verklärend sauer aufstoßen. Schade. (Mein früherer Mitbewohner Sergej, damals Mathematiker ein dutzend Semester über mir, schwärmte immer von der Kohomologietheorie als einem „wahren Glasperlenspiel“ – und nach der Lektüre weiß ich endlich, was er damit immer meinte, und bin geneigt, ihm zuzustimmen.)

Ein bisschen später habe ich noch Hesses Demian gelesen. Auch eine wunderschöne Geschichte.

Michel Houellebecq: Ausweitung der Kampfzone – Schreibstil und Protagonist gefielen mir nicht so gut, aber die Lektüre belohnt: Hie und da blitzen pointierte gesellschaftskritische Passagen auf, die es in sich haben – und die ich zumindest so schnell nicht vergessen werde.

Einen Klassiker unter den Abenteuerbüchern, Jon Krakauers Bericht einer im Frühjahr 1996 katastrophal endenden Mount-Everest-Expedition mit dem überaus passenden Titel Into Thin Air, habe ich an einem Abend bei Schnee und -10°C Außentemperatur verschlungen: extrem spannend. Minutiös und mit geschultem Blick für lokale Verhältnisse erläutert Krakauer nicht nur den Aufstieg, sondern auch die (meist abseits der zahlenden Bergsteiger stattfindende) Planung, Hintergründe seiner Mit-Bergsteiger und stellt nicht zuletzt auf fesselnde Weise dar, wie sehr der Menschliche Körper in eisiger Kälte und viel zu dünner Luft den letzten Rest eingebildeter Rationalität vergisst – ohne dasselbe überhaupt mitzubekommen. Ihm kommt außerdem die schwere Aufgabe zu, als einer der Überlebenden einer Expedition, an deren summit push day insgesamt 10 Leute ihr Leben ließen, auch bei sich selbst und den anderen Beteiligten Fehler festzustellen – und zu reflektieren, wie es möglich ist, nach so einem Vorfall wieder zurück ins „normale Leben“ zu kehren. Unbedingte Lese-Empfehlung.

Die Blendung von Elias Canetti hatte ich schonmal mit 18 Jahren angefangen und nach 100 Seiten gähnend weggelegt. Beim neuerlichen Lesen war das Buch eigentlich ganz gut: Ein schwacher Mittelteil – mir zu viele vorhersehbare und übertriebene Kopfgeburten der Leute –, aber starker erster und letzter Teil. Kann man schon lesen.

Den neuen Roman von Umberto Eco, The Prague Cemetary, war nicht so mein Fall.

Jewgenij Samjatins 200-Seiter Wir erschien schon 1920, das heißt vor Huxleys Brave New World und Orwells 1984 – und ich muss dem Nachwort zustimmen:

Dennoch bestehen grundlegende Unterschiede zwischen den drei Werken. Samjatins prophetische Leistung steht weit über der der beiden andern: Als er seinen Roman schrieb, existierte der Totalitarismus erst im Embryonalzustand – als Huxley schrieb, hatte die monopolkapitalistische Rationalisierung in Amerika ihren ersten Höhepunkt erreicht (Ford), als Orwell schrieb, stand der Stalinismus im Zenit der Macht. Dafür konnten die beiden Engländer das Antlitz der modernen Welt präziser und pointierter zeichnen.

Mit der Entwicklungshilfe und -politik ist es ja so eine Sache: Wie soll man die „dritte Welt“ behandeln? Direkte Hilfe? Hilfe zur Selbsthilfe? In Ruhe lassen? Was hilft eigentlich wirklich? – Im Wesentlichen geht es bei Entwicklungshilfe, wenn sie nicht in Waffenlieferungen besteht, fast immer um Länder, deren Bevölkerung großteils extrem arm ist: Die Menschen, die von weniger als einem US-Dollar am Tag leben. Die beiden Wirtschafts-Professoren Duflo und Banerjee analysieren in ihrem Buch Poor Economics, wie Wirtschaft in „arm“ funktioniert: Es gibt keine Banken (warum nicht? wer verleiht das Geld und zu welchen Zinssätzen?); es gibt keine gesundheitlichen und sozialen Sicherungssysteme (wie sparen für den Notfall? was, wenn die Ernte verdirbt?); das Risiko des totalen Bankrotts ist immer imminent (wie damit umgehen?). – Kurz: Wirtschaft funktioniert ganz anders, wenn man so gut wie kein Geld hat. Die Frage, die sich natürlich stellt ist: Gibt es Möglichkeiten, Institutionen oder Policies zu schaffen, um diese Zustände zu verbessern? Duflo und Banerjee kritisieren die „Monokultur-Ansätze“ von J. Sachs („Mehr Geld behebt das Problem“) und W. Easterly („Keine Hilfe zu geben lässt zu, eigene Lösungen zu finden“), und bewegen sich von Fall zu Fall durch verschiedene Lösungsansätze konkreter Probleme und bewerten die Wirksamkeit. Das ist das Ziel des Buches:

This book is an invitation to think again, again: to turn away from the feeling that the fight against poverty is too overwhelming, and to start to think of the challenge as a set of concrete problems that, once properly identified and understood, can be solved one at a time.

Leseempfehlung für alle, die sich mit Entwicklungshilfe auseinandersetzen wollen.

In den vergangenen Monaten habe ich Jonathan Franzen für mich entdeckt: Zuerst habe ich Freedom gelesen: locker und leicht, aber doch genug Dilemma, damit das Panorama nicht allzu beiläufig wirkt. An einigen Stellen wirkte der Roman recht autobiographisch. Man vergleiche das folgende Textfragment aus Freedom

In a pocket of his khakis was a handful of coins that he took out and began to fling, a few at a time, into the street. He threw them all away, the pennies of his innocence, the dimes and quarters of his self-sufficiency. He needed to rid himself, to rid himself. He had nobody to tell about his pain […]. He was totally alone and didn’t understand how it had happened to him.

Mit diesem Bericht (Archiviert) einer Reise Franzens in Deutschland:

Real anger, anger as a way of life, was foreign to me until one particular afternoon in April 1982. I was on a deserted train platform in Hanover. I'd come from Munich and was waiting for a train to Berlin, it was a dark grey German day, and I took a handful of German coins out of my pocket and started throwing them on the platform. There was an element of anti-German hostility in this, because I'd recently had a horrible experience with a penny-pinching old German woman and it did me good to imagine other penny-pinching old German women bending down to pick the coins up, as I knew they would, and thereby aggravating their knee and hip pains. The way I hurled the coins, though, was more generally angry. I was angry at the world in a way I'd never been before.

Daraufhin habe ich eine seiner Essay-Kollektionen, How to be Alone, gelesen. Sehr zu empfehlen! Der Mann kann wirklich gut schreiben, und schämt sich auch nicht, seine Schwächen öffentlich zu diskutieren. Aus Mr. Difficult (dem lustigsten der Artikel, der aber doch ziemlich ernst ist):

It’s hard to consider literature a medicine, in any case, when reading it serves mainly to deepen your depressing estrangement from the mainstream …

Und dann habe ich noch zur Abrundung The Corrections gelesen. Ein Panorama ähnlich Freedom, aber so langsam habe ich genug davon. Ich hole mir lieber noch einen weiteren Essay-Band…

Es gibt so Klassiker, die ich nie lese, weil ich das Thema nicht ansprechend finde. So ging es mir mit Harper Lees To Kill a Mockingbird, bis ein Freund mir das Buch auslieh und meinte ich müsste es lesen. Und ja, das ist ein beendruckend schönes Buch mit ungeahnter moralischer Komplexität.

Ich wollte ins Theater gehen, denn es wurde Dostojewskis Der Spieler aufgeführt. Aber die Vorstellung wurde kurzzeitig abgesagt, und stattdessen wurde Die Wirtin gespielt. Leider konnte ich doch nicht zu der Vorstellung gehen, und die Geschichte hat mir auch nicht wirklich gut gefallen. Aber da das Buch nun schonmal aufgeschlagen war, habe ich Der ewige Gatte gelesen, und das ist eine der gelungensten Kurzgeschichten des Autors, wie ich finde.

Ich war eine Woche in Dubai und hatte nichts zu lesen dabei, also war ich dort einkaufen: Roberto Bolaño: Woes of the true Policeman – Interessant vor allem für Leute, die 2666 gemocht haben (für die Biographie Arc(h)imboldis) – aber vielleicht auch als eigenständige (Fragment-)Lektüre insteressant. – Ernest Hemingway: A Farewell to Arms, nicht so sehr beeindruckend. Aber eine schöne Ausgabe mit 47 alternativen Enden. – Gustave Flaubert: Madame Bovary, die Geschichte startet so schön schnell: Junge schafft Studium nicht, dann doch, dann Heirat, dann Tod der bösen Frau, dann neue Heirat – und das alles in den ersten Kapiteln. Aber dann zieht sich die Handlung über die nächsten hundert Seiten so dermaßen, dass ich irgendwann keine Lust mehr drauf hatte. Ich bin vielleicht auch nicht die Zielgruppe.

Italo Calvino: Wenn ein Reisender in einer Winternacht – hätte man etwas kürzer, dafür aber besser machen können. Mehr meta.

Ich habe mich endlich mal an Thomas Mann gemacht. Die Buddenbrooks fand ich ziemlich langatmig, und an vielen Stellen zu kalt und distanziert, wenig einfühlsam, obwohl doch bewusst persönliches Drama geschildert werden sollte. Als Charakterisierung und Beschreibung des Niedergangs einer Familie aber natürlich meisterhaft. (Nachtrag 2014-05-21: Musil schreibt 1905 in sein Tagebuch: „Statt dessen las ich die Buddenbrocks [sic]. Sehr fein und langweilig; vielleicht meisterlich al fresco – aber langweilig; mitunter überraschend souverän.“)

Reiseliteratur neu definiert haben soll Bruce Chatwins Bericht über eine Expedition ins südliche Südamerika, In Patagonia. Ich war wenig beeindruckt, leider: Eine Aneinanderreihung von Geschichten und Begegnungen, aber keine davon hat mich wirklich berührt. Etwas Abenteuer ist natürlich auch dabei:

‘You could break a leg,’ she said, ‘or get lost and we’d have to send a search party. We used to ride it in a day, but you can’t get a horse through now.’

And all because of the beavers. A governor of the island brought the beavers from Canada and now their dams choked the valleys where once the going was clear. But still I wanted to walk the track.

Dazu in der ZEIT: Der Biberkrieg, wie die Biberplage in Feuerland eingedämmt werden soll.

Ich habe mich auch an James Joyce versucht: A Portrait of the Artist as a Young Man. Also damit konnte ich ja mal überhaupt nichts anfangen. Und noch ein Stück Weltliteratur, die ich irgendwie gar nicht verstehe: Gabriel García Márquez, Hundert Jahre Einsamkeit. Alle Leute heißen gleich, und ich kann mit der Geschichte gar nichts anfangen.

posted 2014-04-27 tagged bookdump

Besagter Lenz

Die Gärten sind nur noch zum Scheine kahl.
Die Sonne heizt und nimmt am Winter Rache.
Es ist zwar jedes Jahr dieselbe Sache,
doch es ist immer wie zum erstenmal.

(Aus: Erich Kästner, »Besagter Lenz ist da«, 1928)

posted 2014-03-02 tagged life

Musil

Ich habe in den letzten drei Monaten alle veröffentlichten Werke von Robert Musil gelesen, sowie zwei kleine Bücher mit Tagebuchfragmenten und Briefen des Autors. Irgendwie habe ich die Lektüre noch nicht in Gänze verarbeitet; aber vielleicht hilf es ein wenig, darüber zu schreiben, um ein bisschen zu beleuchten, was mich an diesem Autor fasziniert.

Man kommt bei Musil nicht umhin, ihn für seinen Stil zu loben: Wie mathematisch-präzise, wie realistisch! Niemals wird ein Ding ver-klärt, um es zu er-klären – lieber wird auf eine genaue Charakterisierung verzichtet zugunsten einer rigorosen, aber bruchstückhaften, teilweise zu keinem eindeutigen Schluss kommenden Behandlung.

Der Stil ist aber für Musil nur Mittel zum Zweck:

Ich wäre dem Publikum sehr dankbar, wenn es weniger meine ästhetischen Qualitäten beachten würde und mehr meinen Willen. Stil ist für mich die exakte Herausarbeitung eines Gedankens.

Musil ist generell sehr anstrengend zu lesen, und die Bücher liegen mir auch Monate nach der Lektüre noch sperrig im Kopf; ich konnte mir bisher kein abschließendes Urteil zu dem literarischen Werk dieses Autors bilden. Daher muss es an dieser Stelle genügen, ein paar Gedanken und Zitate zu den Büchern aufzulisten, in der Reihenfolge, in der ich sie gelesen habe.

Der Mann ohne Eigenschaften

Lang, in der Mitte fast einschläfernd, aber besonders im Nachhinein ein unglaubliches Buch. Die Präzision, mit der Musil schreibt, ist beeindruckend: Gedanken, die ich selbst schon wage hatte, werden dort so detailliert und umfassend dargestellt, dass ich mehrere Kapitel wieder gelesen habe und teilweise nach Tagen noch ein mir im Kopf herumspukendes Zitat rausgeschrieben habe. Wäre es nicht so lang, würde ich es gleich noch einmal lesen.

Die Hauptperson des Buches, der Mathematiker und Philosoph Ulrich, ist ein Charakter, der mir selbst sehr ähnlich scheint. Das ständige Es-könnte-auch-anders-sein, das sich immer Wiederholende Suchen nach strukturellen Gründen, nach ursprünglichen Prinzipien, die sich bei näherer Betrachtung als Trugschlüsse erweisen – dieses Ohne-Eigenschaften-Sein – aber in einem positiven Sinne! – trifft auch auf mich zu. Die Dinge passieren um uns, und wir werden geformt: nicht umgekehrt.

Ein Paradestück der Analyse ist zum Beispiel dieser Abschnitt aus dem Kapitel 34, Ein heißer Strahl und erkaltete Wände:

Im Grunde wissen in den Jahren der Lebensmitte wenig Menschen mehr, wie sie eigentlich zu sich selbst gekommen sind, zu ihren Vergnügungen, ihrer Weltanschauung, ihrer Frau, ihrem Charakter, Beruf und ihren Erfolgen, aber sie haben das Gefühl, daß sie betrogen worden seien, denn man kann nirgends einen zureichenden Grund dafür entdecken, daß alles gerade so kam, wie es gekommen ist; es hätte auch anders kommen können; die Ereignisse sind ja zum wenisten von ihnen selbst ausgegangen, meistens hingen sie von allerhand Umständen ab, von der Laune, dem Leben, dem Tod ganz anderer Menschen, und sind gleichsam bloß im gegebenen Zeitpunkt auf sie zugeeilt. So lag in der Jugend das Leben noch wie ein unerschöpflicher Morgen vor ihnen, nach allen Seiten voll von Möglichkeiten und Nichts, und schon am Mittag ist mit einemmal etwas da, das beanspruchen darf, nun ihr Leben zu sein, und das ist im ganzen doch so überraschend, wie wenn eines Tags plötzlich ein Mensch dasitzt, mit dem man zwanzig Jahre lang korrespondiert hat, ohne ihn zu kennen, und man hat ihn sich ganz anders vorgestellt.

Vergleiche auch die Fabel Kafkas Über die Einengung der Maus, in der die Katze sagt: „Du musst doch bloß die Laufrichtung ändern!“ – Der Abschnitt geht weiter mit:

Noch viel sonderbarer aber ist es, daß die meisten Menschen das gar nicht bemerken; sie adoptieren den Mann, der zu ihnen gekommen ist, dessen Leben sich in sie eingelebt hat, seine Erlebnisse erscheinen ihnen jetzt als der Ausdruck ihrer Eigenschaften, und sein Schicksal ist ihr Verdienst oder Unglück.

Im Nachhinein bleibt vor allem das Antiklimaktische des Buches hängen: Musil sagte selbst über den Roman: „Die Geschichte dieses Romans kommt darauf hinaus, daß die Geschichte, die in ihm erzählt werden sollte, nicht erzählt wird.“

Warum passierte denn nichts, warum fing Ulrich nichts mit seinen so wohldurchdachten Erkenntnissen an? Aber auch diese Frage wird ja beantwortet im Gespräch mit Agathe:

»Weshalb sind wir denn keine Realisten?« fragte sich Ulrich. Sie waren es beide nicht, weder er noch sie, daran ließen ihre Gedanken und Handlungen längst nicht mehr zweifeln; aber Nihilisten und Aktivisten waren sie, und bald das eine bald das andere, je nachdem wie es kam.

Gott ist tot: Das Nietzsche’sche Denken durchtränkt das Buch (explizit bei Clarisse; praktischer und struktureller bei Ulrich, der sich der Unzulänglichkeiten der Moral und der Unbestimmbarkeit von absolutem Gut und Böse längst verschrieben hat). Es ist auch ein gutes Stück Entfremdung darin, aber einer geistigen Art (also nicht im Marx’schen Sinne): Vielmehr eine Erkenntnis der Nicht-Erkennbarkeit der Welt, und auf diese Erkenntnis folgt nicht der Aufbau neuer Sinn-Kathedralen, sondern ein zerfaserndes, dielektisches Verneinen dessen, was „die Leute“ tun, ohne erkennbares Ziel außer wissenschaftlicher Strenge allem was „ist“ gegenüber.

Es ist definitiv ein philosophischer Roman – aber es fühlt sich ganz anders an, als wenn man Philosophie liest:

[Ulrich] war kein Philosoph. Philosophen sind Gewalttäter, die keine Armee zur Verfügung haben und sich deshalb die Welt in der Weise unterwerfen, daß sie sie in ein System sperren.

Und so bleibt alles fragmentarisch, aphoristisch, essayistisch – doch gleichzeitig vermittelt das Buch, dass dies die einzige Betrachtungsweise der Welt ist, die man zu rechtfertigen in der Lage ist. (Interessant, dass Ulrich gar keine zynischen Züge trägt.)

Vielleicht ist es das für mich bisher bedeutendste Buch, das ich gelesen habe.

Einige der Kapitel, gerade in der ersten Hälfte, kann man fast kontextlos lesen und verstehen. Zu empfehlen sind zum Beispiel:

Tagebücher und Briefe

Aus den Tagebüchern (Suhrkamp-Edition 1963): Beeindruckendes Essay-Fragment „Aus dem stilisierten Jahrhundert (Die Straße)“ über die 2x2=4-Welt der Leute, wie man diese Welt transzendiert und doch wieder erwacht, ohne den Finger darauf legen zu können, wie man „diesen Leuten“ eigentlich voraus ist (und ob man es überhaupt ist: doch das Gefühl bleibt).

Und immer wieder das Strukturelle, z.B. in folgender Selbstbeobachtung:

Am nächsten komme ich der Beschreibung meines Gedächtnisses (und auch meiner Phantasievorstellung) mit folgendem: Ich stelle in jeder Hinsicht unanschaulich vor, etwa in »Sachverhalten«. Ich merke mir auch selten Einzelheiten, sondern immer nur irgendeinen Sinn der Sache. Aus den Sachverhalten, die ganz formlos da sind, fast nicht da sind, bilden sich auf eine Weise, die ich nicht analysiert habe, die Aussagen.

Ich glaube, daß ich deshalb auch so schwer schreibe.

Und:

Ich sehe nicht ein, warum man in Begriffen sich verständigen soll, statt in Vorstellungen. Ich würde mich – vielleicht – lieber – in Vorstellungen verständigen, wenn es ginge. Man soll mir widersprechen.

Eine weitere Selbstbeobachtung:

Ich glaube, ich habe keine Moral. Grund: Mir wird alles zu Bruchstücken eines theoretischen Systems. Die Philosophie habe ich aber aufgegeben, so fällt die Berechtigung weg. Es bleiben nur: Einfälle. –

Das Musil-Lesebuch (Rowohlt 1991) muss man nicht unbedingt gelesen haben; Fragmente der Romane, die man besser ganz liest. Aber ein paar der bekannten kurzen Essays, die in dem Suhrkamp-Buch fehlen.

Die Verwirrungen des Zöglings Törleß

In der Neuausgabe des MoE von Anaconda waren einige OCR-Scan-bedingte Satzfehler; die habe ich an den Verlag geschickt, der sich prompt dafür bedankte, indem ich mir ein Buch meiner Wahl aus dem Sortiment aussuchen konnte: Den Törleß. (Übrigens eine schöne Ausgabe mit Leseband!)

Ich hatte das Buch einmal in der Schule gelesen, ohne mich darum zu kümmern. Tatsächlich ist es ein beeindruckendes Portrait einer Unsicherheit, die vielleicht nicht alle Menschen nur in der Pubertät ereilt: Die Welt zwischen Wissen und Fühlen, dass die Dinge eigentlich viel tiefer sind, als Umstehende ihnen zugestehen wollen. Interessant, wie die imaginären Zahlen, die – zumindest für einen Schüler – so berechtigungslos und doch nützlich in der Mathematik auftauchen, als Aufhänger dienen.

Erzählungen und Theaterstücke

Drei Frauen – „Grigia“ schön kafkaesk; die anderen beiden haben keinen Eindruck auf mich gemacht.

Vereinigungen – „Die Vollendung der Liebe“: Kann man die Genesis eines Gedanken überhaupt so genau beschreiben? Die Zugfahrt, während derer sie den Einfall eines Seitensprunges erhält, ist meisterhaft. – Die zweite Erzählung ist mir zu voll von „tierisch“ und tiefen, wabernden Gedanken, die irgendwann klein und hart und fest werden. Generell etwas, was mich in den frühen Werken stört, weil ich damit nichts anfangen kann.

Die Schwärmer (Theaterstück) – Schwer. Interessant. Schwer bestimmbare Charaktere. Ich würde die Wirkung des Stücks gerne mal auf der Bühne sehen. Zwei Zitate:

Alles hat einen Riß, wenn man klug ist und nicht glaubt?

Und:

Das menschlichste Geheimnis der Musik ist ja nicht, daß sie Musik ist, sondern daß es mit Hilfe eines getrockneten Schafdarms gelingt, uns Gott nahe zu bringen.

posted 2013-12-02 tagged bookdump and musil

Bookdump

Trotz meiner SciFi-Aversion habe ich auf mehrfache Empfehlung Orson Scott Caros (schon ziemlich altes) Buch Ender’s Game gelesen. Spannend! Der Film gefiel mir auch ganz gut – auch wenn man ihn viel besser versteht, wenn man das Buch gelesen hat: vieles wird nicht so klar herausgearbeitet. Hier ist noch ein interessantes Interview mit dem Autor.

Ab und zu finde ich in einer Grabbelkiste mal einen Roman von Ian Rankin, den ich noch nicht kenne: Doors Open ist ein nettes Buch über einen Kunstraub, und es ist nett, Rankin auch mal aus der Perspektive von nicht-Polizisten erzählen zu hören.

An einem Wochenende im September war ich in Kopenhagen, und obwohl ich zwei Bücher dabei hatte, war ich schon am Samstag mit ihnen durch. Wo findet man in Kopenhagen auf einen Sonntag Nachmittag ein englischsprachiges Buch? Der einzige Ort, wo ich tatsächlich Erfolg hatte, war dieses Cafe, das gleichzeitig ein Antiquariat ist. Selbiges hat am Sonntag geschlossen, aber es gibt ein paar Bücherregale, in denen sich Besucher ein Buch ausleihen (und dann auch käuflich erwerben) können. Das noch beste Buch, das ich fand, war ein mittlerweile nicht mehr lieferbares Buch von Richard Cox, The Katanga Run. Es geht um Ex-Fliegerkameraden, die einen alten Groll hegen, sich dann aber Anfang der 60’er Jahre im Kongo auf verschiedenen Seiten eines Konfliktes wiederfinden. Kein gutes Buch, und die Erzählung gipfelt darin, dass der UN-Generalsekretär unter mysteriösen Umständen abstürzt – aber keine Woche später lese ich die Meldung, dass die UN genau diesen 52 Jahre alten Fall neu untersuchen will, und beim Nachlesen über dieses Ereignis kam mir das Buch trotz seines Tom-Clancy-Stils historisch ziemlich akkurat vor. Zufälle gibt’s.

Das 2010 erschienene Buch von Bret Easton Ellis, Imperial Bedrooms, ist typisch und gut. Ich habe mir zu dem Buch notiert: „Beängstigend, wie profaniert und ent-menschlicht Leben werden können.“ – Wo ich schon bei Ellis war, musste ich ja auch mal das deutsche Pendant lesen: Leider aber ist Faserland von Kristian Kracht nicht so wirklich gut. Das Buch ist schon lesenswert, aber ich finde – so merkwürdig das klingt – am besten an diesem Buch noch den Titel. Neue Einsicht: Hanuta steht für „Haselnusstafel“ (das steht sogar auf Wikipedia!). (Nebenbemerkung: Die einzige noch bekanntere Abkürzung in dem Bereich ist denke ich mal „Haribo“, dessen Gründer ja kürzlich verstorben ist.)

Ein wunderschönes Buch ist Der Steppenwolf von Hermann Hesse. Ein kleines Zitat muss an dieser Stelle reichen:

Also, Harry, steh auf, lege dein Buch weg, seife dich ein, kratze dir das Kinn blutig, zieh dich an und habe ein Wohlgefallen an den Menschen!

Das erste Buch, was ich von Nassim Taleb gelesen habe, ist das kürzlich erschienen Antifragile. Teil Lebensphilosophie, Teil Wirtschaftsbuch kommt es ziemlich unwissenschaftlich, aber mit interessanten Einsichten daher. Wenn man nicht genau hinschaut, könnte man Taleb fast neophob nennen, und zumindest predigt er ein gutes Stück Konservativismus. Ich konnte dem Buch einige interessante Einsichten abgewinnen, gerade bezüglich der Vorteile von Optionalität gegenüber Sicherheit. Ein häufiger Kritikpunkt an Taleb ist, dass er zu selektiv und polemisch argumentiert, und eine rigorose Argumentation gelingt ihm nur selten. Aber als Denkanstoß ist das Buch sehr lesenswert, und das Ansinnen, „Antifragilität“ (das eben nicht nur Robustheit ist) als ein neues Wort im modernen Wortschatz zu verankern, ist lobenswert und in meinen Augen auch wichtig.

Ein Klassiker der Weltliteratur, der gut und überraschend einfach zu lesen ist: Vladimir Nabokovs Lolita. Viele Leute mögen das ja als schlecht verpackte Pornographie bezeichnen, aber der Rahmen, in den das Buch eingeschlossen ist und insbesondere die zweite Hälfte der Geschichte sind in meinen Augen viel interessanter und wichtiger als die Pädophilie des ersten Teils (auch wenn die Leichtigkeit des Ausdrucks manchmal sehr unpassend und grausam wirkt). Besonders beim Nachwort des Autors musste ich doch ziemlich lachen, hier mal ein Absatz:

Gewisse Techniken in den ersten Kapiteln vom Lolita (so zum Beispiel Humberts Tagebuch) verführten einige meiner ersten Leser zu der irrigen Annahme, daß der vorliegende Roman ein schlüpfriges Buch wäre. Sie erwarteten eine zunehmende Folge erotischer Szenen; als diese aufhörten, hörten auch die Leser auf und waren gelangweilt und enttäuscht. Das ist, vermute ich, einer der Gründe, warum nicht alle vier [vorher erwähnten] Verlage das Typoskript bis zum Ende gelesen haben. Ob sie es pornographisch fanden oder nicht, interessierte mich nicht. Ihre Weigerung, das Buch anzukaufen, gründete sich nicht darauf, wie ich mein Thema behandelte, sondern auf dieses Thema selbst, denn wenigstens drei Themen gibt es, die für die meisten amerikanischen Verleger absolut tabu sind. Die beiden anderen sind: eine Heirat zwischen Schwarz und Weiß, die zu einer glücklichen Ehe mit einer Unzahl von Kindern und Enkelkindern führt; und der absolute Atheist, der ein glückliches und nutzbringendes Leben führt und mit hundertsechs Jahren sanft entschläft.

Von einem Freund geschenkt, habe ich Arno Orzesseks Erstling Schattauers Tochter gelesen. Puh also naja – das Buch war schon spannend, die Geschichte interessant, und ich will jetzt auch nicht spoilern, nur um einen Kritikpunkt zu machen: Aber alles in Allem wirkte der Roman in etwa so wie man erwarten würde, dass der erste Roman eines studierten Literaturwissenschaftlers aussieht – es ist bekannt, welche Erzählformen gut kommen, welche Themen den Kanon zeitgenössischer (Aufarbeitungs-)Literatur bestimmen, es wird ein wenig mit Formulierungen experimentiert und wie man einen Spannungsbogen zum Schluss bringt weiß der Autor sowieso. Mir war vieles einfach zu vorhersehbar, die Charaktäre zu sehr nach den Notwendigkeiten ihrer Position in der Handlung gezeichnet, insgesamt: zu viel Reißbrett.

Von den beiden CCC-Sprechern Frank Rieger und Constanze Kurz habe ich an einem arbeitsfreien Samstag das neue Buch Arbeitsfrei gelesen: Sehr spannende Einblicke in moderne Produktionssysteme. Ich versuche immer noch eine Primärquelle (oder besser noch ein Video!) für diese Silos zu finden, die bei der Anlieferung jedes einzelne Weizenkorn auf Mutterkornspuren untersuchen, das ist wirklich unglaublich.

Auf Anempfehlung eines Freundes habe ich von Edgar Hilsenrath den Roman Das Märchen vom letzten Gedanken über den Genozid der Armenier während des ersten Weltkrieges gelesen. Ein sehr interessanter Erzählstil; insgesamt gefiel mir das Buch auch gut, aber es war in Teilen doch zu repetitiv und langatmig. Ehrlich gesagt hatte ich vor der Lektüre nicht einmal von diesem Völkermord gewusst.

Das kürzlich erschienene neue Roman von Robert Harris, An Officer and a Spy, ist insgesamt ziemlich lesenswert. Die Dreyfuß-Affäre bestimmt ja auch nicht unwesentlich die Handlung in Prousts Recherche, und ich hatte mir nie wirklich die Zeit genommen, intensiv über die damals herrschende Gesinnung der Franzosen zum Militär und zu den jüdischen Mitbürgern nachzulesen – und gerade dieses Defizit füllt der Roman gut aus. Anfang etwas holprig für meinen Geschmack, und natürlich dafür, dass das ein Jahrelang schwelender Konflikt war, recht kurz.

posted 2013-12-01 tagged bookdump

Impressionen aus Kirgistan

Ich war die zweite Septemberhälfte über in Bishkek, der Hauptstadt von Kirgistan. Dort habe ich Gerrit dabei unterstützt, einen achttägigen Scrum-Workshop zu veranstalten, der an der KSUCTA stattfand. Die dortige Informatik-Fakultät hat eine Partnerschaft mit der FH Zwickau (siehe hier für Details).

Bishkek ist so eine Stadt, die man am besten so beschreibt: Einer der nahen Vertrauten Lenins kam aus Bishkek, und deshalb wurde die Stadt aufgebaut zu einem Zentrum der Region mit viel Soviet-Pomp, breiten Straßen, und guter Infrastruktur – aber dann wurde Kirgistan Anfang der ’90er Jahre unabhängig, und seit dem geht alles langsam kaputt.

Man hat hier also auf der einen Seite diese gewaltigen Plätze mit heroischen Denkmälern:

– und auf der anderen Seite zumindest äußerlich komplett verfallene Soviet-Infrastruktur:

Diese Kontraste sind beeindruckend. Insgesamt ist die Stadt aber sehr entspannt. Klar, der Verkehr ist ziemlich abenteuerlich (und es kommt der Unfallrate auch nicht zu Gute, dass Kirgistan vor einigen Jahren erlaubt hat, auch japanische Autos – das heißt Rechtslenker – zu importieren, obwohl man im Land auf der rechten Seite der Straße fährt) – aber dank der schachbrettmusterartig angelegten Nord-Süd- und Ost-West-Straßen gibt es fast keine Staus und der Verkehr fließt ziemlich gut. Nur ist an einigen Tagen die Luft wirklich schwer zu atmen und voller unverbranntem Benzin. (Es gibt an den Tankstellen durchaus noch 80-Oktan-Benzin zu kaufen.)

Sobald man aus der Stadt heraus kommt, ist die Luft aber so frisch, und man ist, wo man auch hingeht, umgeben von Wasser und Bergen. Ich hatte das Glück, zwei Tage lang wandern gehen zu können.

Überall durch die Berge fließt Wasser: Manchmal kleine Rinnsale, manchmal ausgewachsene Flüsse mit mehr oder weniger abenteuerlichen Brückenkonstruktionen:

Teilweise läuft man Statuen oder anderen Steinmetzarbeiten über den Weg; meist aber nur Schaf-, Ziegen-, Kuh- und Pferdeherden (das ist besonders abends eher unentspannt, wenn die Herden über die Autobahnen getrieben werden).

Hauptsächlich ist es aber eins: idyllisch!

Ein Denkmal im Zentrum Bishkeks hat mich tief beeindruckt. Es erinnert an die Toten der Revolutionen von 2002 und 2010. Das Motiv ist klar: Abspaltung des Schlechten (schwarz) vom wesentlich größeren Guten (weiß) durch Revolution.

Was genau mich daran so fasziniert, ist etwas schwer auszudrücken: Auf gewisse Weise kristallisiert sich in dieser so plakativ simplen Darstellung des Gegensatzes von Gut und Böse einer der Grundirrtümer des sovietischen Sozialismus heraus: Dass Dinge auf zentralistisch–kollektivistische Weise ultimativ benennbar und zweifelsfrei entscheidbar sind, und dass das Schlechte einer Gesellschaft sich sozusagen aseptisch vom Guten abtrennen lassen kann; dass die Dinge nicht untereinander verflochten, vieldeutig und voller Widersprüche sind, die der Mensch nicht in der Lage ist, in aller Gänze zu erfassen.

posted 2013-10-01 tagged bishkek and kyrgyzstan

»La Recherche«

Fast den ganzen Sommer – 88 Tage, um genau zu sein – habe ich für die Lektüre von Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit gebraucht. Drei Monate also, in denen ich täglich ein bis zwei Stunden in der Belle Époque im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts verbracht habe. Und nun, 4.195 Seiten später, ist das Abenteuer zu Ende. Was für eine Erfahrung!

Natürlich gibt es viel zu sagen zu einem solchen Buch, das regelmäßig als der »Roman der Romane« in den Listen der Bücher auftaucht, die man gelesen haben muss. Und auch ich erinnere mich noch gut, wie ich mit 18 Jahren – retrospektiv betrachtet war ich natürlich noch zu jung dafür – nach den ersten paar Dutzend Seiten (zunächst) ergebnisloser Landschftsbeschreibung das Buch gähnend weggelegt habe und mich Interessanterem gewidmet habe (wie es vermutlich Vielen geht, doch dazu weiter unten mehr) – und doch bin ich dadurch, dass mir in verschiedenen Kontexten immer wieder dieses Werk über den Weg lief Anfang dieses Sommers darauf gekommen, dass ich es doch noch einmal versuchen sollte. Angesichts des schieren Umfangs des Romans muss man sich nun einmal bewusst machen, dass das, was in einer 400-Seiten-Erzählung eine zehnseitige Exposition eines Vorortes samt seiner Bewohner ausmacht, hier entsprechend skaliert gute 100 Seiten ausmacht. Mit diesem Wissen gewappnet aber verliert man die Erwartungshaltung um eine sich nun doch hoffentlich bald herauskristallisierenden Handlung, und dieser Schritt tut dringend Not. Denn erst später – das heißt im zweiten, dritten, vierten Buch, und nicht mal dann in aller Gänze – erschließen sich dem Leser die zentralen Themen des Werkes. Wer aber so lange durchhält, wird reich belohnt.

Ich will aber hier nur einen zentralen Aspekt herausgreifen, und zwar den des Selbstmitleides des Protagonisten angesichts seiner Eifersucht. Schon früh erkennt ja der Leser, dass der Erzähler rückblickend seine damalige Weltsicht zu rekonstruieren versucht, zum Zeitpunkt des Aufschreibens aber schon sehr viel weiter ist mit seinen Gefühlen bezüglich der Liebe und Eifersucht gegenüber seiner Geliebten. Insbesondere ist schon zu dem Zeitpunkt klar, dass all diese den Erzähler so unglaublich leidend machenden Empfindungen späterhin vergessen sein werden. Genau dieser zeitliche Zusammenhang aber hat mich sehr mitgenommen: Es ist, als durchlebe man noch einmal im kleinsten Detail und mit Kenntnis der Zukunft diejenigen Leiden (und Fehler), die einen prägen, und die doch später als Gefühl, nicht jedoch als Erfahrung bedeutungslos geworden sind. Es ist in diesem Teil des Buches, dass der Erzähler eine große Wahrheit über die Welt, die Wesen, die sich in ihr bewegen und im Verhältnis dazu den Standpunkt des Betrachters erfährt:

Wir besitzen von der Welt nur formlose, fragmentarische Vorstellungen, die wir durch willkürliche Ideenassoziationen vervollständigen, aus denen sich gefährliche Suggestionen ergeben.

Wie aber kann man diese fragmentarischen Vorstellungen zu einem großen Ganzen zusammenführen? Am Ende des Buches, während der abschließenden Matinée, geht der Erzähler in einem vorausgreifenden Blick bereits auf die Kritiker seines Romans ein, als er sagt:

Da, wo ich die großen Gesetze suchte, glaubte man in mir jemanden zu sehen, der nach Einzelheiten grub.

Es ist genau dieses ständige Suchen nach Einzelheiten, um damit universelles zu illustrieren, das fasziniert. So sei in den Augen Adornos „Rettendes zu hoffen von der Rezeption eines Dichters, der das Exemplarische vereint mit dem Avancierten“.

Was mich durchaus irritiert hat bei der Nachlese zu diesem Buch war, wie sehr anscheinend meine Leseerfahrung von denen Anderer abweicht. Wird in den Feuilletons Proust angeführt, so zielt der Absatz fast unweigerlich auf die Erinnerung des Erzählers beim Genuss einer Madeleine oder des ihm vorenthaltenen Kusses der Mutter ab – beides Szenen, die zwar unglaublich detailliert im ersten Teil des ersten Buches dargestellt werden (und auf die später noch vielfach zurückgeblickt wird) – so als seien dies die zentralen Momente, die das Werk ausmachen. Mit Blick auf das gesamte Werk kommen mir gerade diese Stellen aber doch vergleichsweise wenig gehaltvoll vor. Die Aspekte des Romans, die ihn in meinen Augen großartig machen, sind vor allem die minutiös, in Zeit vor und zurück springend analysierten sozialen Dramen der Gesellschaft, durchaus nicht frei von Selbstironie; und natürlich der alles durchdringende Komplex von Liebe, Leidenschaft, Betrug und Eifersucht. Ist das nicht das, was den Leser an existentiellen Wahrheiten teilhaben lässt? Warum konzentriert sich also die Rezeption so sehr auf die unwillkührlichen Erinnerungen, die nun einmal punktuell und höchst individuell sind? – Vielleicht muss man den Grund darin suchen, dass einige dieser Autoren nicht weiter vorgedrungen sind als bis zu diesen Episoden; oder aber ich habe das Buch einfach mit einem ganz anderen Fokus gelesen.

Über einige Eindrücke bin ich während der Lektüre im Unklaren geblieben. Am Ende zumindest der ersten vier Bücher (bzw. den jeweils zwei Teilen, die sie ausmachen) hat mich jedes Mal ein Gefühl der Unvermitteltheit getroffen: Wie, aber die Geschichte geht doch gerade erst los?, habe ich jedes Mal gedacht. Ist das gewollt? Oder ist es das Gefühl eines Marathonläufers, der beim Anblick der Ziellinie denkt: Schon? – Des weiteren musste ich bei einigen Passagen herzhaft lachen und zuweilen auch den Kopf schütteln ob der Selbstreferenzialität, Provinzialität und Unfortschrittlichkeit der Personen und Gesellschaften. Es wirkt, als sei das sprichwörtliche Brett vorm Kopf sichtbar gemacht durch die Art und Weise, wie der Erzähler scheinbar teilnahmslos aus den »Skandalen« der lokalen gesellschaftlichen Prominenz berichtet, ganz im Stile Dostojewskis. Aber gerade diese »Unbeschwertheit« im Umgang mit Proust – dass man also über die Gesellschaftskarikaturen und den Autor selbst lachen kann – scheint nicht gerade unumstritten zu sein, meint Proust-Neu-Übersetzer Michael Kleeberg.

Wie viel muss man über Proust wissen, um das Werk gewinnbringend zu lesen? Ich habe im Nachhinein ein wenig in seiner Biographie gestöbert, fand das aber nicht wirklich aufschlussreich. Ja, je mehr man liest, desto mehr meint man, der Roman sei tatsächlich ein autobiografisches Kompendium. Aber ändert das etwas? Ich glaube nicht. – Im übrigen ist ausgerechnet Roland Barthes – von dem der einflussreiche Aufsatz »Der Tod des Autors« stammt – ein großer Proust-Anhänger gewesen, der der Meinung war, nach diesem finalen Monument des Romans habe es keinen Sinn mehr, einen weiteren zu schreiben, und seinen dahingehenden Versuch in Vorlesungsnotizen umgearbeitet hat.

Der Schriftsteller gebraucht nur ganz unaufrichtig in der Sprache der Vorreden und der Widmungen gewohnheitsmäßig die Wendung: ›Mein lieber Leser.‹ In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei lediglich eine Art von optischem Instrument, das der Autor dem Leser reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht sonst nicht hätte erschauen können. Daß der Leser das, was das Buch aussagt, in sich selbst erkennt, ist der Beweis für die Wahrheit eben dieses Buches, und umgekehrt gilt das gleiche, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, da die Differenz zwischen den beiden Texten sehr oft nicht dem Autor, sondern dem Leser zur Last gelegt werden muss.

Wer die Zeit und Ausdauer hat, dem sei die Lektüre empfohlen.

posted 2013-08-27 tagged proust and bookdump

Bookdump

Dobelli: Die Kunst des klaren Denkens – Ganz nett für zwischendurch in der Bahn zum Lesen. Aber die referenzierten Werke (Kahnemann, Cialdini) sind natürlich wesentlich aufschlussreicher. – Melville: Moby Dick – Ein Klassiker, auch heute noch ist die Figur Ahabs Prototyp der Idee des verrückten und unnachgiebigen Anführers. Ich habe als Kind vermutlich eine vereinfachte Version gelesen, denn die Geschichte zieht sich ewig lang hin und ist in absolut ermüdendem, slang-durchsetzten Englisch geschrieben. Erstaunt hat mich, wie wissenschaftlich der Roman anmutet, und über Seiten die Genealogien gewisser Wahlgattungen ausgebreitet wird. (Das Buch erschien, als Darwin seine Evolutionstheorie noch nicht veröffentlicht hatte.)

William Gibson: Pattern Recognition – Mein zweiter Versuch Gibson zu lesen. Ganz interessant, aber für mich zu konfus. – Hunter S. Thompson: The Rum Diary – Das erste Mal, dass ich Thompson gelesen habe. Ganz lustiges Buch, und die Verzweiflung des Protagonisten kommt viel besser rüber als im gleichnamigen, kürzlich erschienen Film. – Charles Bukowskis erster und letzter Roman: Post Office und Pulp sind wie immer bei Bukowski, gute Unterhaltung. – Richard Price: Clockers ist irgendwie ziemlich länglich, aber ich habe es doch zu Ende gelesen. Gefühlt hat das Englisch in dem Buch auch ein bisschen auf meine Sprache abgefärbt. Der Film zum Buch ist nicht zu empfehlen.

Nachdem ich Aldous Huxleys Klassiker Brave New World wieder gelesen hatte und beeindruckt war, habe ich anschließend seine Utopie Island gelesen, und dann auch seine Abhandlung über die Ursprünge und Ausprägungen von Ewigkeitsphilosophie, The Perennial Philosophy, gelesen. Die Utopie hat mir ganz gut gefallen (ist nur etwas kitschig), aber mit seiner Faszination mit fernöstlicher Einheits- und Ewigkeits-Philosophie konnte ich überhaupt nichts anfangen.

Seit ich das kleine Büchlein Poststructuralism: A very short introduction gelesen habe, habe ich etwas für Kunst übrig. Siehe zum Beispiel die Kontroverse um Fountain.

Zwei Bücher habe ich gelesen, die mir wirklich gut gefallen haben. Zunächst Roberto Bolaños früher Roman The Savage Detectives. Ein Paradebeispiel für die nichtlineare/zirkuläre Erzählstruktur spanischer Literatur, ist das Buch lustig, spannend und voller Charaktere, an die man sich noch lange erinnern wird. Allein der Name der avant-gardistischen jungen Dichtertruppe, um die sich die Geschichte dreht: Visceral Realists, also sich auf tiefe, inwärts gerichtete und nicht dem Intellekt zugängliche Gefühle beziehende Realisten – ist eine geniale Wortkonstruktion. – Auf Empfehlung eines Bekannten habe ich Theodore Rozsaks Roman Flicker gelesen. Wenn man Umberto Eco mag, dann liegt man hier sicher nicht falsch. Eine grandiose Geschichte zwischen Wahn und Realität, die ich sicherlich nicht komplett auskosten konnte, weil mir viele der historischen Filmreferenzen fehlten. Lediglich das Ende ist ein bisschen mau.

Zwei Sachbücher habe ich gelesen, die allerdings so voller Fakten waren, dass es irgendwann ermüdend wurde und ich mir jeweils die letzten 200 Seiten gespart habe. Anders als auf dem Buchrücken von Made in Americe kann man Bill Bryson auch nicht beschreiben: „witty, learned, compulsive.“ – Das Kompendium The German Genius von Peter Watson ist ziemlich beeindruckend. Der Brite wählt einen Ansatz, den ich sehr wichtig finde: Zu zeigen, dass Deutsche Geschichte viel mehr ist als die Zeit ab der Machtergreifung Hitlers; insofern kümmert er sich statt dessen um die Aspekte der Kunst, Philosophie, Forschung, Sprache, Militärtechnik und sozialer Organisation der letzten 250 Jahre, die deutschen Ursprungs sind und bis heute bleibende Spuren in Europa und der Welt hinterlassen haben.

Ein Büchlein voller interessanter Fragen ist Ludwig Wittgensteins Philosophische Untersuchungen. Zum Beispiel solche wie diese hier:

226 – Nimm an, Einer folt der Reihe 1, 3, 5, 7, … indem er die Reihe der 2x+1 hinschreibt. Und er fragt sich: »aber tue ich auch immer das Gleiche, oder jedesmal etwas anderes?« Wer von einem Tag auf den andern verspricht »Morgen will ich dich besuchen« – sagt der jeden Tag das Gleiche; oder jeden Tag etwas anderes?

Das Buch durchzieht eine ständige Dialektik zwischen innerer Wahrnehmung und äußeren Umständen: Befolgt man eine Regel (zum Beispiel die der Arithmetik), wenn man glaubt, man befolge sie? Ist dies von außen überprüfbar? Ist überhaupt über den Begriff des Verstehens verhandelbar, d.h. kann man jemandem zugestehen, etwas verstanden zu haben, nur anhand stichprobenartiger Äußerungen, die konform mit der zu überprüfenden Regel gehen? – Es sind unter anderem solche Fragen, mit denen Wittgenstein sich auf beeindruckend spielerische Weise und mit vielen prägnanten Beispielen nähert. Und doch bleibt bei mir der Eindruck, nicht wirklich etwas „mitgenommen“ zu haben aus diesem Buch. Ist es, weil ich seit nunmehr vier Jahren in einer Welt der Mathematik lebe, in der es fast nur um Systeme ziemlich abstrakter Art geht, von der man notwendigerweise immer nur ein fragmentarisches Verständnis hat? In jedem Falle erscheinen mir viele dieser Fragen nicht wirklich in die Tiefe zu gehen. –

Und dann habe ich Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Marcel Proust gelesen. Dem widme ich aber einen eigenen Post.

posted 2013-08-27 tagged bookdump

Der Umstieg zu Neo

Vor einem Jahr habe ich angefangen, mit dem Neo-Layout statt wie vorher mit dem US-QWERTY-Layout zu tippen. Von den für mich sehr hilfreichen Erfahrungsberichten von Umsteigern geleitet – in deren Liste ich mich hiermit auch einreihen will – habe ich während meines Umstiegs in den ersten Tagen recht regelmäßig Protokoll geführt.

Tag 1 (12.08.): Wow, ich fühle mich komplett hilflos vor meinem eigenen Rechner. Für jeden Satz, den ich tippen will, brauche ich eine Minute und mehr. Passwörter einzugeben ist der Horror. Jede Tastenkombination, die sonst einfach „drin“ ist, geht voll ins Leere, besonders in Vim bekomme ich gar nichts hin; ich spiele sogar ein paar Configs kaputt, weil ich unabsichtlich die alte Taste „k“ drücke, aber da liegt nun „r“ wie „replace“. Ich habe eine erste Mail geschrieben (aber auf Kiswahili, d.h. mit untypischen Buchstabenanordnungen) – alles ist so anstrengend!

Tag 2 (13.08.): Mit viel Müh und Not kann ich mittlerweile tmux und Vim rudimentär bedienen. Die Wörter tröpfeln mittlerweile vor sich hin, manche Trigramme kommen schon ganz flüssig raus. Wenn ich nicht am Computer sitze, tippe ich teilweise unbewusst in Gedanken Wörter vor mich hin; wird mir das bewusst, dann bemühe ich mich, in Neo zu denken. In der Theorie kann ich zumindest die ersten zwei Ebenen auswendig, muss aber teilweise noch mehrere Sekunden überlegen, bevor ich lostippen kann. Für die dritte Ebene blende ich bei Bedarf den NeoLayoutViewer ein. Ab und zu bricht meine Konzentration plötzlich ein und ich tippe fünf Mal nacheinander auf die gleiche falsche Taste, bis ich mich zusammenreiße und nachdenke. – Alles in allem ist es sehr, wie eine neue Sprache zu lernen…

Tag 3 (14.08.): Alles geht ein bisschen besser und flotter. Nichts geht wirklich fehlerfrei. Heute habe ich bachelorarbeitsbedingt qualvoll langsam getext, und ich muss sagen: Den wirklichen Vorteil sehe ich da nicht – auf einer US-Belegung sind die wichtigen Sonderzeichen mindestens genau so gut zu erreichen… (Aktuelle Geschwindigkeit: 63 Tasten pro Minute.)

Tag 4 (15.08.): Horror: sieben Stunden bei der Arbeit, und ich bekomme nichts hin, alles dauert ewig. Keine Lust, mehr zu schreiben.

Tag 5 (16.08.): Noch ein Tag Arbeit. Irgendwie geht alles, aber gefühlt konnte ich vor zwei Tagen noch sicherer und schneller tippen…

Tag 9 (21.08.): Nachdem ich das Wochenende über nicht viel vorm Rechner saß, musste ich mich zu Beginn der Woche doch mal wieder an die Bachelorarbeit setzen. Mittlerweile bin ich nicht mehr so ganz gefrustet, und manche (selbst lange) Wörter schreiben sich schon wirklich flüssig. Das wird schon. (Mittlerweile ca. 120 KPM.)

Tag 14 (26.08.): Stichtag: Bis heute hatte ich mir Zeit gegeben, um zu entscheiden, ob ich weiter Neo tippen will. Ich würde das Experiment nicht als „gescheitert“ ansehen, aber ich bin mit 140 Tasten pro Minute noch weit hinter dem, was ich mit QWERTY geschafft habe. Diverse Di- und Trigramme kommen mittlerweile sehr flüssig – aber ich habe das Gefühl, dass ich doch irgendwie jedes Wort ein paar Mal tippen muss, bis ich es wirklich kann. Morgen wird es ernst, denn da veranstalte ich eine Schulung und muss zwei Tage lang am Beamer tippen…

Tag 104 (23.11.): Das Muscle Memory ist schon lange da: Ich kann mich nicht mehr erinnern, wo die Tasten vorher lagen, ganz natürlich finden meine Finger Tag für Tag ihren Weg. Ich vertippe mich gefühlt selten, aber meine Schreibgeschwindigkeit ist mit ca. 330 Anschlägen pro Minute noch immer erst bei ca. 2/3 meiner Geschwindigkeit von vor dem Umstieg.

Was ich schon früh zu schätzen gelernt habe ist die Mod4-Taste, die die vierte Ebene aktiviert: Hier kann man ohne umzugreifen mit den Cursor-Tasten navigieren, an den Anfang und das Ende der Zeile springen sowie Zeichen löschen. Das nutze ich sehr häufig auch in Vim im Insert-Mode, was ja normalerweise nicht als „die reine Lehre“ angesehen wird: Mit NEO muss man aber nicht umgreifen und die Homerow verlassen, so dass es viel schneller als ein zweifacher Mode-Wechsel ist. – Überhaupt Vim: Ich hätte nie gedacht – und das war auch der einzige Grund, warum ich nicht schon mal früher Dvorak gelernt habe – dass man Vim auch mit komplett umgestellten Tasten bedienen kann. Ich navigiere selbst häufig mit hjkl, auch wenn die Buchstaben denkbar merkwürdig dafür angeordnet sind. Man gewöhnt sich an alles. :-)

Tag 372 (19.08.): Vor ziemlich genau einem Jahr bin ich umgestiegen – und mittlerweile habe ich meine alte Tipp-Geschwindigkeit von knapp 470 Tasten pro Minute wieder erreicht. Das scheint nicht wirklich ein Fortschritt zu sein – zumindest auf den ersten Blick. Allerdings glaube ich, dass ich insgesamt schneller, besser und ergonomischer tippe: ich schaue nie mehr auf die Tastatur, ich muss für Pfeiltasten, Backspace, Escape und ähnliche Sequenzen Dank der Mod4-Taste meine Finger nur minimal bewegen. Insgesamt bin ich also ziemlich zufrieden mit meinem Umstieg.

Ein paar Anmerkungen zum Lernen:

Ein paar technische Bemerkungen zum Neo-Layout:


Ich möchte abschließend noch eine etwas philosophische Dimension dieses Umstieges thematisieren. Der Satz »Der Mensch gewöhnt sich an Alles« ist tiefgehender, als man denken könnte. Mir ist es innerhalb von wenigen Wochen gelungen, eine meiner zentralen Tätigkeiten komplett anders auszuüben. Dass das am Anfang frustrierend ist – und diese Notizen haben mich jetzt noch einmal ziemlich klar daran erinnern lassen, wie genervt ich war – ist natürlich zu erwarten. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Genau wie die Anordnung der Buchstaben auf der Tastatur ziemlich arbiträr ist, und man von einer Anordnung auf die andere wechseln kann, weil keine der beiden eine inhärente „Wahrheit“ über Buchstaben und sprachliche Sätze enthält – genau so kann man auch Sprachen, Grammatiken, Denksysteme wechseln. Ich zum Beispiel sehe nun die Buchstaben K und H als ziemlich ähnlich an, weil ich sie mit dem gleichen Finger tippe und mich oft vertippt habe. Andere Leute können das vermutlich nicht nachvollziehen, und objektiv betrachtet ist mein Ähnlichkeitsgefühl auch absurd. Und doch lassen sich Effekte von Sprachverarbeitung auf die Realitätswahrnehmung feststellen.

Ich bin der Meinung, dass genau dieses Umwerfen gewisser fest geglaubter, aber tatsächlich arbiträrer Grundsätze ganz wichtig dafür ist, geistig nicht so schnell zu altern. Ein paar Ideen:

Oder, mit den Worten des Aphorismus Nr. 552 aus Nietzsches Menschliches, Allzumenschliches I, betitelt Das einzige Menschenrecht:

Wer vom Herkömmlichen abweicht, ist das Opfer des Außergewöhnlichen; wer im Herkömmlichen bleibt, ist der Sklave desselben. Zu Grunde gerichtet wird man auf jeden Fall.

posted 2013-08-19 tagged neo, linux and life

Map Foraging

Mein Freund Kilian von der LMU hat sich zusammen mit zwei anderen Wissenschaftlern eine Studie ausgedacht, um die Visuelle Aufmerksamkeit von Teilnehmern zu testen. Ziel ist es, mit einem auf Google Maps basierenden Interface nach Tankstellen in Luftbildern zu suchen und diese zu markieren.

Die Studie ist offen für alle (sofern man über 18 ist und den GMaps-Nutzungsbedingungen zustimmt). Hier geht es zur Studie „Map Foraging“. Ein Hinweis: Bitte die einleitenden Texte sehr genau lesen – die Steuerung funktioniert nämlich nicht ganz so, wie man das von Google Maps gewohnt ist!

Ich selbst habe die Studie mehrmals hintereinander „gespielt“, einfach weil es wirklich Spaß macht.

posted 2013-05-11 tagged misc

Linkdump III

Ich sitze schon eine Weile auf diesem Artikel, der argumentiert, dass Überpopulation sich nicht als ein großes Problem darstellen wird in den kommenden Jahrzehnten. Jeffrey Sachs hatte ja argumentiert, man müsse die Weltbevölkerung bei ca. acht Milliarden Menschen stabilisieren, was ich nach wie vor für glaubhaft halte. – Mir erscheint der „No Population Bomb“-Artikel daher etwas zu optimistisch und technikgläubig. Und mal ehrlich: Dass Länder mit einem hohen BIP/Kopf eine stabile (oder stagnierende) Geburtenrate haben, war doch nicht neu?

„There is no alternative“ ist lesenswert mit interessanten Einsichten.

In the 1990s and the 2000s, right-wing parties were the enthusiasts of the market, pushing for the deregulation of banks, the privatisation of core state functions and the whittling away of social protections. All of these now look to have been very bad ideas. The economic crisis should really have discredited the right, not the left. So why is it the left that is paralysed?

Die Schadenfreude über den Reinhart–Rogoff-Fehler ist natürlich besonders in linken Kreisen verbreitet, aber Krugman fragt zu Recht:

Yet two big questions remain. First, how did austerity doctrine become so influential in the first place? Second, will policy change at all now that crucial austerian claims have become fodder for late-night comics?

Und dann habe ich heute einen interessanten Artikel über MMT gelesen. Ich wollte mich generell mal mit (Post-)Keynesianismus beschäftigen, weiß aber nicht wirklich, wo ich da anfangen soll.

Zum Schluss noch ein paar nachdenklich-wütende Worte zu Boston. Das im ersten Satz verlinkte Video ist wirklich ziemlich beunruhigend.

posted 2013-04-29 tagged linkdump

Linkdump II

Im Feuilleton der FAZ ist seit vorgestern die ungekürzte frankfurter Rede von George Soros zu lesen, und heute erschien ein Interview mit ihm. Ich finde ja, dass George Soros ein beeindruckender Mann mit Weitsicht ist, dem man zuhören sollte. (Und nebenbei bemerkt: Die „Lesermeinungen“ zu dem Interview sind ja sowas von unterirdisch…)

“I think this explains a lot about something that has always puzzled me: why the delay in resolving Cyprus after the Greek haircut?”

Exzerpt aus David Graebers neuem Buch. Mit interessanten Einsichten:

What if those currently running the system, most of whom witnessed the unrest of the sixties firsthand as impressionable youngsters, are—consciously or unconsciously (and I suspect it’s more conscious than not)—obsessed by the prospect of revolutionary social movements once again challenging prevailing common sense?

Und:

… but [politicians, CEOs, trade bureaucrats, and so forth] have succeeded magnificently in convincing the world that capitalism—and not just capitalism, but exactly the financialized, semifeudal capitalism we happen to have right now—is the only viable economic system. If you think about it, this is a remarkable accomplishment.

Erinnert mich an: “The greatest trick the devil ever pulled was convincing the word he didn’t exist.”

Zum Ende wird der Artikel etwas utopisch, wie der Titel “A Practical Utopian’s Guide to the Coming Collapse” ja schon vermuten lässt.

posted 2013-04-14 tagged linkdump

Bilder aus Dubai

Ich bin wieder in Berlin. Ich habe es keinesfalls bereut nach Dubai zu gehen, aber am Ende der Zeit wurde es mir doch ein bisschen langweilig. Ist nicht wirklich meine Stadt, auch wenn der Strand und das Essen vorzüglich sind.

Hier noch ein paar Bilder. Die Metro-Stationen sehen ziemlich futuristisch aus, und werden nonstop von innen gereinigt.

Das Burj Khalifa aus der Ferne…

… und der Blick vom 124. Stock runter:

Und in der Wüste war ich natürlich auch:

posted 2013-04-10 tagged dubai and life

Linkdump

Viel Zeit heute zum Lesen, auch wenn in Dubai kein Feiertag ist.

The science of obfuscation über Datensammler und absichtliche Verschleierung:

Obviously there is nothing inherently wrong with gathering data on individuals — it is lifeblood of the work of the epidemiologist, for example, and the starting point for many of the benefits mentioned above. It is in the combination of data gathering with authority and its interests where the problem begins. […] We don’t have access to the other databases, nor the techniques and the training in mathematics and computer science, to comprehend what can be done with seemingly trivial details from our lives and activities, and how they can provide more powerful, total and revealing analyses than we could have anticipated [14]. The inconsequential and even benign can quickly become the problematic and sinister.

Wenn ihr euch fragt, was Mathematiker eigentlich so machen, wenn sie ein gewisses Level erreicht haben: Diese Staubsaugeranalogie hilft weiter. So lustig es klingt, so wahr ist es auch.

Ein paar Gedanken zur Zeitumstellung und dem Konzept des „sozialen Jetlag“.

Hier spricht mal ein Insider darüber, dass das Problem der Finanzkrise natürlich kein Liquiditätsproblem ist, auch wenn man das jetzt noch nicht zugeben kann.

Während in Portugal der Besitz von geringen Mengen von Drogen seit 12 Jahren straffrei ist and die Bilanz recht gut aussieht, importiert man in UK schon Chinesen, um Amphetamine aus nicht staatlich kontrollierten Substanzen herzustellen.

Interessanter Artikel der ehemaligen Redenschreiberin von Zuckerberg über das neue Buch der COO von Facebook, Sandberg: Feminism’s Tipping Point: Who Wins from Leaning in?:

Sandberg’s book, very strategically, makes no mention of feminist critiques of Facebook, and instead imagines a feminist platform where women’s problems with undercompensation and sexism lie in women themselves, thus negating the need to change Facebook’s operations. In this way Sandberg is able to deploy Facebook’s oft-used tactic of building an in-house version of a competitive product, a move traditionally deployed against apps, against competing feminisms.

Greg Palast über den Irak und das Öl

Ich habe das Harlem-Shake-Video ja noch nicht gesehen, aber anscheinend war das im wesentlichen Fabrikation. Siehe auch: Wie die Reddit-Kultur sich als Werbevehikel missbrauchen lässt. (Wobei es da natürlich auch immer grandioses zu finden gibt.)

Und eine Studie belegt, dass das Klischee das zufriedenen, faulen Arbeitslosen ziemlicher Humbug ist.

Update 03. April: Hatte ich schon irgendwo abgelegt, aber erst heute gelesen: Sehr wichtiger Artikel von Morozov über Tim O’Reilly.

posted 2013-04-01 tagged linkdump

Gefühle und Meinungen respektieren

Was ich ja immer wieder faszinierend finde, ist die meist vollkommen unbemerkte und unreflektierte, aber in weiten Teilen der Bevölkerung vorherrschende Meinung, Atheisten hätten keine Meinungen oder Gefühle, die man respektieren müsste – während parallel dazu gefordert wird, doch toleranter gegenüber den Gläubigen des Islam/Christentum/Papst etc. zu sein, und ihre religiösen Gefühle zu schonen. DieStandard schreibt:

Das Ereignis Papst-Wahl verleitete viele Medien dazu, zu vergessen, dass nicht nur religiöse Gefühle verletzt werden können, sondern auch atheistische.

Das eine sind direkte Angriffe wie „Die Nichtgläubigen werden in der Hölle schmoren!“ und dergleichen; aber darum geht es mir nicht. Vielmehr geht es mir darum, wie ungleich hier argumentiert wird. Wenn Deniz Yücel seinen Kommentar über den neuen Papst beginnt mit:

Der neue Papst ist, den bislang vorliegenden Informationen nach zu urteilen, ein reaktionärer alter Sack wie sein Vorgänger, der seinerseits einem reaktionären alten Sack gefolgt war, der wiederum einen reaktionären alten Sack beerbt hatte.

… dann finden das die Autoren im Radio Vatikan Blog gelinde gesagt daneben:

[…] aber was gesagt werden muss, muss gesagt werden: Ihr seid dumm.

„Mimimi, die kritisieren unseren Glauben!“ – Mal ganz abgesehen davon, dass der neue Papst ein alter Sack ist und dass die katholische Kirche in ihren Strukturen so alt und verkalkt ist, dass man wohl in jedem anderen Gewerbe sagen würde: „wegschmeißen, aus den Fehlern lernen und neu anfangen“ – ganz abgesehen davon ist dies eine Art von Kritik, die nicht im geringsten anerkennt, wie sehr wir Atheisten jeden Tag für komplett dumm gehalten werden.

Wenn ich so als Atheist durchs Leben gehe, dann steht vor jeder religiösen Botschaft immer auch der Satz: „Wir halten euch alle für so dämlich und gutgläubig, dass ihr auch das Folgende akzeptieren werdet: …“. – Das fängt an bei Behauptungen wie dass die Kirche doch Ursprung und Bewahrer demokratischer Grundideale ist, geht weiter mit der Verbreitung rückständiger Sexual-, Moral- und Verantwortungs-Vorstellungen sowie Familienbildern und kulminiert natürlich in den diversen Mythen, die die Grundpfeiler monotheistischer Religionen ausmachen (insbesondere spielt meist ein eifersüchtiger Gott eine tragende Rolle).

So sieht die Realität aus, Tag für Tag. Und wenn mir jemand ernsthaft weismachen will, dass es keine intellektuelle Beleidigung ist, in einer renommierten Zeitung seitenlange Berichterstattung über einen Papst zu lesen, der im Jahre 2013 Abtreibung und gleichgeschlechtliche Beziehungen verbietet – anstatt eines Aufschreis ob der Rückständigkeit dieses Alten Sackes mitsamt seiner Institution – dann würde ich das gerne mal hören. Und bitte ohne die Worte „Tradition“, „althergebracht“ oder „weithin akzeptiert“ zu verwenden. Das wäre unsachlich.

posted 2013-03-20 tagged life and religion

Winter und Sonne

Komplett zustimmen konnte ich diesem Tweet von Afelia von vor ein paar Tagen:

Theorie: Alles ist auch deswegen schlecht, weil kaum einer von uns seit drei Monaten die Sonne gesehen hat.

Und die Tagesschau bestätigt’s heute:

Der Winter 2012/2013 ist der sonnenscheinärmste seit Beginn der flächendeckenden Wetteraufzeichnungen im Jahr 1951. … Seit Anfang Dezember gab es in Deutschland im Schnitt nur 96 Sonnenstunden, normal sind 154.

Nächsten Winter muss ich mir was überlegen um das zu überleben, und zwar früh. Johanniskraut? Tageslichtlampen? Solarium? Mal schauen. – Noch bin ich leider nicht in der Position, einfach den gesamten Winter in Äquatornähe verbringen zu können.

posted 2013-02-28 tagged life

Erste Eindrücke aus Dubai

Ich bin nun seit einer Woche in Dubai. Als letzter Teil meines langen Weges zu einem Bachelor-Abschluss muss ich ein Betriebspraktikum machen, das mindestens sechs Wochen dauert. Laut Regulation darf das nicht an meiner Heimatuniversität sein, und auf Nachfrage wurde mir gesagt, dass man eine potentielle Berufslaufbahn erkunden soll, und deswegen freiberufliche Tätigkeiten nicht anerkannt werden (?!). – Also habe ich mich bemüht, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und bin nun in Dubai, um ein Praktikum bei einer Firma abzuleisten, die Netzwerkdienstleistungen für Fluggesellschaften anbietet.

Ganz anders als die anderen Großstädte, in denen ich in den vergangenen Jahren so war, ist Dubai erwartungsgemäß luxuriös und hoch technisiert. Hier scheint alles neu zu sein: Die Metro wurde erst vor zwei Jahren eröffnet, die knapp 80 Jumeirah Lake Towers, die das Viertel ausmachen, in dem ich arbeite, wurden in einem Kraftakt innerhalb von wenigen Jahren gebaut – schön mit künstlichen Seen und einer Metro-Station direkt vor der Tür. (Siehe auch auf Google Maps.)

Ich wohne glücklicherweise direkt an der Metro-Station Business Bay, direkt an der Sheikh Zayed Road, einer in beiden Richtungen sechsspurig verlaufenden Stadtautobahn. Die Straße überquert man bei den Metro-Stationen über (natürlich klimatisierte) und mit Laufbändern wie in Flughäfen ausgestattete Fußgängerbrücken. In meinem Stadtteil sieht man von fast überall das Burj Khalifa, das (momentan noch) höchste Gebäude der Welt.

Dubai ist leider gar nicht so warm, wie ich mir das vorgestellt habe, wobei jetzt wohlgemerkt auch hier noch Winter ist. Tagsüber ist es ganz nett, aber da muss ich ja arbeiten. Ansonsten ist hier alles klimatisiert: Nicht nur alle Wohnhäuser, Büros, die U-Bahnen: Nein, auch die U-Bahn-Stationen und sogar die Bushaltestellen!

Da ich zu Hause weder einen Stuhl noch einen Tisch besitzte, verbringe ich die Abende meist in irgendwelchen Cafés, gestern mit einem meiner Kollegen in Dubai Marina, einem Viertel, das genau wie JLT fast nur aus Wolkenkratzern besteht. Die künstlichen Seen zwischen den Häusern sind dort aber viel tiefer und auch mit Booten vom Meer aus zu erreichen.

Insgesamt ist die Stadt großteils extrem Fußgänger-unfreundlich und zentralisiert. Anstatt ziellos durch die Gegend zu laufen und zufällig ein nettes Restaurant oder Cafe zu finden, fährt man häufig in die nächste Mall, wo dann dutzende oder sogar hunderte Gelegenheiten sind, etwas zu essen. Die Malls sind hier so riesig, dass es Computerterminals gibt, mit Hilfe derer man sich zurecht finden kann und die Auswahl der Läden erkunden kann. Ich hasse Shopping, aber ich werde mich für die Zeit wohl damit abfinden müssen, dass das hier eines der größten Dinge ist.

Dass das Internet hier zensiert wird, ärgert mich. Ich habe mittlerweile herausgefunden, wie man die Maßnahmen umgehen kann, ohne ein VPN zu benutzen; mit der Veröffentlichung der technischen Details warte ich aber sicherheitshalber, bis ich wieder außer Landes bin…

posted 2013-02-21 tagged life and dubai

Followup “Blood in the Mobile”

Als Followup zu dem bereits erwähnten Film “Blood in the Mobile”:

Der Kongo spielt nur eine geringe Rolle bei der Versorgung der internationalen Elektronikindustrie. Seit der neuen US-Gesetzgebung von 2010 und den entsprechenden Diskussionen über internationale Regelwerke ist der Coltan- und Zinnexport aus [der krisengeschüttelten Provinz] Kivu faktisch zusammengebrochen, weil niemand mehr das Zeug aus dem Kongo will. Und, kein Zufall: Seit diesem Zusammenbruch schließen sich in Kivu mehr junge Menschen bewaffneten Gruppen an als je zuvor. Der Bergbau bot eine Einkommensmöglichkeit, die jetzt größtenteils weggebrochen ist. Die Krise des Bergbaus ist konfliktfördernder als der Bergbau selbst es je war.

Dieser Absatz ist aus einem Kommentar von Dominic Johnson in dem immer wieder zu empfehlenden Blog Kongo Echo.

posted 2013-02-18 tagged africa and congo