Julius Plenz – Blog

Suarez: Daemon und Freedom

Ich habe den besseren Teil des Wochenendes damit verbracht, Daniel Suarez' Daemon und dessen Nachfolger Freedom™ zu lesen (auf deutsch Darknet). Aufmerksam geworden war ich auf die Bücher über dieses Interview von Frank Rieger mit dem Autor – sehr, sehr lesenswert.

Daemon and Freedom(TM) Cover

Das Buch ist auf mehreren Ebenen faszinierend. Zunächst ist es kaum aus der Hand zu legen; es ist leicht geschrieben, voller Spannung, wechselnder Erzählperspektiven, verständlicher Dialoge, kleiner Nebenbei-Geschichten. Dennoch ist Suarez kein großer Literat. Gerade zum Ende der beiden Bücher kommen Wörter wie perimeter und operative gefühlt auf jeder Seite mehrfach vor.

Ich lese wenig bis gar kein Science Fiction. So wie Matrix oder Password Swordfish zwar nette Filme waren – jedem, der sich ein bisschen mit Computern auskennt, graut es davor, zu sehen, wie Computer dargestellt werden. – Ganz anders in den Romanen: Hier kommen auch Kenner auf ihre Kosten. Das fängt an bei Kapiteln die Pwned oder Epic Failure heißen, und geht bis hin zu Hackern, die wirklich hacken: Kein "er tippte wild vor sich hin" um ein WLAN zu knacken – der Protagonist sitzt in seinem Auto mit Laptop, sieht ein WPA-Netzwerk, und snifft via einer Deauth-Attacke die WPA-Handshakes, und wartet dreieinhalb Stunden darauf, bis sein Rechner die Keys aus diesen errechnet hat. Wie man halt ein WLAN knackt. Weitere Details, die den kenntnisrechen Leser erfreuen werden, sind eine (ausgeschriebene!) SQL-Injection-Attacke, ein SNMP-Buffer-Overflow in alten OpenBSD-Versionen sowie ein schlecht konfigurierter Nameserver, der AXFR erlaubt. – Kurz: Ein Autor, der seine Hausaufgaben gemacht hat. So auch Frank Rieger in dem Interview:

Vieles, was Sie beschreiben, ist wirklich technisch möglich, es finden sich praktisch keine Fehler in Ihrem Buch.

Untergründig werden immer wieder gesellschaftliche Misstände, die wir nur allzugern im täglichen Leben ausblenden, eingestreut. Das ist zum einen die Fast-Allmacht der Hochfinanz und die ständig steigende Effizienz von Produktionszyklen zu Lasten der Diversität und damit der Robustheit. Ein nicht unwesentlicher Teil im ersten Band thematisiert auch das (gerade in den USA besonders bedeutende) Thema der Privatisierung von Gefängnissen: moderner, inländischer Sklaverei. Nicht zuletzt wird häufig auf Economic Hitmen und deren Dienste zum Aufstieg der globalen Wirtschaftsmacht USA hingewiesen; im Literatur-Anhang wird auch John Perkins' Buch Confessions of an Economic Hitman referenziert, dass ich mehrmals gelesen habe, und das sehr zu empfehlen ist.

Suarez dazu im Interview:

Aber es läuft etwas sehr schief, wenn die häufigste Quelle großen Reichtums heute darauf beruht, dass man im Finanzsystem zockt, Mittelschichtjobs vernichtet und keinerlei materiellen Wert erschafft.

Was das Buch so spannent macht, ist, dass die Technik, um eine wie dort beschriebene Welt zu erschaffen, prinizpiell schon da ist. Das ist aber auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Diese Review beispielsweise meint:

The [logic decision] tree necessary to handle the daemon would be astronomically complex and I don't think any one, no matter how many resources they had, could put such a thing together.

Doch das ist ein Fehlschluss. In der Angangsphase – man könnte es auch Bootstrapping nennen – waren sicherlich gewisse Elemente im Entscheidungsbaum hart codiert (Auswahl des Polizisten z.B.). Aber jeder, der einmal probiert hat, eine AI für ein Spiel zu programmieren, weiß: Man wird nie alle Fälle abdecken. Und selbst für die wenigen "offensichtlichen" Fälle ist die Logik schon unglaublich komplex. – Der Schlüssel des ganzen liegt natürlich im Maschinellen Lernen und Crowdsourcing.

Suarez: In seiner ursprünglichen, noch nicht in die Crowd ausgelagerten Verkörperung verfügte der Daemon über eine kurze Liste von Zielen: erstens Unternehmensnetzwerke infizieren; zweitens menschliche Gefolgsleute finden (unter Verwendung von Konsumentendaten und sozialen Netzwerken); und drittens die Aktivitäten der menschlichen Gefolgsleute nutzen, um Aufgaben auszuführen.

Diese menschlichen Gefolgsleute aber sind es gerade, die den weiteren Entscheidungsbaum (wenn man ihn denn so nennen will) nachhaltig gestalten. Sie geben (als Gemeinde) die Ziele vor, die zu erreichen sind, und "upvoten" die Gedankenströmungen und Menschen, denen sie zustimmen. – Und dass eine simples "like" oder "don't like" bei genügend Ausgangsmaterial eine relativ eindeutige Signatur hinterlässt, das kennen wir schon jetzt: Das ist "Die folgenden Kunden kauften auch..." bei Amazon; die Lieder- und Videovorschläge in diversen Multimedia-Plattformen; die richtigen und ausführlichen Antworten bei StackOverflow ganz oben.

Das Schlüsselkonzept hinter dem gesamten Darknet ist Aggregation. Auch heute haben wir all diese Daten schon, aber wir können sie (zumindest als Privaterson) nur unzureichen aggregieren. Doch dass das möglich ist, zeigt sich in Ansätzen: Da muss man nur mal einen Namen bei Personensuchmaschinen eingeben, und schon erhält man die veröffentlichten Artikel, MP3s, Blogposts, Facebook-Account, Amazon-Wunschzettel, E-Mail-Adressen, ... – Die Daten sind alle da. Insofern erscheint die geradezu utopische (bzw. dystopische) Aggregation, Filterung und Aufbereitung der Daten, wie sie in den Romanen dargestellt wird, gar nicht mehr so unwahrscheinlich, wenn man nur bedenkt, dass es ein System ist, an dem eher Zehntausende denn Tausende Leute mitprogrammiert haben – und dass eine Menge Geld darein investiert wurde.

Ein Manko hat die Erzählung allerdings: Sie ist viel zu sehr Amerika-zentriert. Zwar wird ganz peripher Europa erwähnt, und einige wenige Szenen spielen auch im Ausland. Doch prinzipiell sind es im Wesentlichen die amerikanischen Dienste, und später die amerikanische Bevölkerung, die sich mit dem Daemon auseinandersetzt.

Alles in Allem liefern die Bücher eine Meneg Stoff zum Nachdenken, und einige simple, aber äußerst wichtige Wahrheiten.

Suarez: Die Natur bestraft einzelne Fehlschläge, weil ein gewisses Maß an Fehlschlägen unvermeidlich ist. Wir sollten daher in erster Linie zu vermeiden versuchen, dass Fehlschläge sich kaskadenförmig ausbreiten, und unsere Fähigkeit verbessern, uns von solchen Fehlschlägen rasch zu erholen.

Dringende Leseempfehlung.

posted 2011-08-22 tagged bookdump and life