Ein Buch, das man sich wirklich nicht entgehen lassen sollte, ist Thinking, fast and slow von Nobelpreisträger Daniel Kahneman. Es ist sicherlich kein sehr mitreißendes Buch, aber auch nicht allzu trocken oder komplex. Thema des Buches sind die zwei Akteure System I und System II – die Intuition, die zwar schnell, dafür aber ungenau arbeitet und leicht zu täuschen ist, und das, was wir "angestrengtes Nachdenken" nennen.
Im Wesentlichen geht es darum, was für Mechnismen gewissen für uns typischen Denkmustern zugrund liegen, wie wir sie analysieren können, und was für Fehlinformationen sie uns glaubhaft machen können. Als wissenschaftliche Grundlage dienen dafür Gedankenexperimente, die großteils auch an Gruppen von Probanden getestet werden. (Jeweils gegen monetäre Entschädigung, häufig ist die Höhe der Entschädigung auch Grundlage des Experiments; wer finanziert sowas eigentlich? Und warum mache ich nie bei solchen Studien mit, wo man durch Beantworten einiger weniger Fragen ein paar Dutzend Euro erhalten kann? –)
Kahneman erklärt anhand einiger simpler kognitiver Illusionen, denen wir tagtäglich erliegen und die uns als scheinbar rationale Wesen objektiv völlig irrationale Handlungen unternehmen lassen, wie wir diese Illusionen a) erkennen können und teilweise auch b) dagegen vorgehen können.
Das Buch hat übrigens einen guten Index, so dass ich auch die äußerst passende Zusammenfassung aus dem Nachwort wiederfinden konnte:
The way to block errors that originate in System 1 [intuition] is simple in principle: recognize the signs that you are in a cognitive minefield, slow down, and ask for reinforcement from System 2 [careful thinking, as in: doing the math, considering statistics]. This is how you will proceed when you next encounder the Müller-Lyer illusion. When you see lines with fins pointing in different directions, you will recognize the situation as one in which you should not trust your impression of length. Unfortunately, this sensible procedure is least likely to be applied when it is needed most. We would all like to have a warning bell that rings loudly whenever we are about to make a serious error, but no such bell is available, and cognitive illusions are generally more difficult to recognize than perceptual illusions. (p. 417)
Im Nachwort räumt Kahneman übrigens mal eben so mit der Chicago
School
auf, die ja wesentlich auf der Illusion eines "rationalen Menschen"
aufbaut: The economists of the Chicago school do not face
that problem [whether to protect people from themselves], because
rational agents do not make mistakes. For adherents of this school,
freedom is free of charge.
(p. 412) – –
Etwas leichtere Kost war Philip Roths Nemesis. Im Sommer 1944 geht es ums Überleben: Für die einen, weil sie in den Krieg ziehen müssen, für die anderen, weil sie zu jung sind, und sich zu Hause mit einer Polioepidemie konfrontiert sehen. Auch wenn der Protagonist diesmal nicht krebskrank in der Midlife-Crisis steckt, gelingt es Roth doch leider nicht, mal einen Roman zu schreiben, in dem es nicht um Tod, Verfall und Bedauern über das eigene Leben geht. Nichts also, womit ich mich identifizieren kann. – Viel eher kam ich dagegen mit Charles Bukowskis autobiographischem Character Chinaski in Das Liebesleben der Hyäne zurecht: Ein herrliches Buch, das ich an einem Abend gelesen habe. Hoffentlich bin ich mit 50 auch noch so gut drauf!
Mal wieder zwei nicht zu Ende gelesene Bücher, die mich nicht vom Hocker gehauen haben: Thomas Pakenham: Der kauernde Löwe, eine monumentale, aber doch etwas schwerfällige Biographie der Eroberung und Kolonialisierung der Mitte des afrikanischen Kontinents (also im Wesentlichen auch die Suche nach der Quelle des Nil) – Anne Michaels: Wintergewölbe, ein Roman über den Ab- und Wiederaufbau des Abu-Simbel-Tempels. Die Abschnitte über die forcierte Umsiedlung der Nubier (und das Pendant in Kanada) ist spannend und ergreifend, aber alles pseudo-bedeutungsschwere dazwischen langweilt nach den ersten drei Seiten, leider.