Julius Plenz – Blog

Bundespräsident

Ich vermeide es größtenteils, über Politik zu schreiben. Das liegt im wesentlichen daran, dass es einfach sehr viele Leute gibt, deren Tagesgeschäft das ist und die folglich darin um einige Größenordnungen besser sind als ich. Außerdem ist es so, dass mich die Beschäftigung mit Politik fast ausnahmslos wütend macht: Täglicher Politik-Nachrichten-Konsum ist bestens dazu geeignet, den Glauben an Fortschritt in unserer Gesellschaft zunichte zu machen.

Aktueller Anlass ist natürlich die Einigung vierer von fünf im Bundestag vertretenen Parteien auf Gauck als neuen Bundespräsidenten. Man bemüht sich dort noch nicht einmal, diesem Gauck irgendwelche Qualitäten, die ihn als Bundespräsidenten auszeichnen würden, zuzusprechen: Merkel sagte, mit Gauck verbinde sie vor allem die gemeinsame Vergangenheit in der DDR. Für Gauck habe sich der Weg von der Kirche in die Politik von fast alleine ergeben. Ihn zeichne aus, ein "wahrer Demokratielehrer" geworden zu sein. – Ja, Demokratielehrer schön und gut. Aber Aufgabe des Bundespräsidenten sollte es ja nicht sein, Demokratie zu lehren. Seine Aufgabe sollte es vor allem auch sein, den Fokus auf Probleme im Land und im politischen Diskurs zu lenken. Das kann man von Gauck wohl eher weniger erwarten.

Im wesentlichen scheint ein schlagendes Argument zu sein, dass sich viele Deutschen Gauck als Präsidenten wünschen. Das klingt auch vernünftig, bis man die Hintergründe recherchiert. Kaliber "Guttenberg ist so nett", sag ich nur.

Ein Pastor soll Präsident in Deutschland werden. – Pastoren: Das sind diejenigen, die professionell, das heißt um ihr täglich Brot zu verdienen, Tag für Tag, Woche für Woche Unwahrheiten predigen. Das sind diejenigen Menschen, die die evangelische Kirche repräsentieren – und somit im Grunde ihres Wesens gegen Fortschritt und Selbstverantwortlichkeit sind. (Man darf sich wohlgemerkt nicht von der Tatsache blenden lassen, dass auch Gutes aus diesen Kreisen kommt!) – – Wenn wir eines in diesem Land nicht gebrauchen können, dann einen zahnlosen, anti-sozialen, christlichen Bundespräsidenten.

Auch wenn man Fefes Ratschläge vielleicht nicht immer erst nehmen sollte: Die Nominierung Georg Schramms wäre in der Tat ein Geniestreich der Piraten – gewesen. Ich habe heute zwei Stunden lang alte TV-Mitschnitte von Schramm geschaut – die nota bene alle in öffentlich-rechtlichen Kanälen liefen, das hat mich doch positiv überrascht! – und da ist wirklich mal ein Mann, der mit der Faust auf den Tisch haut, ein Loblied auf den Zorn singt und wirklicht etwas zu sagen hat.

Update: Sag ich doch, andere können das besser. So zum Beispiel Deniz Yücel in seinem Replik auf die Kritik Lobos, der dessen Kolumne kritisierte: Der Holocaust, meint er [Gauck], ist eine Ersatzreligion der Gottlosen. Damit stellt er sich in die Tradition von Leuten, die ein Leben und Denken ohne Gott für unvorstellbar halten und den Nationalsozialismus gerne für ein Produkt der Gottlosigkeit halten, anstatt darin auch das in Ideologie wie Praxis modernisierte und radikalisierte Ergebnis des christlichen Antijudaismus zu erkennen.

posted 2012-02-19 tagged politik