Julius Plenz – Blog

Bookdump

In den aktuellen Bestsellerlisten findet sich momentan fast überall Jonas Jonassons Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand. Mit gutem Grund: Das Buch lässt sich locker-leicht lesen und eignet sich bestens als Ferienlektüre. Ähnlich leicht und anekdotisch kommen Charles Bukowskys Notes of a dirty old man daher: Immer gut für einen Lacher. Den Klassiker Catch-22 von Joseph Heller habe ich 150 Seiten angelesen, konnte aber irgendwie nichts damit anfangen. Die neuerliche Lektüre von Aldous Huxleys Brave New World war unterhaltsam. (Siehe auch diesen treffenden Webcomic, der die Dystopien von Orwell und Huxley vergleicht.)

Graeber: Debt In meinen Augen extrem wichtig ist David Graebers Buch Debt / The First 5000 Years. Allseits hochgelobt, hat mir das Buch eine Art der historischen Analyse gezeigt, die ich bisher nicht kannte. Spannend, unterhaltsam aber unglaublich gehaltvoll und detailreich zugleich – das Buch muss man gelesen haben, alleine schon des Einstiegskapitels wegen, The Myth of Barter (dt.: Der Mythos des Tauschhandels). Intellektuell schockiert war ich von der anscheinend gut belegten Tatsache, die sich zusammenfassen lässt als:

His [Llewellyn-Jones] study covers the entirety of the ancient Greek world and argues that veiling was routine for women of varying social strata, especially when they appeared in public or before unrelated males.

In den Worten Graebers (Debt, p. 188):

As much as it flies in the face of our stereotypes about the origins of “Western” freedoms, women in democratic Athens, unlike those in Persia or Syria, were expected to wear veils when they ventured in public.

Das habe ich im Latein- und Geschichtsunterricht nie gehört. Im Gegenteil, die Frauen wurden in den Büchern immer als fortschrittlich, demokratisch und relativ emanzipiert dargestellt. – Definitiv ein Buch, dass ich in näherer Zukunft nochmal lesen werde.

Für das Verständnis moderner Konflikte ist auch A game as old as Empire sehr hilfreich. Als „Nachfolger“ von Economic Hitmen präsentiert Hiatt Menschen, die in ganz unterschiedlichen Kontexten und mit ganz unterschiedlichen Motivationen in Branchen arbeiten, die im Endeffekt darauf abzielen, die Wirtschaft von Ländern anzugreifen: Seien es Offshore-Banker, für amerikanische Ölfirmen in Nigeria arbeitende Söldner oder Berater und Analysten der Weltbank oder des IMF.

Ich habe auch wieder ein bisschen mehr SciFi gelesen: Angefangen mit dem Klassiker Snow Crash von Neal Stephenson, den ich allerdings nur mäßig beeindruckend fand. Viel mehr gefallen hat mir da Fear Index von Robert Harris, das sich mit autonomen Börsenhandelssystemen befasst, die plötzlich ein hazardöses Verhalten an den Tag legen; außerdem habe ich das erste Mal etwas von Cory Doctorow gelesen: For the Win, ein in China, Indien (Dharavi), Singapur und den USA spielendes Buch, das wunderbar zu Graebers Buch passt, denn dort geht es um virtuelle Spielgüter, die aber in der realen Welt Wert besitzen (als ob das verwundern würde) – und plötzlich organisieren sich die Goldfarmer und bilden eine Art internationaler Gewerkschaft. Unterhaltsam und lehrreich. Das Highlight zum Schluss: Der neue Suarez, Kill Decision, ist wirklich super. (Mehr Hintergrundinfos.)

Anfangs begeistert war ich von Haruki Murakamis Buch 1Q84. Alleine die Ausgabe, die anscheinend noch nicht überall verfügbar ist, ist absolut gelungen: Die Seitenzahlen sind immer auf unterschiedlicher Höhe und in der Hälfte der Fälle gespiegelt; und interessanterweise ist der Satzspiegel der jeweils rechten Seite genau um eine Zeile nach unten verschoben. (Warum, konnte ich nicht herausfinden, aber ich gehe davon aus, dass es Absicht ist.) Den ersten Teil habe ich mit Begeisterung gelesen. Nach ca. 500 Seiten wurde es dann erst langweilig, und auf Seite 900 habe ich beschlossen, die restlichen 200 Seiten nicht mehr zu lesen, so langweilig, schwerfällig und belanglos sind die Erläuterungen. Der Klappentext verspricht “A love story, a mystery, a fantasy, a novel of self-discovery, a dystopia to rival George Orwell’s” – Aber insgesamt ist die Dystopie, die ich gerne gesehen hätte fast nicht vorhanden, und zu viel Handlung verliert sich in mystischen Erklärungsansätzen. Schade, denn aus der Geschichte hätte man wirklich etwas machen können.

Gerade eben bin ich mit dem neuen Buch von Irvin D. Yalom fertig geworden: Das Spinoza-Problem bedient sich des Erfolgsrezeptes „historische Persönlichkeit psychoanalytisch in Romanform dargestellt“, ist aber in meinen Augen nicht so gelungen wie die beiden Vorgänger über Nietzsche und Schopenhauer. Sowohl Spinoza als auch Rosenberg sind interessante Charaktere und werden gut dargestellt. Insgesamt aber wirken die Dialoge zu durchkonstruiert, zu wenig echt. Vielleicht hätte es ein Briefwechselroman werden sollen.

posted 2012-10-06 tagged bookdump