Julius Plenz – Blog

Bookdump

Es ist eine Weile her seit dem letzten Artikel, und auch wenn ich hauptsächlich Mathematik getrieben habe, hat sich viel angesammelt.

Überraschend informativ und einfach zu lesen ist Foucaults Überwachen und Strafen, und natürlich aktueller denn je.

Die Essaysammlung Arguably von Christopher Hitchens ist ein nettes Sammelsurium, mit einigen sehr beeindruckenden Beiträgen. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Hitchens sich zu der Zeit, als die Praxis des Waterboarding gerade in die öffentliche Wahrnehmung gezerrt wurde, selbst dieser Foltermethode unterzogen hatte – um einfach zu erfahren, wie sich das angefühlt – und darüber berichten zu können.

Als ein sehr mathematisch motivierter Autor gilt J. L. Borges. Dessen Kurzgeschichtensammlung Labyrinths hat mir gut gefallen, auch wenn sich die mathematischen Aspekte seiner Literatur zumindest in dieser Auswahl meist darauf reduzieren, die inhärenten Paradoxa von Rekursion und Unendlichkeit zu verarbeiten. Er ist aber ein Autor, der das Träumen glorifiziert und immer wieder die Grenzen der Erkenntnis ausleuchtet, wie zum Beispiel in Avatars of the Tortoise:

‘The greatest magician (Novalis has memorably written) would be the one who would cast over himself a spell so complete that he would take his own phantasmagorias as autonomous appearances. Would not this be our case?’ I cojecture that this is so. We (the undivided divinity operating within us) have dreamt the world. We have dreamt it as firm, mysterious, visible, ubiquitous in space and durable in time; but in its architecture we have allowed tenuous and eternal crevices of unreason which tell us it is false.

Beeindruckt war ich von Henry Thoreau, dem amerikanischen Naturalisten, der mit Walden ein Werk geschafft hat, was schon vor der Industrialisierung den „Ausstiegsgedanken“ geprägt hat, und die philosophischen und praktischen Aspekte eines Lebens fernab der Gesellschaft, alleine im Wald und als Selbstversorger erläutert:

But I would say to my fellows, once for all, As long as possible live free and uncommitted. It makes but little difference whether you are committed to a farm or the county jail.

Seinen ernährungstechnischen Ansichten stehe ich teils sympathisch gegenüber (wenn auch nicht in der Begründung) –

I believe that every man who has ever been earnest to preserve his higher or poetic faculties in the best condition has been particularly inclined to abstain from animal food, and from much food of any kind.

– seine Ansichten zu Wein und Kaffee aber teile ich nicht:

I believe water is the only drink for a wise man; wine is not so noble a liquor; and think of dashing the hopes of a morning with a cup of warm coffee, or of an evening with a dish of tea!

Faulkner: As I Lay Dying – Boah, also so concious-stream-narrative kann ich mal gar nicht ab.

Ayn Rand: The Fountainhead – Das Buch ist wie ein Verkehrsunfall: So schrecklich es auch ist, man kann nicht wegschauen. Ich habe selten ein Buch gelesen, in dem die Prosa so arg schlecht ist und die Charaktere so dermaßen holzschnittig gezeichnet sind. Damals muss ein unglaubliches soziales Klima geherrscht haben, dass so ein Buch Erfolg haben konnte. Trotzdem fesselnd. Und: Keine Illustration der Bauwerke wird der dahinter stehenden Idee gerecht. (An dieser Stelle möchte ich auf das Blog eines guten Freundes von mir linken: cncrt abstraction beschäftigt sich mit Brutalismus-Architektur, was glaube ich der Essenz der Bauwerke Howard Roarks nicht allzu fern liegt.)

Über alle Maßen gelobt unter den klassischen Sci-Fi-Autoren ist natürlich Philipp K. Dick. Zum Einstieg VALIS zu lesen war vermutlich nicht die beste Entscheidung, ist es doch eher dem Spätwerk zuzuordnen und sehr autobiografisch. Viel besser haben mir dann die Three Stigmata of Palmer Eldrich gefallen, ziemlich halluzinatorisch-dystopisch, mir alles in Allem aber nicht konkret und anschaulich genug. Ein weiterer Klassiker, Kurt Vonneguts Slaughterhouse-five, gefiel mir halbwegs gut, aber schön, dass es so kurz war. Dass der Erzähler ständig in Zeit und Raum springt hat mich an Hilsenraths „Märchen vom letzten Gedanken“ erinnert.

Sehr beeindruckt war ich von Jean-Paul Sartres Nausea (dt.: Der Ekel):

… The past is a property-owners’s luxury.

Where should I keep mine? You can’t put your past in your pocket; you have to have a house in which to store it. I possess nothing but my body; a man on his own, with nothing but his body, can’t stop memories; they pass through him. I shouldn’t complain: all I have ever wanted was to be free.

Davon angespornt habe ich auch The Age of Reason gelesen, war aber nach der Hälfte richtiggehend angenervt und habe den Rest nur noch überflogen. Zu den französischen Existentialisten gehört natürlich auch Camus, aber sein Mythos des Sisyphos ist zwar gut und nett, aber literarisch verpackt kann ich mit solcher Philosophie mehr anfangen.

Tom Wolfe schreibt so ein bisschen wie Jonathan Franzen. The Bonfire of the Vanities war eine beeindruckend vielschichtige Geschichte, liebevoll konstruiert, aber eben auch so ein Momentanpanorama-Epos.

Manchmal gehen einem die Bücher aus, und dann muss man nehmen, was man kriegt. So war ich auf der Insel Palawan darauf angewiesen, mich bei einem Australier und einem Kanadier, die sich beide dort zur Ruhe gesetzt hatten und gebrauchte Bücher für einen Euro pro Stück von ihrer Veranda verkauften, einzudecken: Noch ein bisschen spannend ist Stephen Leather: Hungry Ghost, aber nur noch pathetisch und schlecht ist Morris West: Summer of the Red Wolf. Einen noch mir noch unbekannten Krimi von Ian Rankin, A Question of Blood, fand ich dort auch, sowie John le Carrés Absolute Friends, von dem ich aber jetzt schon nicht mehr sagen könnte, worum es eigentlich ging.

Ab und zu muss man auch Bücher lesen, die in die Hosentasche passen. Henry James hat mit The Turn of the Screw eine nette Horrorgeschichte geschaffen, die glücklicherweise schnell zum Punkt kommt. Auf Verdacht habe ich Andre Gide: The Immoralist gekauft, und hätte mehr Immoralität erwartet.

Wenn Krimis oder Thriller weltweit auf einmal überall auftauchen, dann ist das ein Indiz, dass sie zumindest spannend sind. Gillian Flynn: Gone Girl ist es auch, aber ein so dermaßen schlechtes Ende, das tat schon weh. Die Buchverfilmung, die ich direkt im Anschluss gesehen habe, hat mir nicht gut gefallen.

Schon häufiger ist es mir passiert, dass ich ein Buch las, über das Kritiker schrieben: »full of ideas … grand in scope« – und ich fand eine Geschichte vor, die höchstens beeindruckend war ob der aussagelosen Weitläufigkeit des Textes, in anderen Worten: Es sind häufig Geschichten, die besser Exposition oder Kurzgeschichte geblieben wären. Über Zia Haider Rahmans Debutroman In the Light of What We Know bin ich gestolpert aufgrund des Zitates von Alex Preston auf dem Cover: »The novel I’d hoped Jonathan Franzen’s ›Freedom‹ would be.« – Ja, in typischer »Grand Scope«-Manier ist ein Leitmotiv des Buches der Gödelsche Unvollständigkeitssatz (abstrakt! Mathematik und Logik!), aber wo andere Bücher daraus Realweltanalogien gebastelt hätten, die unweigerlich lächerlich erscheinen für einen jeden, der ein wenig Mathematik studiert hat, tritt in verschiedenen Situationen der Vater des Protagonisten, seines Zeichens Physikprofessor, auf, zitiert mehrfach Richard Feynman und erläutert außerdem erschöpfend, dass keine Analogie jemals den Tatsachen gerecht wird. – Neben vielen anderen Themen, die der Roman behandelt, ist das zentrale Thema aber auf geradezu frappierend exakte Weise bereits vom Titel erschöpfend behandelt: Die Realität lässt sich nicht ansatzweise so kontrollieren, wie die Mathematik es zulässt: nachträglich erlangtes Wissen kann die damals als korrekt eingestufte Bewertung einer Situation abstrus verkehren – während ein mathematischer Beweis nunmal stimmt oder nicht. Auch sehr interessant ist das Buch, weil es Einblicke in Welten gibt, die den meisten Menschen verschlossen bleiben. Diese Kritik fasst es gut zusammen:

It is a novel that displays a formidable familiarity with élite knowledge, and takes for granted a capacity for both abstract and worldly thinking.

Daniel Suarez: Influx – Schon spannend aber auch ein bisschen flach und vorhersehbar.

F. Scott Fitzgerald: The Great Gatsby – so ein Klassiker. Kann man, muss man aber nicht. Wie ich höre, veranstaltet man heutzutage (wieder?) „Gatsby-Partys“…

Wenn ein Autor es schafft, einen allgemein bekannten Ismus zu prägen, dann ist es meist ratsam, zumindest ein bisschen was im Original gelesen zu haben. (Beispiel: Darwinismus. Aber Achtung: Fast alle Kommunisten haben ihren eigenen Ismus, und nur weil der Trotzkyismus ein paar Anhänger hat, heißt das noch nicht, dass man Trotzky lesen muss.) – Worauf ich hinaus will: Wenn jemand es schafft, den Begriff Sadismus zu prägen, der so sehr eigenes Wort ist, das kaum noch jemand den Autor dahinter kennt, dann ist das doch interessant zu erforschen, wer de Sade war. Und so habe ich mich also hingesetzt – nicht zuletzt motiviert durch Adorno&Horkheimers Behandlung des Themas – und zwei zentrale Werke des Marquis de Sade gelesen: Zuerst Justine, oder die Leiden der Tugend, das nach 500 Seiten mit einem geradezu epischen cliff-hanger aufhört; gefolgt von der Weiterführung der Erzählung, diesmal aus der Sicht der Schwester: Juliette, oder die Vorteile des Lasters. – Die Justine ist leider etwas repetitiv und wäre interessanter, wenn sie halb so lang wäre. Die Juliette aber hat mit knapp 300 Seiten eine gute Länge. Beide Romane sind kurz vor dem Übergang 18./19. Jahrhundert entstanden, das heißt sehr lange Zeit bevor Amoralität, Egoismus, Atheismus sowie Anti-Christianismus, und natürlich: das offene Reden über sexuelle Akte jeglicher Art und Coleur salonfähige Themen waren (wenn sie es das überhaupt jemals waren; sagen wir: literaturfähig, man denke daran, dass selbst Lolita keinen Verleger in den USA fand, dann im „liberalen Frankreich“ über einen eher wenig seriösen Verlag publiziert wurde, kurze Zeit später aber für zwei Jahre lang dort verboten war – und das war in den Neunzehnhundertfünfzigerjahren!). – Nun also, de Sade schafft etwas, was ich nicht für möglich gehalten hätte: Man schlage ein beliebiges der beiden Bücher zufällig auf und lese 20 Seiten – und diese zwanzig Seiten stellen jeden Hardcore-Scat-BDSM-Snuff-Porno in den Schatten (– gibt es sowas in der Kombination überhaupt?). Wenn die ältere Generation sagt: „Aber die heutige Jugend ist so verroht!“ (Stichworte: Killerspiele, Gewaltvideos, Pornokonsum), dann sage ich: Wenn wir eines sind, dann sind wir – historisch gesehen – ziemlich zivilisiert in der gesamtgesellschaftlichen Ausgestaltung unserer Sexual-, Gewalt- und Tötungsphantasien. Wirklich.

Gabriel Garcia Marquez: Die Liebe in den Zeiten der Cholera. Etwas ausladend, aber gut.

Ich wohne jetzt in Sydney, und um ein bisschen Trivia-Kenntnisse zu erlangen habe ich Bill Bryson: Down Under gelesen: Lustig und informativ. – Aber ein wirklich unglaubliches Buch ist Bruce Chatwins Bericht The Songlines über seine Reise durch das australische Outback auf den Spuren der mündlich überlieferten Tradition der Aboriginies. Ja, es ist anekdotisch und die Textgestalt ist ab der Mitte durch Exzerpte aus seinen Notizbüchern recht eigenwillig; auch sollte man seiner Theorie über den Mensch als ursprünglich nomadisch eine gewisse Skepsis entgegenbringen. Aber interessant und thought-provoking ist dieses Buch in jedem Fall.

Roberto Bolaño: Third Reich. Mehr alte Werke werden ausgegraben…

Cormac McCarthy: The Road. – Hat mich eine Nacht lang wach gehalten.

posted 2015-07-06 tagged bookdump