Was ich ja immer wieder faszinierend finde, ist die meist vollkommen unbemerkte und unreflektierte, aber in weiten Teilen der Bevölkerung vorherrschende Meinung, Atheisten hätten keine Meinungen oder Gefühle, die man respektieren müsste – während parallel dazu gefordert wird, doch toleranter gegenüber den Gläubigen des Islam/Christentum/Papst etc. zu sein, und ihre religiösen Gefühle zu schonen. DieStandard schreibt:
Das Ereignis Papst-Wahl verleitete viele Medien dazu, zu vergessen, dass nicht nur religiöse Gefühle verletzt werden können, sondern auch atheistische.
Das eine sind direkte Angriffe wie „Die Nichtgläubigen werden in der Hölle schmoren!“ und dergleichen; aber darum geht es mir nicht. Vielmehr geht es mir darum, wie ungleich hier argumentiert wird. Wenn Deniz Yücel seinen Kommentar über den neuen Papst beginnt mit:
Der neue Papst ist, den bislang vorliegenden Informationen nach zu urteilen, ein reaktionärer alter Sack wie sein Vorgänger, der seinerseits einem reaktionären alten Sack gefolgt war, der wiederum einen reaktionären alten Sack beerbt hatte.
… dann finden das die Autoren im Radio Vatikan Blog gelinde gesagt daneben:
[…] aber was gesagt werden muss, muss gesagt werden: Ihr seid dumm.
„Mimimi, die kritisieren unseren Glauben!“ – Mal ganz abgesehen davon, dass der neue Papst ein alter Sack ist und dass die katholische Kirche in ihren Strukturen so alt und verkalkt ist, dass man wohl in jedem anderen Gewerbe sagen würde: „wegschmeißen, aus den Fehlern lernen und neu anfangen“ – ganz abgesehen davon ist dies eine Art von Kritik, die nicht im geringsten anerkennt, wie sehr wir Atheisten jeden Tag für komplett dumm gehalten werden.
Wenn ich so als Atheist durchs Leben gehe, dann steht vor jeder religiösen Botschaft immer auch der Satz: „Wir halten euch alle für so dämlich und gutgläubig, dass ihr auch das Folgende akzeptieren werdet: …“. – Das fängt an bei Behauptungen wie dass die Kirche doch Ursprung und Bewahrer demokratischer Grundideale ist, geht weiter mit der Verbreitung rückständiger Sexual-, Moral- und Verantwortungs-Vorstellungen sowie Familienbildern und kulminiert natürlich in den diversen Mythen, die die Grundpfeiler monotheistischer Religionen ausmachen (insbesondere spielt meist ein eifersüchtiger Gott eine tragende Rolle).
So sieht die Realität aus, Tag für Tag. Und wenn mir jemand ernsthaft weismachen will, dass es keine intellektuelle Beleidigung ist, in einer renommierten Zeitung seitenlange Berichterstattung über einen Papst zu lesen, der im Jahre 2013 Abtreibung und gleichgeschlechtliche Beziehungen verbietet – anstatt eines Aufschreis ob der Rückständigkeit dieses Alten Sackes mitsamt seiner Institution – dann würde ich das gerne mal hören. Und bitte ohne die Worte „Tradition“, „althergebracht“ oder „weithin akzeptiert“ zu verwenden. Das wäre unsachlich.