Verschiedene Texte, die ich heute las und für sehr lesenswert halte:
Der Artikel Global Warming's Terrifying New Math von Bill McKibben verknüpft neue Zahlen zum Thema Klimawandel mit der Einsicht, dass wir es aller Voraussicht nach nicht schaffen werden, das Problem unter Kontrolle zu bekommen – es ist einfach zu lukrativ, jetzt weiter Öl zu verbrennen:
The Third Number: 2,795 Gigatons. This number is the scariest of all – one that, for the first time, meshes the political and scientific dimensions of our dilemma. ... The number describes the amount of carbon already contained in the proven coal and oil and gas reserves of the fossil-fuel companies, and the countries (think Venezuela or Kuwait) that act like fossil-fuel companies. In short, it's the fossil fuel we're currently planning to burn. And the key point is that this new number – 2,795 – is higher than 565 [the maximum number of gigatons the climate can abosrb without rising beyond 2 degress celsius]. Five times higher.
The top 10 tricks of Perl one-liners.
awk
braucht man schließlich nicht wirklich.
Kategorientheorie in Scala und in Haskell.
Ich vermeide es größtenteils, über Politik zu schreiben. Das liegt im wesentlichen daran, dass es einfach sehr viele Leute gibt, deren Tagesgeschäft das ist und die folglich darin um einige Größenordnungen besser sind als ich. Außerdem ist es so, dass mich die Beschäftigung mit Politik fast ausnahmslos wütend macht: Täglicher Politik-Nachrichten-Konsum ist bestens dazu geeignet, den Glauben an Fortschritt in unserer Gesellschaft zunichte zu machen.
Aktueller Anlass ist natürlich die Einigung vierer von fünf im
Bundestag vertretenen Parteien auf Gauck als neuen
Bundespräsidenten.
Man bemüht sich dort noch nicht einmal, diesem Gauck irgendwelche
Qualitäten, die ihn als Bundespräsidenten auszeichnen würden,
zuzusprechen: Merkel sagte, mit Gauck verbinde sie vor allem die
gemeinsame Vergangenheit in der DDR. Für Gauck habe sich der Weg von
der Kirche in die Politik von fast alleine ergeben. Ihn zeichne aus,
ein "wahrer Demokratielehrer" geworden zu sein.
– Ja,
Demokratielehrer schön und gut. Aber Aufgabe des Bundespräsidenten
sollte es ja nicht sein, Demokratie zu lehren. Seine Aufgabe sollte es
vor allem auch sein, den Fokus auf Probleme im Land und im politischen
Diskurs zu lenken. Das kann man von Gauck wohl eher weniger erwarten.
Im wesentlichen scheint ein schlagendes Argument zu sein, dass sich viele Deutschen Gauck als Präsidenten wünschen. Das klingt auch vernünftig, bis man die Hintergründe recherchiert. Kaliber "Guttenberg ist so nett", sag ich nur.
Ein Pastor soll Präsident in Deutschland werden. – Pastoren: Das sind diejenigen, die professionell, das heißt um ihr täglich Brot zu verdienen, Tag für Tag, Woche für Woche Unwahrheiten predigen. Das sind diejenigen Menschen, die die evangelische Kirche repräsentieren – und somit im Grunde ihres Wesens gegen Fortschritt und Selbstverantwortlichkeit sind. (Man darf sich wohlgemerkt nicht von der Tatsache blenden lassen, dass auch Gutes aus diesen Kreisen kommt!) – – Wenn wir eines in diesem Land nicht gebrauchen können, dann einen zahnlosen, anti-sozialen, christlichen Bundespräsidenten.
Auch wenn man Fefes Ratschläge vielleicht nicht immer erst nehmen sollte: Die Nominierung Georg Schramms wäre in der Tat ein Geniestreich der Piraten – gewesen. Ich habe heute zwei Stunden lang alte TV-Mitschnitte von Schramm geschaut – die nota bene alle in öffentlich-rechtlichen Kanälen liefen, das hat mich doch positiv überrascht! – und da ist wirklich mal ein Mann, der mit der Faust auf den Tisch haut, ein Loblied auf den Zorn singt und wirklicht etwas zu sagen hat.
Update: Sag ich doch, andere können das besser. So zum Beispiel Deniz Yücel
in seinem Replik auf die Kritik
Lobos, der dessen Kolumne kritisierte:
Der Holocaust, meint er [Gauck], ist eine Ersatzreligion der Gottlosen. Damit stellt
er sich in die Tradition von Leuten, die ein Leben und Denken ohne Gott für
unvorstellbar halten und den Nationalsozialismus gerne für ein Produkt der
Gottlosigkeit halten, anstatt darin auch das in Ideologie wie Praxis
modernisierte und radikalisierte Ergebnis des christlichen Antijudaismus zu
erkennen.
Ich habe unter der Woche Bernd Ulrichs Streitschrift Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muss. vom Oktober 2011 gelesen. Das Buch war für mich unter mehreren Aspekten interessant. Einerseits beleuchtet es die Hintergründe der Kriege, die ich damals als Kind noch nicht mitbekommen habe – den Namen UÇK kannte ich zwar aus den Nachrichten, wusste aber damit nichts zu verbinden – und bietet so eine gute Perspektive auf die jüngere Deutsche Geschichte, gerade auch in Hinblick auf die Auswirkungen der Wiedervereinigung auf die geopolitische Sicherheitslage Europas und der Welt, sowie das politische Selbstbewusstsein Deutschlands. Andererseits meldet sich hier aus der Generation meiner Eltern ein Kriegsdienstverweigerer und ehemaliger Mitarbeiter des Fraktionsvorstandes der Grünen im Deutschen Bundestag zu Wort, der mittlerweile stellvertretender Chefredaktuer und Leiter des Politik-Ressorts der Zeit ist.
Das ganze ist flüssig zu lesen, aber natürlich kontrovers – und das soll es ja auch sein. Zunächst muss gesagt werden, dass das Buch eine Reihe interessanter Einsichten enthält, die auch sehr treffend ausformuliert sind. Über die Tatsache, dass sich in der deutschen Bevölkerung nur sehr schwierig eine stabile Mehrheit für einen Einsatz der Bundeswehr finden lässt, bemerkt er ganz richtig (S. 53):
Hinzu kommt ein ganz profaner Umstand. In Deutschland finden unablässig irgendwelche Wahlen statt, weshalb eine kriegführende Bundesregierung einem andauernden Plebiszit ausgesetzt ist, das sie nur überstehen kann, solange andere als die militärischen Fragen wahlentscheidend sind.
Und weiter:
Die Regierung wird infolgedessen dazu tendieren, die Fragen von Krieg und Frieden möglichst nicht zu thematisieren, ja, ihre Thematisierung aktiv zu verhindern.
Eine weitere interessante Beobachtung stellt Ulrich über die "spezielle Verbindung" zwischen Deutschland und Israel an (S. 73):
In der wachsenden Distanz zu Israel und in die zunehmende Skepsis gegen Militäreinsätze hinein bringt nun die Merkel-Doktrin Deutschland näher an einen Militäreinsatz für Israel. Hier liegt eine enorme latente Spannung.
Schaut man auf das Inhaltsverzeichnis, so kann man das Buch in einige wesentliche Thesen zusammenfassen:
Meine Generation, also die zur Zeit des Niedergangs der DDR oder nach dem Mauerfall Geborenen, sind in meinen Augen sehr pazifistisch eingestellt, und das ist gut so. Rundheraus würde ich sagen: Krieg ist immer falsch.
Leider stimmt das nicht. Ja, wenn man an all die Kriege denkt, die Amerika so geführt hat im Südosten Asiens, oder wie die Kriege in Afghanistan und dem Irak laufen: das ist abgrundtief falsch. – Andererseits muss man sich immer wieder den Ruandischen Genozid vor Augen halten, und die damalige Passivität der UN. Dadurch, dass westliche Mächte nicht eingegriffen haben, obwohl sie ziemlich gut wussten, dass ein riesiger Völkermord passierte, das ist unverantwortlich. – Wenn man sagt "Krieg ist in keinem Fall tragbar", dann öffnet man dem Kulturrelativismus Tür und Tor. Profan ausgedrückt, sagt man: "Lass die Anderen doch mit sich selbst klarkommen. Wenn sie sich abschlachten, dann ist das nicht mein Problem, und nicht einmal notwendigerweise falsch." – eine solche Einstellung ist sehr, sehr gefährlich. Von daher ist für den Pazifisten die Fragestellung, ob es überhaupt legitime Kriege gibt, eine sehr viel schwierigere, als sie auf den ersten Blick scheint.
Im Nachhinein kann man möglicherweise sagen, dass der Einsatz der Bundeswehr als Teil des NATO-Bündnisses in Libyen gerechtfertigt gewesen wäre. Der Einsatz ist mittlerweile beendet, und der Aufbau des Landes kann beginnen. Wenn ein Präsident die Luftwaffe gegen das eigene Volk einsetzt, dann sollte es schwer sein, wegzuschauen. – Natürlich muss man sich überlegen, wer denn die Machtposition Gaddafis über Jahrzehnte gefestigt hat. Aber man kann und darf die Frage nach militärischer Intervention nicht mit einer antiimperialistischen Floskel à la "hätten wir nicht X gemacht ... wäre nicht Y passiert" abtun. Dort sterben Leute.
Ich tue mich auch schwer in der Frage, zumal ich von einer anderen Prämisse ausgehe, was die Situation zugegebenermaßen leichter macht: Ich empfinde nichts für das Staatenkonstrukt Deutschland. Deutsche Kultur, insbesondere die deutsche Sprache und Literatur, sowie klassische Musik bedeutet mir etwas – das geht aber über Staatengrenzen hinaus. Der Großteil von Deutschland – das heißt, alles außerhalb von Hamburg und Berlin – bedeutet mir nichts, ganz einfach nichts. Ich habe da schließlich nie gelebt. Aber ohne die Grundlage von konstruierten Staaten, die gemeinsam agieren, entfällt natürlich die Notwendigkeit zur Verantwortung gegenüber anderen Staaten – es bleibt die Verantwortung von Menschen gegenüber anderen Menschen, und dort sind die Menschenrechte ein ziemlich allgemein akzeptierter Konsens.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Buch einige spannende Einsichten, auch in das Wirken von Presse und Politik, bereit hält. Und es ist beeindruckend zu sehen, wie ein ehemaliger überzeugter pazifistischer Aktivist heute Kriege zu legitimieren versucht.
Nach der Sommerpause wird über eine neue Fassung des Transplantationsgesetzes diskutiert.
Zwar sind laut Umfragen bis zu 75 Prozent der Deutschen prinzipiell zur Organspende bereit, aber nur 25 Prozent haben tatsächlich einen Organspendeausweis. Würden die Menschen gezwungen, sich zu erklären, so das Kalkül der Politik, dann stiege auch die Zahl der verfügbaren Spenderorgane.
Es ist ein typisch-deutsches Phänomen, zu sagen: "Ja, ich bin total für X (aber nicht wirklich)": "Ausländer ja, aber nicht hier" – "Schwule ja, aber bitte nicht in der Öffentlichkeit" – "Öko-bla ja, aber bitte kein teureres Benzin".
Daher glaube ich, ein einfaches Kreuz bei "Ja, ich will spenden" wird wesentlich mehr Menschen anlocken als der Gang zu einer Institution, die Organspendeausweise verteilt (und das ständige Herumtragen desselben). Ich habe seit 2006 einen Organspendeausweis und finde das sehr wichtig. Ich würde ja auch im Falle des Falles gerne ein Ersatzorgan haben.